Zusammenfassung
Die wichtigsten Empfehlungen auf einen Blick:
1. Begutachtung:
1.1. Die Kenntnis der Leitlinie „Allgemeine Grundlagen neurologischer Gutachten” ist Voraussetzung zur Anwendung dieser Leitlinie.
1.2. Klinische Befunde, auf die früher die Diagnose einer substantiellen Hirnschädigung gestützt wurde, können auch weiterhin für die gutachterliche Anerkennung eines Zusammenhangs zwischen Beschwerden und Trauma herangezogen werden, ihr Fehlen rechtfertigt jedoch nicht die Ablehnung eines Zusammenhangs. Angesichts der großen Bedeutung der Initialbefunde sollte der Gutachter sicherstellen, dass diese ihm vollständig vorliegen.
1.3. Die Arbeitsgruppe hält die Durchführung (oder Heranziehung) einer MR-Bildgebung in jedem Fall einer kausalen Begutachtung zu den Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas, in dem die vorliegende Bildgebung keinen eindeutig positiven Hinweis ergibt, für notwendig. Diese sollte T2*-gewichtete Sequenzen enthalten.
1.4. Monate und Jahre nach SHT dominieren Störungen des Gedächtnisses, von Aufmerksamkeitsfunktionen, Antrieb und psychomotorischer Geschwindigkeit sowie frontal exekutive Defizite die neuropsychologische Symptomatik (↑). Nach diesen ist gezielt zu fragen. Da für die gutachterliche Beurteilung das Ausmaß der kognitiven Funktionsstörungen hinreichend reliabel und valide quantifiziert sein muss, ist zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs hinsichtlich des Defizitprofils und zur Quantifizierung der Defizite eine neuropsychologische Untersuchung (↑), in der Regel als neuropsychologisches Zusatzgutachten, notwendig.
1.5. So genannte „Kurztests” (z. B. Syndrom-Kurztest, Benton-Test, Mehrfachwahl-Wortschatztest) sind für die Begutachtung in keinem Fall ausreichend, ihre Validität in Bezug auf die Fragestellung ist nicht belegt (↓↓).
1.6. Eine verlässliche Fremdanamnese unterstützt die Beurteilung und Bewertung von Auswirkungen im Alltag.
1.7. Bei sehr schwerer Gewalteinwirkung treten Schädigungen von Mittelhirn- und Hirnstammstrukturen hinzu, die wesentliche pathologische Korrelate für psychomotorische Verlangsamung, aber auch Tetraspastik, Ataxie und Hypokinese darstellen. Die gutachterliche Bewertung wirft selten Probleme auf.
1.8. Kopfschmerz ist als Verletzungsfolge nach SHT ohne Hirnhautnarbe vermutlich selten (aber im ICD vorgesehen). Bei relevantem Trauma, belastender Symptomatik und glaubhafter Schilderung (und nur dann), empfehlen wir pragmatische Anerkennung im Sinne eines Spannungskopfschmerzes bei beeinträchtigungsbedingter Überlastung und evtl. Stressintoleranz.
1.9. An psychiatrischen Diagnosen sind Depressionen und Angststörungen besonders häufig. Auch posttraumatische Belastungsstörungen kommen trotz Amnesie für das Geschehen nach HT selten vor.
2. Optimierung der Versorgung im Hinblick auf die Erfordernisse einer späteren Begutachtung:
2.1. Eine qualifizierte neurologische und verhaltensneurologische Untersuchung einschließlich EEG sollte bei allen Patienten nach Schädel-Hirn-Trauma in den ersten 14 Tagen angestrebt werden (↔).
Abstract
Knowledge of the DGN/ANB guideline „General principles of medicolegal evaluation in neurology” is a prerequisite for the application of this guideline. Clinical findings that traditionally substantiated the diagnosis of structural brain damage remain valid. However, their lack does not exclude causality. The medicolegal expert must ascertain availability of all clinical documentations of the acute phase. The guideline commission considers a brain MRI necessary in all cases, in which the available imaging data do not positively indicate brain damage. The MRI assessment should include T2* weighted images. Months and years after brain injury, deficits of memory, attention and executive functions are the most prominent neuropsychological impairments. These have to be specifically addressed. If such deficits are described or assumed, a professional neuropsychological assessment is mandatory. Brief neurobehavioural tests or scores are not considered valid for neuropsychological assessment in the medicolegal context. Case history data from a third person support the evaluation of every day disability and handicap. Massive brain injury results in damage to midbrain and brainstem structures which correlates with psychomotor slowing, spasticity, ataxia, and hypokinesia. Headache is probably a rare consequence of brain injury. If there are a relevant trauma, other disabling symptoms and plausible complaints we pragmatically recommend to accept them as a tension headache caused by handicap-induced strain and stress intolerance. Following structural brain injury, depression and anxiety disorders are frequent. Post traumatic stress disorder may occur even with amnesia for the accident. We strongly recommend a qualified neurological and behavioural assessment including an EEG within a fortnight after injury in all patients who had suffered from head injury.