Der Klinikarzt 2004; 33(8/09): 251-254
DOI: 10.1055/s-2004-834478
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Niederenergetisch gepulster Ultraschall - Eine neue Therapieoption in der Wundbehandlung?

Low-intensity Pulsed Ultrasound - A New Therapeutic Option for the Treatment of Wounds?A. Schmelz1 , Th. Einsiedel1 , L. Kinzl1 , A. Beck1 , P. Keppler1 , M. Kramer1
  • 1Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Ulm (Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. L. Kinzl)
Further Information
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Anschrift des Verfassers

Dr. Andreas Schmelz

Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie

Universitätsklinikum Ulm

Steinhövelstr. 9

89075 Ulm

Publication History

Publication Date:
23 September 2004 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Niederenergetisch gepulster Ultraschall wird momentan zur Beschleunigung oder zur Substitution einer verzögerten Knochenbruchheilung eingesetzt. Doch anscheinend kann diese minimalinvasive Behandlungsoption noch mehr. Denn bei Patienten mit posttraumatischer Osteitis oder bei offenen Frakturen mit verzögerter Heilung stimulierte die Ultraschallbehandlung nicht nur die Knochenheilung, sie verbesserte zudem die Weichteilsituation: Die Wunde heilte schneller ab, das Narbengewebe war stabil. Welche Mechanismen diesem Phänomen zugrunde liegen, ist jedoch noch nicht geklärt. Zellmorphologische und molekulare Untersuchungen an humanen Fibroblasten lassen jedoch einen Einfluss auf unterschiedliche Effekte vermuten: Die Zellproliferation und die Zellmotilität werden gesteigert, was sich wiederum positiv auf das Granulationsverhalten auswirkt. Außerdem wird die extrazelluläre Matrix unter dem Einfluss der Ultraschallwellen schneller degradiert. Insgesamt werden innerhalb eines Zeitrahmens von zwölf Stunden nach der Behandlung etwa 600 Gene stimuliert, die für die extrazelluläre Matrix aber auch die Transkription sowie viele andere für den Metabolismus verantwortlichen Faktoren kodieren.

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Summary

Low-intensity pulsed ultrasound is currently being employed to accelerate delayed healing of bone fractures. It would, however, appear that this minimally invasive form of treatment is capable of more; in patients with posttraumatic osteitis or open fractures with delayed healing, ultrasonic treatment not only stimulates bone fusion, but also improves the soft tissue situation - the wound heals more quickly, and the scar tissue is stabilised. The mechanisms underlying this phenomenon are, however, not yet clear. Cell-morphological and molecular investigations on human fibroblast suggest that there is an impact on a variety of effects. Cell proliferation and cell motility are enhanced, leading in turn to a possible effect on the granulation process. Furthermore, the extracellular matrix is prompted by the ultrasonic waves to degrade more quickly. Overall, within a period of twelve hours following treatment, some 600 genes coding for the extracellular matrix but also transcription and numerous other factors responsible for metabolism, are stimulated.

Niederenergetisch gepulster Ultraschall (Frequenz 1,5 Megahertz, Pulsdauer 200 μs, Repetitionsrate 1 KHz, Intensität 30 mWatt pro cm2) wird seit 1960 zur Stimulierung bei verzögerter Knochenbruchheilung eingesetzt. Unter dieser minimalinvasiven Ultraschalltherapie kommt es zu einer Beschleunigung bzw. Substitution einer verzögerten Knochenbruchheilung. Die Mechanismen sind bislang weitestgehend noch ungeklärt.

Beim Einsatz von niederenergetischem Ultraschall haben wir festgestellt, dass es gerade bei Problempatienten mit posttraumatischer Osteitis oder in Fällen mit offenen Frakturen und nachfolgender verzögerter Knochenbruchheilung nicht nur zu einer Stimulation der Knochenbruchheilung, sondern auch zu einer wesentlichen Verbesserung der Weichteilsituation kam. Die Ultraschallbehandlung führte nicht wie befürchtet zu einer erneuten Inflammation der Wundverhältnisse, vielmehr heilten Problemwunden besser ab und bildeten zudem eine stabile Narbe mit gutem Granulationsgrund aus. Dies hat uns dazu bewogen, den Einfluss von niederenergetisch gepulstem Ultraschall auf die Wundheilung näher zu betrachten.

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Material und Methoden

Seit Januar 2003 wurden zehn Patienten mit Problemwunden an unserer Klinik mit niederenergetisch gepulstem Ultraschall therapiert. Die Indikationen zur Behandlung waren Wunden bei Patienten mit chronisch venösen Ulzerationen, die zum Beispiel zur Versorgung eines Oberflächenersatzes an Knie- oder Hüftgelenk anstanden. Bei diesen Patienten waren bekannte Therapieverfahren wie die Vakuumversiegelung, Hydrokolloidverbände oder auch die Madentherapie nicht erfolgreich. Teilweise hatten auch die Patienten diese Behandlungsoptionen abgelehnt.

Bei zwei Patienten bestand eine Situation nach offener Unterschenkelfraktur mit nachfolgender Defektdeckung durch Lappenplastik und ausbleibender Granulation im Wundbereich zur Vorbereitung eines Segmenttransportes, ein Patient stand zur Unterschenkelamputation bei exazerbiertem Weichteilinfekt des Vorfußes an [Abb. 1].

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Ergebnisse

Nach einem chirurgischen Debridement aller Wunden wurde ein sauberer Wundgrund erreicht. Anschließend erfolgte ein täglicher Verbandswechsel mit Auflage einer Polyurethanfolie und Platzierung des Ultraschallgerätes im Wundbereich. Um Kontaminationen durch das nicht sterile Ultraschallgel zu vermeiden, deckten wir die Wunde durch eine Opside-Folie ab. Der Ultraschallkopf wurde an verschiedenen Stellen der Wunden platziert und die Wunden 20 Minuten pro Tag mit Ultraschall behandelt.

Schon nach etwa zehn Behandlungseinheiten verstärkte sich das Granulationsverhalten, zudem bildete sich eine stabile Narbe. Kontrakturen oder Wundrandretraktionen im Vergleich zu ähnlich gelagerten Fällen wurden nicht beobachtet. In sämtlichen Fällen war eine gute Abheilung der Weichteile zu sehen. Bei Patienten mit chronisch venösen Ulzera waren die Wunden derart stabil, dass diese durch eine Meshgraftplastik weiterbehandelt werden konnten und die Defekte abheilten. Damit konnten die Patienten weiteren Therapiemaßnahmen wie zum Beispiel einer endoprothetischen Versorgung zugeführt werden.

Der Patient, bei dem im Vorfeld eine Unterschenkelamputation geplant war, musste nach der Ultraschalltherapie lediglich im Bereich des Vorfußes amputiert werden. Durch die Anlage einer Chopart-Arthrodese und die Abheilung der Weichteile durch diese Therapieform konnte ein endbelastbarer Stumpf erhalten und der Patient entsprechend prothetisch versorgt werden [Abb. 1].

Zu diesem Zeitpunkt war nach wie vor nicht klar, warum Ultraschall bei derartigen Problempatienten nicht nur die Knochenheilung, sondern auch die Wundheilung positiv beeinflusste. Aus diesem Grund wurden folgende Experimente im Zelllabor durchgeführt.

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Zellmorphologische Untersuchungen

Zum einen wurde untersucht, ob Ultraschall einen stimulierenden Einfluss auf die Wundheilung - insbesondere auf die Proliferation, die Zellbewegung, die Matrixsynthese und die Matrixdegradation - hat. In einem zweiten Schritt sollten einzelne molekulare Mechanismen, die durch den niederenergetischen Ultraschall aktiviert wurden, an kultivierten Fibroblasten getestet werden.

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Zellproliferation

Um den Einfluss von niederenergetisch gepulstem Ultraschall (Frequenz 1,5 Megahertz, Pulsdauer 200 μs, Repetitionsrate 1 KHz, Intensität 30 mWatt pro cm2) auf entscheidende Schritte der Wundheilung nachzuweisen, wurden humane Hautfibroblasten isoliert. Zunächst wurde der Einfluss des Ultraschalls auf die Zellproliferation überprüft, indem die Bromuridineinlagerung während der Zellproliferation bei diesen Zellen untersucht wurde. Die Zellkulturen wurden bei gleicher Intensität mit unterschiedlicher Dauer mit Ultraschall stimuliert.

Dabei zeigte sich, dass Hautfibroblasten mit niedrig konzentrierten Wachstumsfaktoren (FCS 0,1-5 %; FSC = „fetal calf serum”) in der Ultraschallgruppe eine deutliche Zunahme der Proliferation aufwiesen. Es zeigte sich ein signifikanter Unterschied der Zellproliferation im Vergleich zur Kontrollgruppe [Abb. 2]. Damit scheint der Ultraschall - zumindest bei humanen Hautfibroblasten - einen positiven Einfluss auf die Zellproliferation zu besitzen.

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Granulationsverhalten

Die klinische Beobachtung, dass sich die Wunde bezüglich des Granulationsverhaltens unter dem Einfluss von Ultraschall positiv verändert und Defekte unter dieser Therapie schneller zuheilen, wurde mit einem weiteren Experiment untersucht. Zu diesem Zweck wurde die ultraschallinduzierte Motilität der Hautfibroblasten überprüft.

Hierzu wurde in einem Zellmedium mit Fibroblasten durch einen Nadelstrich ein Defekt angelegt. Wurden die Zellen im Anschluss mit niederenergetisch gepulstem Ultraschall behandelt, erhöhte sich deren Motilität und der Defekt schloss sich im Vergleich zu den nicht behandelten Kontrollen wesentlich schneller.

Wesentlicher Faktor für einen positiven Einfluss auf die Wundheilung ist die Matrixsynthese. Hierzu wurden Versuche mit dem Ziel der Überprüfung der Expression von Kollagen I, III und Fibronektin durchgeführt. Unter Einfluss von niederenergetischem Ultraschall zeigte sich ein deutlicher Anstieg dieser Zellbestandteile. Schon nach einer acht- bis elfminütigen Exposition der Zellen mit Ultraschall konnte mithilfe der Immunfluoreszenztechnik ein signifikanter Unterschied in der Synthese der extrazellulären Matrix im Vergleich zur Kontrolle nachgewiesen werden [Abb. 3]. Dieser Nachweis konnte auch quantitativ geführt werden.

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Degradation der extrazellulären Matrix

Ein positiver Einfluss auf die Heilung kann nicht nur dann gewährleistet sein, wenn Zellen bezüglich ihrer Proliferation und ihrer Matrixsynthese positiv beeinflusst werden, sondern auch dann, wenn durch das Agens eine Beschleunigung der Degradation im vorhandenen Gewebe stattfindet. Zu diesem Zweck wurde mithilfe der Immunfluoreszenztechnik die Degradation der extrazellulären Matrix überprüft.

Demnach findet im Zellmodell die Degradation extrazellulärer Matrix unter Einfluss von Ultraschall nach acht- und elfminütiger Ultraschallexposition im Vergleich zur Kontrolle vermehrt statt [Abb. 4]. Verantwortlich für diese für die Wundheilung wichtigen Prozesse sind offensichtlich Metalloproteinasen welche durch Ultraschall induziert werden. Sowohl nach drei-, sechs, elf- und 20-minütiger Ultraschallexposition war die Konzentration der Metalloproteinasen Typ II und III nach 24 bzw. 48 Stunden deutlich angestiegen.

Verantwortlich für die Induktion der Metalloproteinasen scheint das auf der Zelloberfläche befindliche Emprin zu sein, ein aus der Tumorforschung bei Karzinomzellen bekanntes Agens. Die Aktivität und Stimulation von Emprin führt zur Freisetzung von Metalloproteinasen welche die extrazelluläre Degradation in Gang setzen. Mithilfe der Technik der Immunpräzipitation konnten wir die vermehrte Bildung von Emprin 24-48 Stunden nach der Therapie quantifizieren.

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Fazit

Mit den oben genannten Experimenten konnten wir zeigen, dass niederenergetisch gepulster Ultraschall sowohl einen positiven Einfluss auf die Zellproliferation, als auch auf die Zellmotilität und auf die Matrixsynthese mit Stimulation der Matrixdegradation hat. Ungeklärt ist bislang, welcher molekulare Mechanismus dieser Therapieform zugrunde liegt.

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Mögliche molekulare Mechanismen

Im Anschluss an die zellmorphologische Untersuchung haben wir die Genexpression bei ultraschallbehandelten Fibroblasten untersucht. Zu diesem Zweck wurden humane Hautfibroblasten der dritten bis fünften Passage stimuliert und die DNA-Synthese überprüft. Dies erfolgte mit einem Gen-Array, insgesamt wurden 8400 Gene betrachtet.

Im Zeitrahmen zwischen dem Experiment und zwei Stunden danach wurden etwa 160 Gene, im Zeitraum bis zu zwölf Stunden nach dem Experiment über 600 Gene stimuliert. Dabei handelt es sich um DNA-Sequenzen, die für Proteine der extrazellulären Matrix aber auch der Transkription sowie vieler anderer für den Metabolismus verantwortlicher Faktoren kodieren.

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Fazit

Um den genauen Mechanismus der mechanischen Zellstimulierung durch Ultraschall zu klären, sind allerdings noch weitere molekularbiologische Versuche notwendig. Denkbar wäre, dass es durch die Deformierung der Zelle zu einer Stimulierung über Integrine kommt, die dann einen intrazellulären Signalweg aktivieren, welcher die morphologisch sichtbaren Veränderungen in der Wundheilung induziert.

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Abb. 1 Mithilfe der Ultraschalltherapie konnte die geplante Unterschenkelamputation vermieden werden

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Abb. 2 Nach der Stimulation mit Ultraschall verstärkte sich die Proliferation der humanen Fibroblasten im Vergleich zur Kontrolle (keine Ultraschallbehandlung)

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Abb. 3 Unter dem Einfluss von niederenergetischem Ultraschall ist ein deutlicher Anstieg der Zellbestandteile (Kollagen I und Fibronektin) zu sehen

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Abb. 4 Werden die Fibroblasten mit Ultraschall behandelt, verstärkt sich die Degradation der extrazellulären Matrix, die intrazelluläre Matrix dagegen bleibt unbeeinflusst

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Anschrift des Verfassers

Dr. Andreas Schmelz

Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie

Universitätsklinikum Ulm

Steinhövelstr. 9

89075 Ulm

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Dr. Andreas Schmelz

Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie

Universitätsklinikum Ulm

Steinhövelstr. 9

89075 Ulm

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Abb. 1 Mithilfe der Ultraschalltherapie konnte die geplante Unterschenkelamputation vermieden werden

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Abb. 2 Nach der Stimulation mit Ultraschall verstärkte sich die Proliferation der humanen Fibroblasten im Vergleich zur Kontrolle (keine Ultraschallbehandlung)

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Abb. 3 Unter dem Einfluss von niederenergetischem Ultraschall ist ein deutlicher Anstieg der Zellbestandteile (Kollagen I und Fibronektin) zu sehen

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Abb. 4 Werden die Fibroblasten mit Ultraschall behandelt, verstärkt sich die Degradation der extrazellulären Matrix, die intrazelluläre Matrix dagegen bleibt unbeeinflusst