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DOI: 10.1055/s-2004-826885
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Hyperammonämie: Ursachen, Diagnostik, Therapie
Teil 2: Krankheitsbilder und TherapieHyperammonemia: pathogenesis, diagnosis and therapyPublication History
eingereicht: 12.8.2003
akzeptiert: 29.1.2004
Publication Date:
20 July 2004 (online)
Bevorzugt im Kindesalter auftretende Hyperammonämien
Angeborene Defekte des Harnstoffzyklus
Durch Mangel eines der sechs Enzyme des Harnstoffzyklus resultiert eine primäre Hyperammonämie. Am häufigsten ist der Ornithintranscarbamylase (OTC)-Mangel, gefolgt von der Citrullinämie (Argininosuccinat-Synthetase-Mangel). Laborchemisches Leitsymptom ist die Hyperammonämie. Klinisch wegweisend kann eine respiratorische Alkalose sein, die aus einer zentralen Atemstimulation infolge der begleitenden Glutaminerhöhung resultiert. Die Bestimmung der Orotsäure im Urin dient der Abgrenzung eines OTC-Mangels von den Defekten anderer mitochondrial lokalisierter Enzyme.
Etwa die Hälfte der Patienten zeigt einen neonatalen Beginn der Erkrankung mit fulminantem Verlauf, dem ein kurzes symptomarmes Intervall von 2-3 Tagen nach Geburt vorausgeht. Die andere Hälfte der Patienten zeigt eine späte Manifestation, wobei grundsätzlich jedes Alter in Frage kommt. Häufig sind Erstmanifestationen im Rahmen kataboler Situationen, z. B. während Infektionen, nach Operationen, oder im Wochenbett. Durch die oft massive Hyperglutaminämie ist das Risiko eines Hirnödems besonders hoch. Dies bedingt die hohe Mortalität. Daher sind eine sofortige spezielle Notfalldiagnostik und ein danach unmittelbarer Therapiebeginn entscheidend [1].
Klinisch bestehen neben der Bewusstseinsstörung Inappetenz, Erbrechen, Atemstörung und weitere neurologische Symptome (Ataxie, Tremor, Konzentrationsstörung u. a.). Bei Neugeborenen wird aufgrund der klinischen Präsentation meist initial an eine bakterielle Sepsis gedacht, während bei Manifestation im späteren Kindes- und Erwachsenenalter oft eine neurologische Erkrankung vermutet wird. Für die angeborenen Defekte des Harnstoffzyklus existieren Leitlinien zur Diagnostik und Therapie (http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/pstwe006.htm)
Klassische Organoazidopathien
Diese Gruppe umfasst Erkrankungen, bei denen der intramitochondriale Abbau von unterschiedlichen, meist verzweigtkettigen Aminosäuren gestört ist. Es kommt zur intramitochondrialen Akkumulation toxischer Coenzym A (CoA)-Verbindungen, sowie zu einem Mangel an Acetyl-CoA. Wesentliche Krankheiten mit Manifestation in der Neugeborenenperiode sind Methylmalonazidurie, Propionazidurie, und Isovalerianazidurie. Laborchemische Leitsymptome sind Ketose und/oder Laktatazidose. Die Hyperammonämie steht besonders bei neonataler Manifestation im Vordergrund und wird verursacht zum einen durch Mangel an Acetyl-CoA, welches zusammen mit Glutamat (mittels der N-Acetylglutamatsynthase, NAGS) für die Synthese von N-Acetylglutamat (NAG), einem Aktivator des Harnstoffzyklus, benötigt wird. Zum anderen entstehen Dicarbonsäuren, welche die Aktivität der NAGS und damit des Harnstoffzyklus hemmen. Die klinische Manifestation reicht von akuter neonataler Entgleisung mit Zeichen der metabolischen Enzephalopathie bis zu chronischen Verlaufsformen mit milderer Symptomatik.
Hyperammonämie-Hyperornithinämie-Homocitrullinurie (HHH)-Syndrom
Bei dieser seltenen Erkrankung ist der Transport von Ornithin aus dem Zytoplasma in das Mitochondrium defekt. Daraus resultieren ein intramitochondrialer Mangel an Ornithin und die namengebenden biochemischen Besonderheiten. Diagnostisch wegweisend ist die Bestimmung der Aminosäuren in Plasma und Urin mit starker Erhöhung von Ornithin bei eher mäßiggradiger Hyperammonämie. Die klinische Ausprägung ist sehr variabel und reicht von neonataler Manifestation bis zu oligosymptomatischer, oft vorwiegend neurologischer Erkrankung im Erwachsenenalter.
Lysinurische Proteinintoleranz
Bei dieser seltenen Erkrankung ist der Transport der dibasischen Aminosäuren Lysin, Arginin und Ornithin an der basolateralen Zellmembran von intestinalen und renalen Epithelzellen selektiv betroffen, diese Aminosäuren werden in Dünndarm und Niere vermindert resorbiert. Dadurch resultiert ein spezifischer Mangel im Plasma neben einer charakteristisch vermehrten Ausscheidung im Urin. Der Substratmangel des Harnstoffzyklus hat eine Hyperammonämie zur Folge. Die Erkrankung ist besonders häufig in Finnland. Betroffen sind Neugeborene ebenso wie Kinder jeden Alters und Erwachsene. Die klinische Ausprägung ist variabel und ist der Symptomatik von Harnstoffzyklusdefekten ähnlich.
Störungen des Energiestoffwechsels
Erkrankungen des Energiestoffwechsels, am häufigsten der Pyruvatdehydrogenase (PDH)-Mangel sowie Atmungskettendefekte, betreffen die mitochondriale enzymatische Energiegewinnung durch Abbau von Pyruvat und Acetyl-CoA sowie die oxidative Phosphorylierung in der Atmungskette. Laborchemisches Leitsymptom ist die Erhöhung des Laktats im Serum. Die Hyperammonämie ist meist eher geringgradig ausgeprägt und resultiert aus einem Mangel an Acetyl-CoA und nachfolgend NAG. Besonders häufig sind neurologische Symptome wie Entwicklungsverzögerung, Epilepsie, Ataxie und progrediente Enzephalopathien.
Störungen der Fettsäureoxidation und des Carnitin-Stoffwechsels
Diese Erkrankungen, am häufigsten der Mangel der Mittelkettigen Acyl-CoA-Dehydrogenase (MCAD) sowie Störungen im Stoffwechsel des Carnitins, betreffen den intramitochondrialen Fettsäureabbau durch die β-Oxidation und damit die wichtigste Energiequelle im Zustand des Fastens. Zum Transport langkettiger Fettsäuren in das Mitochondrium werden Carnitin und Enzyme des Carnitinzyklus benötigt. Mittel- und kurzkettige Fettsäuren können unabhängig vom Carnitinzyklus in das Mitochondrium eintreten. Biochemisches Leitsymptom ist die meist hypoketotische Hypoglykämie. Die Hyperammonämie tritt sekundär auf und ist durch Mangel an Acetyl-CoA und die Akkumulation von Dicarbonsäuren bedingt. Typisch sind krisenhafte Episoden mit Hypoglykämie, gelegentlich mit Rhabdomyolyse, nach längeren Nüchternphasen oder im Rahmen kataboler Situationen, bei einzelnen angeborenen Defekten auch eine Kardiomyopathie.
Störungen der Leberfunktion
Bei ausgeprägten Leberfunktionsstörungen unterschiedlicher Genese können sämtliche hepatische Stoffwechselwege beeinträchtigt sein. Durch Mangel an Acetyl-CoA oder Anstau toxischer Metabolite, vor allem Dicarbonsäuren, kann begleitend eine Hyperammonämie resultieren. Beispiele sind: Tyrosinämie Typ 1, Galaktosämie, konnatale Hepatitis, α1-Antitrypsin-Mangel.
Reye-Syndrom
Es handelt sich um eine ätiologisch nicht geklärte akute Hepatopathie und Enzephalopathie, die vorwiegend im Kleinkind- und Schulkindalter auftritt. Charakteristisch sind morphologisch veränderte Mitochondrien sowie eine ausgeprägte Verfettung der Leberzellen, die auf einen gestörten Energiestoffwechsel hinweisen. Meist geht ein viraler Infekt (z. B. Influenza, Varizellen) bei gleichzeitiger Einnahme von Acetylsalicylsäure voraus, so dass hier ein Trigger vermutet wird. Laborchemisch finden sich Hyperammonämie, Erhöhung von Transaminasen und Kreatinkinase (CK) bei Hypoglykämie. Die klinische Symptomatik wird durch die hepatische Enzephalopathie mit Hirnödem bestimmt. Patienten zeigen nach akuten Krisen im Falle des Überlebens häufig neurologische Residuen. Die Mortalität wird mit bis zu 50 % beschrieben. Die Therapie ist rein symptomatisch.
Transiente Hyperammonämie des Frühgeborenen
Dieses Krankheitsbild wird in der Regel bei Frühgeborenen mit Atemnotsyndrom beobachtet. Die metabolische Entgleisung ist selbstlimitierend, wobei Ammoniak-Konzentrationen im Plasma grösser als 1000 µmol/l auftreten können (eigene Beobachtung). Als Ursache wird ein persistierender Ductus venosus Arantii, eine aus der Fetalzeit fortbestehende Verbindung zwischen Nabelvene und unterer Hohlvene, diskutiert. Nach der Geburt obliteriert diese Verbindung und bildet das Ligamentum venosum der Leber. Bei Persistenz besteht ein Umgehungskreislauf der Leber für venöses Blut, so dass keine hepatische Entgiftung erfolgen kann. Es wird diskutiert, ob dies die einzige Ursache der transienten Hyperammonämie ist, oder ob andere Faktoren beteiligt sind.
Hyperinsulinismus-Hyperammonämie-Syndrom
Veränderungen im Gen der GLDH (GLUD1) können zum Hyperinsulinismus-Hyperammonämie-Syndrom führen, wobei eine gesteigerte Aktivität der GLDH („gain of function”) vorliegt. Diese Erkrankung gehört zu den Differentialdiagnosen des kongenitalen Hyperinsulinismus. Die GLDH synthetisiert Ammoniak und α-Ketoglutarat aus Glutamat, bei mutierter GLDH mit erhöhter Enzymaktivität resultieren eine moderate Hyperammonämie sowie ein Hyperinsulinismus mit symptomatischen Hypoglykämien.
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Dr. med. Johannes Häberle
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