Das der Schizophrenie anhaftende Stigma stellt eines der Haupthindernisse einer erfolgreichen
Behandlung der Erkrankung dar. Unkenntnis der Ursachen, Erscheinungsformen und Behandlungsmöglichkeiten
sowie ein Mangel an Kontakt zu Betroffenen führen zu Vorurteilen und negativen Einstellungen
der Bevölkerung gegenüber schizophren Erkrankten und in der Folge zu ihrer gesellschaftlichen
Stigmatisierung und Diskriminierung [3 ]
[4 ] in Form von sozialer Ausgrenzung und Benachteiligung z.B. bei der Wohnungs- und
Arbeitssuche. Darüber hinaus führt das mit Schizophrenie verbundene Stigma zu einer
Beeinträchtigung des Krankheitsverlaufes und der Rehabilitation. Die von der Erkrankung
betroffenen Personen erleiden durch die Stigmatisierung einen Verlust ihres Selbstwertgefühles
und eine starke Verminderung ihrer Lebensqualität [10 ]. Auch die mangelhafte Umsetzung gesetzlicher Vorgaben kann sich zum Nachteil von
Schizophrenie Betroffenen auswirken. Nicht nur die Erkrankten selbst, sondern auch
ihre Familienangehörigen und Freunde sowie in psychiatrischen Institutionen Beschäftigte
sind von dem mit Schizophrenie verbundenen Stigma betroffen [11 ].
Das „Antistigma-Projekt”
Das „Antistigma-Projekt”
Zur Verringerung von Stigmatisierung und Diskriminierung auf Grund von Schizophrenie
ist es notwendig, das Wissen über die Erkrankung und die Einstellungen sowie das Verhalten
der Allgemeinbevölkerung gegenüber Menschen mit einer Schizophrenie zu verbessern.
Um dies zu erreichen, haben sich eine Reihe von Ansätzen und Strategien als wirksam
erwiesen: die Verbesserung der psychiatrischen Versorgung, Aufklärung über Ursachen
und Behandlungsmöglichkeiten, Protest gegen stigmatisierendes und diskriminierendes
Verhalten sowie der persönliche Kontakt zwischen psychisch erkrankten und nicht von
psychischer Erkrankung betroffenen Personen [13 ]
[2 ]. Diese Ansätze und Strategien werden in verschiedenen Programmen und Initiativen
weltweit angewandt, so zum Beispiel im „mhGAP - Mental Health Global Action Programme”
[12 ] der Weltgesundheitsorganisation WHO, und dem weltweiten Programm „Open the Doors”
des Weltverbandes für Psychiatrie [13 ]
[14 ], das im Jahr 1996 ins Leben gerufen und inzwischen in mehr als 20 Ländern implementiert
ist.
In zwei Projektzentren des Kompetenznetz Schizophrenie, Düsseldorf und München LMU,
wird das globale Antistigma-Programm „Open the doors” des Weltverbandes im Rahmen
des Projektes „Öffentlichkeitsaufklärung: Reduktion von Stigma und Diskriminierung
psychisch Kranker” („Antistigma”-Projekt) durchgeführt. Seit dem Jahr 2000 werden
ausgehend von beiden Zentren zahlreiche Interventionen zur Reduktion von Stigmatisierung
und Diskriminierung in verschiedenen Zielgruppen unternommen. Wie die Ergebnisse dieser
Interventionen zeigen, ist die Aufklärung der Allgemeinbevölkerung ein wichtiger Baustein
der Stigmabekämpfung, ebenso wichtig sind jedoch auf eine jeweilige Zielgruppe zugeschnittene
Maßnahmen. Zu den wichtigsten Zielgruppen der Antistigmaarbeit gehören neben der breiten
Öffentlichkeit Schüler, Journalisten, Polizeibeamte und psychiatrisches Personal.
Dementsprechend wurden seit Beginn des Projektes Interventionen in diesen Zielgruppen
durchgeführt.
Basis solcher Interventionen sind empirische Befunde aus Befragungen insbesondere
von Patienten und Angehörigen zum Erleben von Stigma und Diskriminierung sowie zur
Erfassung von Einstellungen der Allgemeinbevölkerung und der spezifischen Zielgruppen
gegenüber schizophren Erkrankten. Die Evaluation der Interventionen erfolgt mittels
Fragebogen vor und nach den Maßnahmen, die Gesamtevaluation des Antistigma-Projektes
geschieht durch zwei groß angelegte Bevölkerungsbefragungen, die prä/post mit denselben
über 7 000 Interviewten in sechs deutschen Großstädten (Düsseldorf, München, Köln,
Bonn, Berlin, Essen) in den Jahren 2001 und 2004 durchgeführt wurden. In zwei dieser
sechs Städte wurden in diesem Zeitraum Antistigma-Interventionen unternommen (Experimentalzentren),
in den vier anderen gab es keine Antistigma-Maßnahmen (Kontrollzentren). Das Antistigma-Projekt
ist mit verschiedenen anderen Studien und Projekten des Kompetenznetz Schizophrenie
verbunden, insbesondere mit den in diesem Heft dargestellten Projekten zur Früherkennung/Frühintervention,
Akut- und Langzeitbehandlung und Qualitätssicherung.
Patientenerleben von Stigma und Diskriminierung
Patientenerleben von Stigma und Diskriminierung
Ein negatives Bild über psychische Erkrankungen und von ihnen betroffenen Personen
in der Öffentlichkeit erschwert nicht nur die soziale Integration der Betroffenen,
es kann auch zu konkreten Diskriminierungsereignissen führen. In einer Befragung [5 ] unter den Patienten der psychiatrischen Klinik der Universität Düsseldorf, die vor
Beginn der Interventionen im Rahmen des „Antistigma-Projektes” durchgeführt wurde,
zeigte sich, dass es häufig Situationen im persönlichen Umgang sind, die von Patienten
als diskriminierend erlebt werden [Abb. 1 ].
Ergebnisse von Fokusinterviews [12 ] zeigen, dass ein Mangel an Interesse an der Person, der Vorgeschichte und den Bedürfnissen
von Patienten von Seiten der Behandler empfunden wird und Angehörige sich häufig aus
der Behandlungsplanung ausgeschlossen und nicht ernst genommen fühlen.
Soziale Distanz in der Bevölkerung gegenüber psychisch Erkrankten
Soziale Distanz in der Bevölkerung gegenüber psychisch Erkrankten
Die Ergebnisse der oben genannten Erstbefragung der Bevölkerung in sechs deutschen
Großstädten [6 ]
[7 ] zur Erhebung des Wissensstandes über Schizophrenie, der Einstellungen und der sozialen
Distanz der Bevölkerung gegenüber schizophren erkrankten Personen zeigten, dass die
soziale Distanz mit der Nähe der vorgestellten Beziehungssituation zunimmt: knapp
9 % der 7 246 Befragten gaben an, Angst zu haben, sich mit einem an Schizophrenie
erkrankten Menschen zu unterhalten, etwa 15 % würden sich durch einen schizophren
Kranken am Arbeitsplatz gestört fühlen. Ein Drittel wäre beunruhigt, wenn in ihrer
Nachbarschaft eine Gruppe an Schizophrenie Erkrankter einziehen würde. Über 40 % erklärten,
sie würden nicht das Zimmer z.B. in einem Krankenhaus mit einem schizophren Kranken
teilen wollen und mehr als 70 % würden jemanden mit einer Schizophrenie nicht heiraten.
Die Ergebnisse zeigten auch, dass Personen mit geringem Wissen über Verhalten, Symptome
und Behandlungsmöglichkeiten bei Schizophrenie eine stärkere soziale Distanz haben
und dass die Höhe der sozialen Distanz abhängig ist von Art und Ausmaß des Kontaktes
zu Erkrankten [Abb. 2 ].
Interventionen im Rahmen des „Antistigma-Projektes” des Kompetenznetz Schizophrenie
Interventionen im Rahmen des „Antistigma-Projektes” des Kompetenznetz Schizophrenie
Im Antistigma-Projekt des Kompetenznetz Schizophrenie wurden zahlreiche Interventionen
in den Zielgruppen „Allgemeine Öffentlichkeit”, „Schüler” und „Journalisten” durchgeführt
[8 ]
[9 ], darunter die Kunstausstellungen „Psyche und Kunst” und „Ex neuron”, eine Lesung
mit betroffenen Jugendlichen und Schauspielern des Düsseldorfer Schauspielhauses:
„Wenn die Seele überläuft”, ein Filmabend mit Podiumsdiskussion in einem Düsseldorfer
Kino mit einer Voraufführung des Kinofilms „Das weiße Rauschen”, eine Theateraufführung
im Düsseldorfer Schauspielhaus: „4.48 Psychose” und ein Benefizkonzert mit Katja Riemann
und ihrem Oktett. Weiterhin wurden populärwissenschaftliche Vorträge gehalten, Tage
der offenen Tür in der psychiatrischen Klinik der Universität Düsseldorf veranstaltet,
Lesungen und Seminare an Düsseldorfer Schulen der Erwachsenenbildung und Medien-Workshops
gegeben. Beim Düsseldorfer Medienworkshop im Jahr 2003 fand die Verleihung des ersten
„Antistigma-Förderpreises” des Vereins Open the doors in Kooperation mit der Firma
Sanofi-Synthelabo statt. Preisträger war der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern
der Angehörigen und Freunde psychisch Kranker e.V., der sich in der Angehörigen- und
Betroffenenberatung engagiert und seit einigen Jahren die Zeitschrift „Lichtblick”
herausbringt, die mit ihrem Internet-Ableger „Lichtblick-Newsletter” ein mit aktuellen
Hintergrundinformationen ausgestattetes Forum für von psychischer Erkrankung Betroffene,
Angehörige, Wissenschaftler, Ärzte und andere Interessierte bietet. Im Jahr 2004 wird
der Preis in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie
und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Firma Sanofi-Synthelabo vergeben.
Ähnlich wie die Arbeitsgruppe des Düsseldorfer Projektzentrums führt auch die „Anti-Stigma-Aktion
München” (ASAM) an der Ludwig-Maximilians-Universität Interventionen in der allgemeinen
Öffentlichkeit durch. Der Schwerpunkt von ASAM liegt in einem Kunst- und Kulturprogramm,
mit dem Wissen über Schizophrenie vermittelt, Einstellungen gegenüber psychisch Erkrankten
in der Gesellschaft verbessert und Vorurteile abgebaut werden sollen. Im Sommer 2002
wurde eine Plakat-Aktion „Künstler gegen Stigma” durchgeführt. Mitglieder der Bayerischen
Akademie der Schönen Künste, Künstler wie Günter Grass, Asta Scheib oder Siegfried
Lenz, der Intendant und das Ensemble der Kammerspiele München sowie die Münchner Philharmoniker
unterstützen ASAM namentlich im Kampf gegen das Stigma. Zu den Aktionen gehören auch
Ausstellungen wie „Radierungen von Günter Grass”, Theateraufführungen der Münchner
Kammerspiele und Lesungen auf dem „Tollywood-Festival”. Einmal im Jahr hält die Klinik
einen „Tag der offenen Tür” ab. ASAM bietet Workshops für Schüler, Studenten und Polizeibeamte
mit anschließender Klinikführung an. In Kooperation mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt
München nimmt ASAM mit der Filmreihe „Psychiatrie im Film” an den Münchner Filmkunstwochen
teil. Ein weiterer Schwerpunkt der ASAM liegt auf der Arbeit mit Journalisten als
wichtigen Multiplikatoren. Bei Veranstaltungen wie dem jährlichen Workshop „Psychiatrie
in den Medien” diskutieren Betroffene, Angehörige, Experten und Journalisten über
das Bild psychisch kranker Menschen und der Psychiatrie in der Öffentlichkeit.
Effekte und Effektivität der Interventionen
Effekte und Effektivität der Interventionen
Insgesamt wurden die genannten, evaluierten Antistigma-Interventionen vom Publikum
positiv bewertet. Die meisten der befragten Teilnehmer gaben an, nach der jeweiligen
Intervention besser über Schizophrenie, über Behandlungsmöglichkeiten und -institutionen
informiert zu sein. Die Interviewten gaben außerdem an, sich nach der jeweiligen Veranstaltung
besser in Menschen mit einer Schizophrenie einfühlen zu können und mehr Verständnis
für diese Personengruppe zu haben. Darüber hinaus konnte nach fast allen der evaluierten
Veranstaltungen eine tendenzielle Verringerung negativer, stereotyper Einstellungen
festgestellt werden. Die Evaluation des Filmabends mit dem Film „Das weiße Rauschen”
bildete hierbei jedoch eine Ausnahme [1 ]. Insgesamt wurde die Veranstaltung von den Besuchern zwar positiv bewertet. Die
Befragten waren überwiegend der Meinung, sich durch die Veranstaltung besser in schizophren
erkrankte Menschen einfühlen zu können und mehr Verständnis für sie zu haben. Jedoch
verstärkten sich einige der negativen Stereotype und die soziale Distanz nahm zu.
Ein Grund für die Zunahme negativer Stereotype und der sozialen Distanz des Publikums
kann darin zu sehen sein, dass in dem Film hauptsächlich das subjektive psychotische
Erleben und Verhalten des Protagonisten dargestellt wird und dass durch den Einsatz
bestimmter gestalterischer Mittel wie zum Beispiel das Drehen mit einer Handkamera
eine teils als bedrohlich empfundene Nähe der Zuschauer zum Darsteller erzeugt wird.
Filme, oder allgemein Antistigma-Arbeit in der Zielgruppe „Öffentlichkeit”, die sich
mehr mit Themen wie der Lebensbewältigung nach einer psychotischen Krise oder Perspektiven
der Wiedereingliederung und Rehabilitation auseinander setzt, werden vermutlich eine
positivere Wirkung auf das Publikum haben. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist das
Schaffen von Gelegenheiten zum persönlichen Austausch der Zielgruppe mit Betroffenen.
Hierbei muss neben etwaigen Besonderheiten der Zielgruppe auch die Art von Kontakt
berücksichtigt werden: Persönlicher Kontakt ist nach bisherigen Erkenntnissen besonders
dann positiv wirksam im Sinne der Reduktion von Stigma, wenn der Kontakt von Kooperation
geprägt ist und die Kontaktgruppen einen ähnlichen gesellschaftlichen Status haben.
Ausblick
Ausblick
Im Sommer 2004 wird die o.g. Nachbefragung der Bevölkerung in sechs deutschen Großstädten
mit denselben mehr als 7 000 Interviewten analog der Vorbefragung im Jahre 2001 durchgeführt.
Die Ergebnisse werden Aufschluss geben über den aktuellen Stand des Wissens der Bevölkerung
über die Krankheit Schizophrenie, über ihre Einstellungen und ihre soziale Distanz
gegenüber schizophren erkrankten Personen. Die Ergebnisse werden außerdem zur Gesamtevaluation
der Düsseldorfer und der Münchener Interventionen in der Zielgruppe „Allgemeinbevölkerung”
in den Jahren 2001 bis 2004 beitragen; sie werden zeigen, ob es gelungen ist, mit
den Interventionen die angestrebten Ziele zu erreichen: eine Verbesserung des Wissens
und eine Verringerung negativer Stereotype und sozialer Distanz gegenüber schizophren
Erkrankten. Eine andere Bevölkerungsbefragung wird in Düsseldorf stattfinden in Zusammenhang
mit der Eröffnung einer psychiatrischen Tagesklinik im Innenstadtbereich am Rande
des Geländes der Universitätskliniken. Ein weiteres Forschungsprojekt wird sich anhand
von Patientenvideos mit dem Einfluss von Labeln und der Wahrnehmung von „Fremdartigkeit”
auf gewünschte soziale Distanz gegenüber psychisch Erkrankten befassen.
Von besonderer Wichtigkeit wird die Entwicklung, Evaluation und Implementierung sogenannter
„Antistigma-Trainingsmodule” sein. Diese Trainingsmodule werden methodologische Informationen
über die Durchführung und Evaluation zielgruppenspezifischer Antistigma-Interventionen
sowie Informationen über Entstehung, Wesen und Behandlung von Schizophrenie enthalten,
auf den Bedarf der jeweiligen Zielgruppe zugeschnitten. Die Antistigma-Module sollen
es interessierten Institutionen und Personen ermöglichen, unter Anleitung zielgruppenspezifische
Interventionen selbst durchzuführen. Das in naher Zukunft einzurichtende „Kompetenzzentrum
für Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen” unter dem Dach des Kompetenznetz
Schizophrenie in der Netzwerkzentrale in Düsseldorf wird Serviceleistungen wie die
Anwendung und Evaluierung der Antistigma-Module, „Train-the-Trainer”-Seminare, e-learning-Module
und die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Trainingsmodule anbieten, um langfristig
und in bundesweiten Kooperationen zur Bekämpfung des Stigmas und der Diskriminierung
auf Grund von Schizophrenie beizutragen. Von besonderer Bedeutung ist das „Nationale
Programm zur Entstigmatisierung seelischer Erkrankungen”, eine gemeinsame Initiative
des Vereins „Open the doors e.V.” und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) unter Mitwirkung des Bundesgesundheitsministeriums
(BMGS). Das Nationale Antistigmaprogramm hat seinen Auftakt im Rahmen des DGPPN-Kongresses
2004 in Berlin und wird sich in den kommenden Jahren unter Einbezug von Betroffenen
und Angehörigen durch die Aufklärung der Bevölkerung für den Abbau von Stigma und
Diskriminierung von Menschen mit seelischen Erkrankungen einsetzen.
Abb. 1
Abb. 2