Einleitung
Bei Patienten mit paravertebralen Raumforderungen muss dringend eine morphologische Klärung erfolgen, da primär eine Tumorerkrankung anzunehmen ist. Differenzialdiagnostisch kommen bei dieser Lokalisation neben peripheren Bronchialkarzinomen in erster Linie neurogene Tumoren in Betracht. Es werden 4 Fälle aus 12 Jahren vorgestellt, bei denen histologisch durch transthorakale Punktion eine extramedulläre Blutbildung nachgewiesen werden konnte.
Kasuistiken
Fall 1 (V.H.)
Anamnese
Bei einem zum Diagnosezeitpunkt 78-jährigen Patienten wurde extern im Thoraxröntgenbild vor geplanter Operation einer benignen nodulären Hyperplasie der Prostata eine paravertebral rechts gelegene thorakale Raumforderung gefunden (Abb. [1a]). Eine hereditäre Sphärozytose war bekannt. Zwei Brüder und der Sohn des Patienten wurden wegen der gleichen Erkrankung splenektomiert. Als Nebenleiden waren bei dem Patienten eine arterielle Hypertonie und eine chronisch obstruktive Bronchitis bekannt.
Körperliche Untersuchung
Der Patient war bei Aufnahme in gutem Allgemein- und Ernährungszustand. Auffällig waren ein Sklerenikterus und eine Hepatosplenomegalie.
Klinisch-chemische Befunde (SI Einheiten)
Laborchemisch bestand eine leichte Anämie mit einem Hb von 7,5 mmol/l, einem Hk 0,35 bei MCHC 21,4 mmol/l und einem unauffälligen Differenzialblutbild. Das Bilirubin war mit 78,7 µmol/l erhöht, ebenso die GPT mit 0,87 µmol/sl.
Thorakale Computertomographie (CT)
Die thorakale CT erbrachte den Nachweis einer weichteilisodensen, glatt begrenzten Raumforderung im rechten hinteren Mediastinum, unmittelbar paravertebral gelegen.
Morphologie
Die Histologie der transthorakalen Punktion ergab Knochenmark mit regelrecht differenzierter, lebhafter Hämatopoese.
Der Verlauf über 9 Jahre zeigt eine röntgenologisch nur geringe Progredienz (Abb. [1b]).
Abb. 1 Nachweis einer weichteilisodensen, glatt begtrenzten Raumforderung im rechten hinteren Mediastinum unmittelbar paravertebral, Übersichtsaufnahme von 1991 (a) und 2000 (b).
Fall 2 (M.H.)
Anamnese
Ein 70-jähriger Patient erkrankte mit einem linksseitigen Herpes zoster. Es bestand bei bekannter chronisch obstruktiver Bronchitis und stabiler arterieller Hypertonie eine leichte Belastungsdyspnoe. Bei der durchgeführten Thoraxröntgenaufnahme wurde eine paravertebral rechts gelegene Raumforderung nachgewiesen. Seit der Geburt besteht eine ausgedehnte Hämangiomatose, welche die Haut des gesamten rechten Thorax und des gesamten rechten Armes einnimmt (Abb. [2a]).
Körperliche Untersuchung
Der Patient befand sich bei Aufnahme in einem gutem Allgemein- und Ernährungszustand. Es bestanden geringe Unterschenkelödeme und eine Hepatomegalie.
Klinisch-chemische Befunde (SI Einheiten)
Die Werte für großes Blutbild, Bilirubin, Kreatinin, Elektrolyte lagen im Normbereich. Eine geringe Transaminasenerhöhung mit GOT 0,60 µmol/sl und GPT 0,57 µmol/sl war nachweisbar.
Radiologie
In den Thoraxaufnahmen und in der thorakalen CT kam eine rechts-paravertebrale tumorsuspekte Struktur mit maximal 4 × 4,8 cm und kraniokaudaler Ausdehnung von 13 cm sowie Nekrosearealen zur Darstellung (Abb. [2b - c]). Es fanden sich Lymphknotenvergrößerungen bis maximal 2,4 cm im hinteren Mediastinum und am rechten Hilus (Abb. [2d]).
Abb. 2 a Ausgedehnte angeborene Hämangiomatose des rechten Armes und der Thoraxwand. b - d Rechts paravertebral gelegene, tumorsuspekte Struktur mit max. 4 × 4,8 cm Größe und kraniokaudaler Ausdehnung von 13 cm, Lymphknotenvergrößerung bis max. 2,4 cm im hinteren Mediastinum und am rechten Hilus.
Morphologie
Bei zweimaliger transthorakaler Punktion fand sich ein typisch differenziertes blutbildendes Knochenmark ohne Anhalt für Malignität. Kein Hinweis für neurogenen Tumor.
Fall 3 (G.S.)
Anamnese
Ein 56-jähriger Patient erkrankte mit Fieber bis 40 °C und Belastungsdyspnoe. Im Rahmen einer Urosepsis wurde im auswärtigen Krankenhaus eine Thoraxübersichtsaufnahme angefertigt, die einen 9 cm großen Tumor in Projektion auf den rechten Unterlappen zeigte (Abb. [3a] u. [b]). Eine hereditäre hämolytische Anämie war seit Jahren bekannt.
Abb. 3 a u. b 9 cm große Raumforderung im rechten Unterlappen unmittelbar paravertebral. c Darstellung des inhomogenen Herdes rechts, auch linksseitig solider paravertebraler Herd von 2 cm Durchmesser.
Körperliche Untersuchung
Der Patient war nach antibiotischer Therapie der Urosepsis im auswärtigen Krankenhaus nur noch im leicht reduzierten Allgemeinzustand. Es bestand Belastungsdyspnoe. Ein Sklerenikterus sowie eine Hepatosplenomegalie waren nachweisbar.
Klinisch-chemische Befunde (SI Einheiten)
Es wurde eine Anämie mit Hb 6,3 mmol/l, Hk 0,23, Ery. 3,6 Tpt/l bei MCHC 21,7 mmol/l, MCH 1,7 fmol und MCV 80,6 fl nachgewiesen. Es bestanden noch leichte Entzündungszeichen mit Leuko 13,5 Gpt/l, allerdings ohne Linksverschiebung. Die GPT war mit 0,71 µmol/sl leicht erhöht. GOT mit 0,49 µmol/sl normal. Bilirubin mit 34,5 µmol/l am Grenzwert. Tumormarker CYFRA 21 - 1 war mit 7,7 ng/ml auffällig.
Thorakales CT
Die CT deckte neben der im konventionellen Röntgen unmittelbar paravertebral rechts nachgewiesenen Raumforderung auch linksseitig paravertebral solide Herde von 2 cm Durchmesser auf. Im rechtsseitigen Herd fanden sich zentral nekrotisch wirkende Areale (Abb. [3c]).
Morphologie
Die Histologie der transthorakalen Punktion ergab Knochenmark mit regelrechter Hämatopoese.
Fall 4 (M.O.)
Anamnese
Eine 77-jährige Patientin kam unter dem Bild einer exazerbierten chronisch obstruktiven Lungenkrankheit mit Rechtsherzdekompensation zur stationären Aufnahme. Bei Unterschenkelödemen war ein Erysipel aufgetreten und wurde antibiotisch behandelt. Es bestand eine koronare Herzkrankheit mit absoluter Arrhythmie bei Vorhofflimmern.
Körperliche Untersuchung
Wegen der fortgeschrittenen Lungenerkrankung war die Patientin in reduziertem Allgemeinzustand. Es bestanden Belastungsdyspnoe, Zeichen der kardialen Dekompensation sowie eine normofrequente absolute Arrhythmie.
Klinisch-chemische Befunde (SI Einheiten)
Die Werte für kleines und Differenzial-Blutbild, Bilirubin, Kreatinin, Elektrolyte, Eisen und Transferrin lagen im Normbereich. Einzig waren die Harnsäure mit 424 µmol/l und der Tumormarker CEA mit 4,62 ng/ml dezent erhöht.
Radiologie
In der angefertigten Thoraxübersichtsaufnahme zeigte sich eine Hilusvergrößerung rechts, welche auf Voraufnahmen nicht vorhanden war (Abb. [4a]).
Abb. 4 a Rechtsseitige Hilusvergrößerung, gegenüber den Voraufnahmen neu aufgetreten. b Fettisodense, teilweise auch weichteildichte Raumforderung in einer Ausdehnung von etwa 7 × 3 cm rechts paravertebral.
Die CT-Aufnahmen ergaben rechts paravertebral eine zum Teil fettisodense, teilweise auch weichteildichte Raumforderung in einer Ausdehnung von etwa 7 × 3 cm, wobei in erster Linie an ein Lipom gedacht wurde (Abb. [4b]).
Morphologie
Die Histologie der transthorakalen Punktion ergab Knochenmark mit regelrechter Hämatopoese, in der Beckenkammpunktion bestanden bis auf eine gering linksverschobene Erythropoese keine pathologischen Veränderungen.
Therapie und Verlauf
Bei keinem der vorgestellten Patienten waren lokale Komplikationen wie Rückenmarkskompression nachweisbar. Demzufolge ergab sich hinsichtlich der diagnostizierten intrathorakalen Hämatopoese keine Therapienotwendigkeit. Bei dem 1991 erstmals diagnostizierten Patienten ist röntgenologisch ein nahezu stabiler Befund über 9 Jahre dokumentiert (Abb. [1b]).
Diskussion
Extramedulläre Blutbildung ist schon länger bekannt [1] und wird vor allem bei Patienten mit chronischer Anämie, zumeist als Folge von Hämoglobinopathien (z. B. Thallassämie oder Sphärozytose) [2]
[3]
[4] oder im Rahmen seltener Erkrankungen, z. B. der Osteopetrose (Marmorknochenkrankheit) [5] beobachtet. Gelegentlich werden Erkrankungen mit verminderter Blutbildung im Knochenmark wie Myelofibrose, progrediente Leukose, medullär metatastasiertes Sarkom oder Karzinom als Ursache beschrieben [6]
[7]
[8]. In seltenen Fällen kann keine Ursache gefunden werden [9]. Als Kompensation der medullären Blutbildungsstörung entwickelt sich zunächst eine Knochenmarkhyperplasie. In der Folge können extramedulläre Blutbildungsherde entstehen.
Bei zwei der hier vorgestellten Fälle lag eine hämatologische Grundkrankheit vor. Es bestanden eine chronische Anämie bei hereditärer Sphärozytose sowie eine hereditärer hämolytische Anämie. Bei letzterem Patienten kam es zu einem Hämolyseschub im Rahmen eines septischen Krankheitsbildes.
Ein Patient litt an einer ausgedehnten angeborenen Hämangiomatose des rechten Armes und der Thoraxwand. Hier lag keine Anämie vor. Es muss angenommen werden, dass eine Hyperzirkulation infolge der Gefäßmissbildung Ursache für die extramedulläre Erythropoese war. Bei einem Fall konnte keine Ursache für die extramedulläre Blutbildung gefunden werden. Zu diskutieren ist eine Anämie im Rahmen eines septischen Geschehens bei Erysipel, obgleich es hierfür keine eindeutigen Belege gibt.
Die extramedulläre Blutbildung ist häufig in den primär blutbildenden Organen Leber und Milz lokalisiert. Blutbildungsherde in vielen Organen wie Pankreas, Schilddrüse, Niere, Nebenniere, Haut, Lymphknoten, Mittelohr und anderen sind jedoch beschrieben [5]
[10]
[11]
[12]
[13]. Bisher einmalig wurde eine Lokalisation im Nasopharynx mit konsekutiver Atemwegsobstruktion und Schlafapnoesyndrom beobachtet [14]. Eine intrathorakale Manifestation extramedullärer Blutbildung wird am häufigsten als paravertebrale Raumforderung gesehen [15]
[16]
[17].
Pathogenetisch werden die embolische Verschleppung von blutbildenden Zellnestern oder die Ausbreitung des Knochenmarks per continuitatem aus den Wirbelkörpern in die Umgebung diskutiert [2]. Die Entstehung von Pleura- oder Perikardergüssen und auch interstitiell pulmonalen Herden mit respiratorischer Insuffizienz im Rahmen einer extramedullären Blutbildung sind beschrieben worden [10]
[18]
[19].
Bei Nachweis einer paravertebralen Raumforderung besteht in erster Linie der Verdacht auf eine tumoröse Erkrankung. Jedoch müssen weitere Erkrankungen differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden. Obgleich jede Raumforderung einer morphologischen Sicherung bedarf, ist bereits durch die klinische und bildgebende Diagnostik eine erste Einordnung extramedullärer Blutbildungsherde möglich. Als indirekte Symptome der nicht ausreichenden Blutbildung im Knochenmark ist nicht selten eine Kardiomegalie aufgrund der erhöhten Herzleistung zu beobachten [17]. Dyspnoe und neurologische Symptome sind hingegen unspezifisch und Ausdruck der Raumforderung.
Als typische CT-Kriterien werden glattbegrenzte, paravertebral oder interkostal gelegene Raumforderungen ohne Verkalkungen beschrieben, welche die knöchernen Strukturen nicht beeinträchtigen. In der Regel zeigen diese eine milde, homogene Kontrastmittelanreicherung. Das Vorhandensein von Fettgewebe oder eine Eisenanreicherung sprechen für ältere ausgebrannte Herde [11]
[15]
[17].
Weitere nicht-invasive diagnostische Möglichkeiten sind umstritten. In der Knochenmark-Kolloid-Szintigraphie ist neben den extramedullären Herden eine Expansion der Markräume erkennbar [13]
[16]
[20]. Auch die Darstellung mit Technetium-markierten monoklonalen Antikörpern [21] dient eher der Ausbreitungs- als der Primärdiagnostik. Die Ergebnisse der Magnet-Resonanz-Tomographie sind eher uncharakteristisch [17].
Diese Literaturangaben stehen im Einklang mit allen hier demonstrierten Fällen, in denen die bildgebende Diagnostik ausnahmslos mit Röntgen und Computertomographie ausreichend war.
Die morphologische Sicherung gelingt am ehesten durch die histologische Aufbereitung eines transthorakalen Punktates. In drei der beschriebenen Fälle war die transthorakale Punktion unter Durchleuchtung möglich. Ein Patient wurde CT-gestützt punktiert.
Therapeutisch werden bei lokalen Komplikationen verschiedentlich Hypertransfusionsbehandlungen, aber auch Bestrahlung und die Resektion angewendet. Resektionen können durch die Blutungsneigung Komplikationen verursachen. Meist ist eine spezifische Therapie nicht notwendig [2]. Auch bei den hier beobachteten Fällen war eine therapeutische Intervention nicht erforderlich. Der Verlauf bei Fall 1 zeigt, dass die extramedullären Blutbildungsherde auch über 9 Jahre keine wesentliche Progredienz aufweisen müssen. Bisher ist ein Verlauf ohne Progredienz über 3 Jahre bekannt geworden [4].
Da es sich bei der extramedullären Blutbildung um einen Kompensationsmechanismus bei verminderter Knochenmarkleistung handelt, müssen bei der Therapieentscheidung die Behandlung lokaler Probleme und die Minderung der Knochenmarkreserve gegeneinander abgewogen werden.