psychoneuro 2004; 30(11): 588-589
DOI: 10.1055/s-2004-837064
DGBS e. V.

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Life Charts und Soziales Rhythmustraining - Selbstmanagement mit Hilfe elektronischer Patiententagebücher

Astrid Freisen1 , Lars Schärer1 , Nane C.Biedermann1 , Jens M. Langosch1
  • 1Zentrum für die Innovative Therapie bipolarer Störungen, Abt. Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik Freiburg i. Br. (Direktor Prof. Dr. med. M. Berger)
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Korrespondenzadresse:

Dr. Lars Schärer
Dr. Astrid Freisen

DGBS e.V.

Arbeitsgruppe Neue Medien

c/o „Zentrum für die Innovative Therapie bipolarer Störungen”

Abt. Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg

Hauptstr. 5

79104 Freiburg

Email: lars_schaerer@psyallg.ukl.uni-freiburg.de

Email: astrid_freisen@psyallg.ukl.uni-freiburg.de

Publication History

Publication Date:
02 December 2004 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Behandlung der manisch-depressiven Erkrankung stellt den Arzt oft vor eine große Herausforderung. Meist ist eine Kombination von verschiedenen Medikamenten erforderlich, deren Wirksamkeit jedoch oft nur in der Monotherapie nachgewiesen ist. Detaillierte Langzeitverlaufsbeobachtungen sind nötig, um die Wirksamkeit individuell angemessen zu bewerten. Als sehr gut geeignet hat sich die NIMH Life Chart Methodik nach R. Post und G. Leverich (4) erwiesen. Der Arzt profitiert bei seiner Therapieentscheidung von der genauen Erfassung der eingesetzten Medikamente, ihrer Wirkungen und Nebenwirkungen. Gleichzeitig werden Stimmung, allgemeine Funktionsfähigkeit, Lebensereignisse und Begleiterkrankungen erfasst. Die Patienten berichten ebenfalls vom großen Nutzen dieses Verfahrens: durch die täglichen, wenig zeitaufwändigen Eintragungen ist eine aktive Mitarbeit möglich, individuelle Verlaufsmuster können identifiziert und Einflüsse psychosozialer Faktoren verifiziert werden, wodurch ein besseres Verständnis der eigenen Erkrankung erreicht wird. Die Patienten schätzen die bessere Beurteilung der Medikamentenwirksamkeit anhand der Life Charts und verwenden diese zum Erkennen individueller Frühwarnsymptome. So entwickelte sich die Life Chart Methodik zum Standard für Langzeitbeobachtungen in der Forschung und zunehmend auch in der Klinik. Zur optimalen Nutzung ist jedoch eine kontinuierliche grafische Aufbereitung der Patientendaten notwendig. Im klinischen Alltag lässt sich diese aufgrund des hohen Zeitaufwandes nicht realisieren. Um dieses Problem zu lösen, entwickelte die „Arbeitsgruppe Neue Medien” der „Deutschen Gesellschaft für bipolare Störungen” (DGBS e.V.) eine an Taschencomputer (Palm®, erhältlich ab 80,- €) adaptierte Version der Life Chart Methodik als elektronisches Patiententagebuch. Der Patient trägt täglich seine Daten in den Taschencomputer ein, diese werden dann per Modem in anonymer Form an einen Server gesendet, der das Life Chart in einer grafisch übersichtlich aufbereiteten Form als Monatsübersicht an den Patienten zurückschickt. Die arbeitsintensive Datenverarbeitung erfolgt also automatisiert.

In einer dezentralen Pilotstudie der DGBS e.V., unter Federführung der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Freiburger Universitätsklinikums, wurde dieses Verfahren getestet: Der Zeitaufwand für die täglichen Eintragungen im Handcomputer betrugt im allgemeinen nur ein bis zwei Minuten, und die Patienten gaben an, von der aktiven Anwendung des elektronischen Patiententagebuchs zu profitieren. Die Mehrzahl zog die computerisierte Version der Papierversion vor. Die Ergebnisse einer sich anschließenden Validierungsstudie, in der die Selbsteinschätzung der Patienten mit etablierten Fremdratingverfahren verglichen wurde (Inventory of Depressive Symptoms bzw. Young Mania Rating Scale), zeigen, dass das Life Chart Programm ein valides Instrument zur Einschätzung der Schwere manisch-depressiver Episoden in Langzeitbeobachtungen ist. Die hohe Akzeptanz der Methode und die erzielte Kostenersparnis führten zur Überlegung, das Life Chart um weitere Module zu ergänzen.

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Soziales Rhythmus Training

Als gut geeignet erwies sich das Soziale Rhythmus Training (SRT), das einen psychotherapeutischen Ansatz beinhaltet. Es stützt sich auf die von Ehlers C et al. postulierte „Soziale Zeitgeber Theorie” [1], nach der ein stabiler sozialer Rhythmus über die Stabilisierung des biologischen Rhythmus zu einer ausgeglichenen Stimmung führt. Biologische Rhythmen wie der Schlaf-Wach-Zyklus, die Ausschüttung von Hormonen oder die Temperaturkurve sind in akuten affektiven Krankheitsphasen gestört. Dies äußert sich in klinischen Symptomen wie dem typischen Morgentief in einer depressiven Phase oder dem oft deutlich verringerten Schlafbedürfnis in der Manie. Therapeutische Verfahren wie die Schlafphasenvorverlagerung haben die Beseitigung dieser Rhythmusstörungen zum Ziel. Auch verschiedene Antidepressiva und Lithium greifen regulierend in biologische Rhythmen ein. Der vielleicht bedeutendste Zusammenhang zwischen zirkardianer Rhythmik und affektiven Störungen zeigt sich in der Auslösung bzw. Verstärkung akuter manischer Episoden durch Schlafentzug.

In verschiedenen Experimenten wurde nachgewiesen, dass „soziale Zeitgeber” wie Mahlzeiten, Arbeitszeiten oder Schlafgewohnheiten nicht nur Einfluss auf den sozialen, sondern auch auf den biologischen Rhythmus eines Menschen haben. Eine Stabilisierung des sozialen Rhythmus kann so präventiv gegen affektive Episoden wirken.

Auf dieser Theorie basierend wurde die Interpersonelle und Soziale Rhythmus Therapie (IPSRT) [2] entwickelt. Sie fokussiert zum einen auf die Bearbeitung interpersoneller Problembereiche (IPT) [3], zum anderen auf die gezielte Stabilisierung des sozialen Rhythmus. In klinischen Studien wurde eine vorbeugende Wirkung gegen depressive Episoden beschrieben.

Um die Stabilität des sozialen Rhythmus zu messen und Unregelmäßigkeiten aufzuzeigen, wird die „Soziale Rhythmus Metrik” (SRM) [5] eingesetzt. Sie erfasst täglich zu welcher Uhrzeit 17 „zeitgebende” Aktivitäten durchgeführt werden. Gleichzeitig wird die Beteiligung anderer Personen an diesen Aktivitäten dokumentiert, denn auch die Vermeidung interpersoneller Über- bzw. Unterstimulation trägt zu einer Stabilisierung der Stimmung bei.

Der große Vorteil des Sozialen Rhythmus Trainings liegt in seiner weitgehend autonomen Anwendbarkeit durch den Patienten. Desweiteren ist eine Integration in viele gängige psychotherapeutische Verfahren möglich. Der Patient versucht, die Stabilität seines sozialen Rhythmus mit Hilfe der SRM anhand einzelner, von ihm ausgewählter Aktivitäten zu optimieren. Dazu dokumentiert er täglich, zu welcher Uhrzeit er die verschiedenen Aktivitäten durchgeführt hat. Der Kliniker fungiert primär als Berater, indem er in die Methodik einweist, Rhythmusstörungen identifiziert und den Patienten bei der Interpretation dieser Unregelmäßigkeiten und der Festlegung seiner Trainingsziele unterstützt. Für den Langzeiteinsatz ist eine graphische Aufarbeitung der Daten unabdingbar, da nur so unmittelbar Abweichungen erkannt und schon erzielte, motivierende Erfolge visualisiert werden können.

Das herkömmliche Papierverfahren ist für den Einsatz im klinischen Alltag zu aufwändig - die erhobenen Daten manuell zu bearbeiten und graphisch aufzubereiten, ist sehr zeit- und kostenintensiv. Deshalb wurde eine Life Chart analoge an Taschencomputer adaptierte Version der Sozialen Rhythmus Metrik entwickelt, die eine automatisierte Datenauswertung ermöglicht. Von Beginn an waren Patienten an der Gestaltung beteiligt, um ihre Wünsche und Bedürfnisse zu berücksichtigen und das Programm für die späteren Nutzer möglichst attraktiv zu machen. Ergebnis ist ein flexibles, individualisiertes Programm, das dem Patienten viele Freiräume für seine persönliche Gestaltung lässt. Über das Internet können unter anderem:

  • jederzeit grafische und tabellarische Auswertungen der Daten abgerufen werden

  • eigene Bezeichnungen für die „zeitgebenden” Aktivitäten gewählt werden (zum Beispiel Radio-Nachrichten statt TV-Abendnachrichten)

  • für den einzelnen Patienten nicht relevante Aktivitäten abgewählt werden

  • neue Trainingsziele festgelegt und so das Programm immer wieder der aktuellen Situation angepasst werden.

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Ergebnisse

Die in der Einführungsphase gewonnenen Erkenntnisse werden genutzt, um eine Internetversion des Programms zu erstellen. Eine Internetversion des Life Chart ist bereits verfügbar (www.lifechart.de). Beide Verfahren befinden sich zur Zeit in der Erprobung.

Übergeordnetes Ziel des Projekts ist die Bereitstellung eines elektronischen Patiententagebuchs zum effizienten Selbstmanagement, das es den Patienten im Sinne einer „Computer Aided Therapy” ermöglicht, ergänzend zur medikamentösen Therapie einen aktiven Beitrag zur Remissionsprophylaxe zu leisten.

Inzwischen hat sich ein internationales Forschungsnetzwerk gebildet, das unter anderem an der Entwicklung ergänzender Module arbeitet.

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Abb. 1 Die Abbildung zeigt einen Taschencomputer (Treo™) mit der Aktivitätenliste der Sozialen Rhythmus Metrik (SRM). In der ersten Spalte erscheint ein Herz, wenn die Aktivität zur vereinbarten Zielzeit ausgeführt wurde. Die zweite Spalte zeigt die Aktivitäten. In der dritten Spalte werden die Zeiten aufgeführt, zu der die Tätigkeit ausgeführt wurde. Die mit * markierte Spalte zeigt die Beteiligung anderer Personen.

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Literatur

  • 1 Ehlers C, Frank E. et al. . Social Zeitgebers and Biological Rhythms. A Unified Approach to Unterstanding the Etiology of Depression.  Arch Gen Psych. 1988;  45 948-952
  • 2 Frank E, Kupfer DJ. et al. . Interpersonal and Social Rhythm Therapy for bipolar disorder: Integrating interpersonal and behavioral approaches.  Behav Therapist. 1994;  17 143-149
  • 3 Klerman GL, Weisman MM. et al. .Interpersonal Psychotherapie of Depression. New York; Basic Books Inc 1984
  • 4 Leverich GS, Post RM. Life Charting of Affective Disorders.  CNS Spectrums. 1998;  3 21-37
  • 5 Monk T, Kupfer DJ. et al. . The Social Rhythm Metric (SRM): Measuring Daily Social Rhythms Over 12 Weeks.  Psych Res. 1991;  36 195-207
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Korrespondenzadresse:

Dr. Lars Schärer
Dr. Astrid Freisen

DGBS e.V.

Arbeitsgruppe Neue Medien

c/o „Zentrum für die Innovative Therapie bipolarer Störungen”

Abt. Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg

Hauptstr. 5

79104 Freiburg

Email: lars_schaerer@psyallg.ukl.uni-freiburg.de

Email: astrid_freisen@psyallg.ukl.uni-freiburg.de

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Literatur

  • 1 Ehlers C, Frank E. et al. . Social Zeitgebers and Biological Rhythms. A Unified Approach to Unterstanding the Etiology of Depression.  Arch Gen Psych. 1988;  45 948-952
  • 2 Frank E, Kupfer DJ. et al. . Interpersonal and Social Rhythm Therapy for bipolar disorder: Integrating interpersonal and behavioral approaches.  Behav Therapist. 1994;  17 143-149
  • 3 Klerman GL, Weisman MM. et al. .Interpersonal Psychotherapie of Depression. New York; Basic Books Inc 1984
  • 4 Leverich GS, Post RM. Life Charting of Affective Disorders.  CNS Spectrums. 1998;  3 21-37
  • 5 Monk T, Kupfer DJ. et al. . The Social Rhythm Metric (SRM): Measuring Daily Social Rhythms Over 12 Weeks.  Psych Res. 1991;  36 195-207
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Hauptstr. 5

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Abb. 1 Die Abbildung zeigt einen Taschencomputer (Treo™) mit der Aktivitätenliste der Sozialen Rhythmus Metrik (SRM). In der ersten Spalte erscheint ein Herz, wenn die Aktivität zur vereinbarten Zielzeit ausgeführt wurde. Die zweite Spalte zeigt die Aktivitäten. In der dritten Spalte werden die Zeiten aufgeführt, zu der die Tätigkeit ausgeführt wurde. Die mit * markierte Spalte zeigt die Beteiligung anderer Personen.