psychoneuro 2004; 30(9): 509-511
DOI: 10.1055/s-2004-835165
Schwerpunkt

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Was wünschen sich die Demenzpatienten und ihre Angehörigen von den Ärzten?

What do Patients with Dementia and their Relatives Wish from the Physician?Heike von Lützau-Hohlbein1
  • 1Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.
Further Information
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Korrespondenzadresse:

Heike von Lützau-Hohlbein

Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.

1. Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V.

Friedrichstraße 236, 10969 Berlin

Email: info@deutsche-alzheimer.de

Publication History

Publication Date:
04 October 2004 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Liste der Wünsche ist lang: Bei jeder Art von Kontakt zwischen Arzt und demenzkrankem Patienten und seinen Angehörigen, sei es in der Praxis, in der Klinik, bei der Rehabilitation oder im Pflegeheim, können Wünsche formuliert werden. Es mangelt weiterhin an ausreichendem Wissen und dessen Umsetzung. Die komplexe ärztliche Betreuung Demenzkranker wird nicht genügend in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung und den Abrechnungsschemata berücksichtigt.

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Summary

The list is long: expectations and hopes may be articulated at every type of contact between the doctor and patients suffering from dementia, whether in the doctor's office or the hospital, during rehabilitation or in a nursing home. There is still a lack of adequate knowledge and its implementation in practice. The complexity of the medical care needed by dementia patients receives too little attention during medical training, in continuing and further education, and in the scale of fees schemes.

Das Wesen von Wünschen liegt darin, dass sie in ihrer Vielzahl in den meisten Fällen nicht realisierbar sind. Welches Kind bekommt schon zu Weihnachten alle seine Wünsche erfüllt. Aber immer wieder füllen die Kinder Wunschzettel aus, legen sie auf die Fensterbank und warten darauf, dass der Weihnachtsmann kommt, den Zettel mitnimmt, und dann hoffen sie auf den Weihnachtstag. Ganz ähnlich geht es mir, wenn ich die folgende Wunschliste zusammenstelle. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft als bundesdeutscher Dachverband der regionalen Alzheimer Gesellschaften und Vertreterin der Demenzkranken und ihrer Angehörigen stellt seit langem Wünsche und Forderungen auf. Eine Zusammenstellung findet sich im Versorgungskonzept der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (2000) (bestellbar über Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V., Berlin, www.deut sche-alzheimer.de). In den vergangenen Jahren hat sich einiges gebessert, aber mit dem wachsenden Allgemeinwissen über die Demenz werden auch die Wünsche an die Ärzte vielfältiger.

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Wissen über die Demenz

Aus Sicht des Patienten ist es selbstverständlich, vom Arzt das aktuellste Wissen über die Demenzerkrankungen zu erwarten. Der Patient sucht den Arzt auf, er erwartet Hilfe, will ihm vertrauen. Für den Patienten wäre es hilfreich, wenn er zum Beispiel am Praxisschild erkennen könnte, ob ein Arzt eine gerontopsychiatrische Zusatzausbildung absolviert hat. In den meisten Fällen trägt der Patient seine Sorgen über die Symptome schon lange mit sich herum. Er ängstigt und schämt sich, über seine Vergesslichkeit, seinen Orientierungsverlust zu reden, und dies als Krankheitssymptom zu werten. „Altersverwirrt” oder „verkalkt” wird in noch zu vielen Köpfen als ein möglicher normaler Zustand im Alter angesehen.

Potentiell betreut jeder niedergelassene Arzt in der Bundesrepublik im Schnitt 25 demenzkranke Patienten. Bedauerlicherweise wird aber während des Medizin-Studiums und auch in der Fort- und Weiterbildung immer noch zu wenig Wissen über die Demenzerkrankungen, ihre Symptome und Behandlungsmöglichkeiten vermittelt.

Die Standards zur Diagnose der Demenz sind entwickelt, warum werden sie so häufig nicht angewendet? Nur eine qualifizierte Diagnose beseitigt die Unsicherheiten, mit denen sich der Patient konfrontiert sieht.

In den meisten Fällen ist es der Hausarzt, der die Diagnose „Demenz” stellt. Bedauerlicherweise findet häufig keine weitere detaillierte Untersuchung durch die Fachärzte und/oder spezialisierte Kliniken statt. Ein „Uhrentest” gibt vielleicht Hinweise, ist aber bei weitem nicht ausreichend. Die einsetzbaren Diagnosetests sind zum Teil beschämend für den Patienten in frühem Stadium, wenn sie nicht sensibel durchgeführt werden. Nur geschultes Personal kann mit den Kompensationsstrategien der Patienten umgehen und sie entsprechend deuten.

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Medikamentöse Therapie

Das Beste ist gerade gut genug! Wie bei anderen Krankheiten gilt dieser Leitspruch auch bei der Behandlung von Demenzerkrankungen. Es darf nicht heißen: „alt und krank”, da lohnt doch die Behandlung gar nicht mehr, so ein bisschen vergesslich werden wir doch alle! Die Erfahrungen über die Verschreibungspraxis deuten darauf hin, dass je älter und fortgeschritten krank der Patient ist, desto häufiger werden die preiswerteren älteren Medikamente verschrieben, die nachweislich weniger Wirkungen haben als die neueren.

Es ist bedauerlich, aber es scheint immer wieder notwendig, darauf hinzuweisen, dass vor allem alleinlebende Patienten auch im frühen Stadium der Krankheit schon nicht mehr in der Lage sind, den Einnahmevorschriften zu folgen. Daraus können Überdosen resultieren, die die Symptome verschlimmern, oder die Medikamente werden gar nicht genommen, weil sich der Patient nach seinem eigenen Empfinden gar nicht krank fühlt. Es wäre wünschenswert, wenn der Arzt Kenntnis von der Lebenssituation hätte und darauf reagieren würde. Außerdem fehlen meistens die Zeit und Geduld, die Dosierung individuell an den sich verlangsamenden Stoffwechsel des alternden Menschen anzupassen.

Die Verschreibung „nach Bedarf”, wie sie häufig in Pflegeheimen anzutreffen ist, kann das Pflegepersonal, das nicht genügend geschult ist, in Versuchung führen. Bei Überlastung und unruhigen Bewohnern greift man vielleicht zu schnell zum beruhigenden Medikament. Damit ist der Weg zu einer nicht wünschenswerten Versorgung bereitet.

Medikamente sollten kein „Pflaster für die Seele” des Patienten und des Angehörigen sein. Sicher ist es beruhigend, mit einer Verschreibung die Arztpraxis zu verlassen. Auch der Arzt hat wahrscheinlich ein besseres Gefühl, wenn er den Patienten nicht „mit leeren Händen” verabschieden muss. Bei entsprechendem Wunsch des Patienten und/oder der Angehörigen ist aber ein Gespräch mit einer realistischen Darstellung der Behandlungsmöglichkeiten nach einer qualifizierten Diagnose selbstverständlich.

Der demenzkranke Patient ist meistens auch noch mit anderen zum Teil altersbedingten Krankheiten belastet. Immer wieder wird von den Schwierigkeiten durch die Wechselwirkung von Medikamenten berichtet. Der Patient und seine Angehörigen brauchen einen kompetenten Ansprechpartner.

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Kommunikation zwischen Patient und Arzt

Die Kommunikation zwischen Patient und Angehörigen und dem Arzt ist im Fall der Demenz besonders schwierig. Die meisten Patienten sind alt und multimorbid. Die Diagnose ist für den Patienten und die Angehörigen nur schwer vermittelbar und Angst besetzt. Das Allgemeinwissen über die Demenz ist größer geworden, aber es ist festzustellen, dass es weiterhin wenig detailliert ist. Zu häufig wird reine altersbedingte Vergesslichkeit mit Alzheimer assoziiert. Hier gilt es aufzuklären und Angst zu nehmen, auf der anderen Seite sensibel den Weg zu einer qualifizierten Diagnose zu ebnen. Die Aufklärung der Patienten ist eine Voraussetzung für die ärztliche Therapie und für eine eigenständige Lebensgestaltung. Grundsätzlich muss das Recht der Betroffenen berücksichtigt werden, ihre Diagnose zu erfahren oder nicht. Oft wird übersehen, dass eine Aufklärung von Angehörigen oder Bezugspersonen nur mit Zustimmung des Patienten möglich ist. Die Aufklärung muss sehr behutsam erfolgen, vorzugsweise in mehreren Schritten, es muss berücksichtigt werden, wie weit der Patient in der Lage ist, den Erklärungen zu folgen.

Der Arzt erlebt den demenzkranken Patienten immer nur in einer „Momentaufnahme”. Hilfreich wäre es, wenn sich eine Partnerschaft zwischen Pflegeperson und Arzt etablieren würde. Die Person, die den Patienten rund um die Uhr begleitet und versorgt, kann die Lebenssituation umfassend darstellen. Sie ist unbedingt in ein Behandlungskonzept einzubinden. Es wäre wünschenswert, wenn der Arzt die Belastung der Hauptpflegeperson mit berücksichtigen würde, um einer pflegebedingten Krankheit vorzubeugen.

Aufgrund der gesellschaftlichen Strukturen geht die Familienunterstützung immer mehr verloren. Die Zahl der alleinlebenden alten Menschen nimmt rapide zu: Wer stützt sie? Wo finden sie den Gesprächspartner nach einer Diagnose?

Der Patient und die Angehörigen dürfen in keinem Fall mit der Diagnose allein gelassen werden.

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Nicht-medikamentöse Therapien

Es wäre wünschenswert, wenn der Arzt Kenntnis davon hätte, welche nicht-medikamentösen Therapien angeboten werden. Er sollte wissen, was dem Patienten vielleicht helfen kann, seine stärker werdenden Defizite auszugleichen. In vielen Fällen ist der langjähriger Hausarzt über das Leben seiner Patienten gut informiert. Aber häufig ist der Patient mit seinem Hausarzt alt geworden. Dadurch dass der Arzt sich mit spätestens Ende Sechzig aus dem Berufsleben zurückziehen muss, ist der Patient gezwungen, sich einen neuen jüngeren Arzt zu suchen, die Arzt-Patienten-Historie geht verloren. Um die hilfreichen Ansätze der nicht-medikamentösen Therapien dem Patienten oder auch dem Angehörigen nahe bringen zu können, braucht es Zeit. Ist diese Zeit im Praxisalltag nicht vorhanden oder wird sie nicht genommen, so wäre schon ein Hinweis zum Beispiel auf die nächstgelegene Alzheimer-Selbsthilfegruppe hilfreich.

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Beratung durch den Arzt

Das richtige Medikament ist die eine Seite, die richtige Beratung die andere. Was ist dem Patienten und seinen Angehörigen nach der Diagnose zu empfehlen? An wen können sie sich wenden? Wo finden sie Unterstützung? Wo lernen die Angehörigen, mit den Symptomen der Krankheit zurecht zu kommen? Gibt es eine Liste mit den wichtigen Telefonnummern und Adressen? Gibt es Entlastungsangebote für die Angehörigen, Laienhelfer, teilstationäre Angebote am Ort? Was ist mit spezialisierten ambulanten Pflegediensten? Hat sich im Umkreis eine Demenz-Selbsthilfegruppe etabliert? Gibt es eine Alzheimer-Gesellschaft, die mit Rat zur Seite stehen kann? Was ist zu tun bei der Einstufung in die Pflegeversicherung, beim Besuch des MDK? Alles Fragen, auf die der Patient oder der Angehörige eine Antwort braucht. Es gilt wie im vorherigen Absatz, dass sicher die Zeit im Praxisalltag zu knapp bemessen ist, aber ein Hinweis auf entsprechende Beratungsstellen kann ein „rettender Strohhalm” für den Patienten sein.

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Rehabilitation

In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, auf die Rehabilitation hinzuweisen. Es geht dabei nicht um geriatrische somatische Rehabilitation, zum Beispiel nach einem internistischen oder orthopädischen Eingriff. Der Begriff der Rehabilitation muss demenz-spezifisch definiert werden: Das Ziel dabei ist, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und noch vorhandene Fähigkeiten zu stabilisieren. Letztendlich kann durch die Rehabilitationsmaßnahmen eine Verzögerung des Eintritts der Pflegebedürftigkeit erreicht werden. Es wäre wünschenswert, wenn dieses Wissen dem Arzt präsent wäre, wenn er die Möglichkeiten der demenzbezogenen Rehabilitationsmaßnahmen kennen würde und die Ansprechpartner weitergeben könnte.

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Der Arzt und sein Umfeld

Selbstverständlich erwartet der Patient das detaillierte Wissen vom Spezialisten, dem Facharzt, aber warum sollte er den Nervenarzt aufsuchen, er ist doch nicht „verrückt”. Schon der Allgemeinarzt muss sehr aufmerksam sein, denn häufig sind es nicht die Symptome der Demenz, weshalb der Arzt konsultiert wird. Um die Diagnose qualifiziert stellen zu können und eine gute Behandlungsstrategie zu entwickeln, ist unbedingt die Zusammenarbeit der Ärzte/Fachärzte und Memory-Kliniken/Gedächtnissprechstunden sowie Alzheimer-Zentren und gerontopsychiatrischen Zentren anzustreben. Dieser Wunsch ist in einer größeren Stadt sicher einfacher zu erfüllen als auf dem Land.

Demenzkranke im Akutkrankenhaus sind für alle Betroffenen eine Herausforderung. Aber auch in diesem Umfeld ist eine auf den Demenzkranken zugeschnittene Versorgung gefordert. Es gibt leider viel zu wenig geriatrische Abteilungen, in denen das Wissen in jedem Fall vorhanden sein sollte. So finden sich Demenzkranke mit akuten Brüchen in Unfallkrankenhäusern wieder, in denen alle, angefangen vom Arzt bis zu den Krankenschwestern und Pflegern, heillos überfordert sind. Der Demenzkranke fühlt sich völlig unverstanden und hilflos.

Ist nach dem Krankenhausaufenthalt eine Rehabilitation erforderlich, muss diese in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung erfolgen. Die möglicherweise längere Verweildauer muss berücksichtigt werden, alle Therapeuten und Pfleger brauchen spezifisches Wissen, mehr Zeit und Geduld im Umgang mit dem Kranken, um die Rehabilitationsziele zu erreichen.

Betreut ein Arzt Bewohner in einer stationären Pflegeeinrichtung, stellt man häufig fest, dass die Kommunikation zwischen dem Arzt, den Pflegern und den Angehörigen nicht unproblematisch ist. Nur wenn sich alle Beteiligten als Partner in der Betreuung und Pflege des Bewohners verstehen, und der demenzkranke Bewohner im Mittelpunkt steht, ist ein würdevolles Leben möglich.

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Wünsche nicht nur an die Ärzte, sondern auch für die Ärzte

Demenz ist nur eine von vielen Krankheiten, mit denen der Arzt konfrontiert ist, dieser Tatsache sind wir uns als Vertreter der Demenzkranken und ihrer Angehörigen natürlich bewusst. Damit ein Teil unserer Wünsche Wirklichkeit werden kann, brauchen wir ein gesellschaftliches Umdenken. In den Abrechnungsschemata muss die Demenzerkrankung mit ihren Spezifika berücksichtigt werden. Der erhöhte Aufwand des Arztes für die komplexe Behandlung eines Demenzkranken muss finanziell Berücksichtigung finden.

Tab. 1 Familienstand von Frauen und Männern in verschiedenen Altersgruppen in 1999 (in Prozent)

Familienstand

Frauen 70-74

Männer 70-74

Frauen 75-79

Männer 75-79

Frauen >80

Männer > 80

Ledig

7,3

3,0

8,0

2,5

6,4

2,7

Verwitwet

40,1

11,3

56,9

17,9

78,4

34,8

Geschieden

4,8

2,6

4,7

2,1

2,1

1,7

Verheiratet, getrennt lebend

1,2

1,4

1,1

1,3

1,1

1,7

Gesamt: allein stehend

53,4

18,4

70,6

23,9

89,5

41,1

Gesamt: verheiratet, zusammen lebend

46,6

81,6

29,4

76,1

10,5

58,9

Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2002, S. 124

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