psychoneuro 2004; 30(12): 677-679
DOI: 10.1055/s-2004-862343
Brennpunkt

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

„European Alliance against Depression (EAAD)” - Europaweites Interventionsprogramm gegen Depression und Suizidalität

„European Alliance against Depression (EAAD)” - an European-wide intervention programme against depression and suicidalityUlrich Hegerl1 , Meike Wittmann1 , Tim Pfeiffer-Gerschel1
  • 1Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München
Weitere Informationen
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Korrespondenzadresse:

Dipl.-Psych. Meike Wittmann

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München

Nussbaumstraße 7

80336 München

eMail: meike.wittmann@med.uni-muenchen.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
13. Januar 2005 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Die Europäische Kommission fördert seit April 2004 ein europaweites Interventionsprogramm mit dem Ziel, die Versorgung depressiver Patienten zu verbessern. In diese „European Alliance against Depression (EAAD)” sind 18 Partner aus 16 europäischen Ländern eingebunden. EAAD fußt auf den Konzepten und Materialien, die im Rahmen des „Nürnberger Bündnisses gegen Depression”, einem Teilprojekt des BMBF geförderten Kompetenznetzes Depression, Suizidalität, entwickelt worden sind. Durch Schulungen und andere Interventionen auf den vier Ebenen „Hausärzte”, „breite Öffentlichkeit”, „Multiplikatoren” (Pfarrer, Lehrer, Medien, Altenpflegekräfte) und „Betroffene” konnte in den Jahren 2001 und 2002 in Nürnberg die Zahl der suizidalen Handlungen um mehr als 20 % reduziert werden. In den in EAAD kooperierenden Ländern werden, basierend auf einem gemeinsamen Katalog von Materialien (u.a. Videos, Flyer, Poster, Kinospot, Evaluationsinstrumente, Fortbildungspakete), zunächst modellhaft regionale Aktionsprogramme durchgeführt, die dann auf andere Regionen in den jeweiligen Ländern ausgeweitet werden. In Deutschland geschieht dies bereits im Rahmen des „Bündnisses gegen Depression e. V.” (www.buendnis-depression.de; www.EAAD.net).

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Summary

From April 2004 on, the European Commission supports a European-wide intervention programme with the aim to improve the care of depressed patients. In this „European Alliance against Depression (EAAD)” 18 partners from 16 European countries work together. EAAD is based on the concepts and materials developed in the context of the „Nuremberg Alliance against Depression”, a comprehensive intervention project being conducted in the framework of the German Research Network on Depression and Suicidality. By means of trainings and other interventions on the 4 levels „general practitioners”, „broad public”, „multipliers” (priests, teachers, media, geriatric caregivers) and „patients”, in the years 2001 and 2002 the number of suicidal acts could be reduced by more than 20 % in Nuremberg. Based on a common catalogue of materials (amongst others video tapes, flyers, posters, cinema spot, evaluation instruments, training packages), firstly the countries involved in EAAD begin with initiating action programmes on regional level being expanded to further regions in the respective countries at later stages of the project. In Germany, this is already being done within the „Alliance against Depression e. V.” (www. buendnis-depression.de; www.EAAD.net).

Laut einer weltweit durchgeführten Studie der WHO („Global burden of disease”) [1] ist die unipolare Depression eine der wichtigsten Volkskrankheiten. Berücksichtigt man die Schwere der Beeinträchtigung und die Häufigkeit und Dauer der Erkrankung liegt sie vor allen anderen körperlichen und psychiatrischen Volkskrankheiten. Depressionen beeinträchtigen wie kaum eine andere Erkrankung die Lebensqualität der Betroffenen und können aufgrund von wiederkehrenden suizidalen Krisen [2] und anderen Faktoren lebensbedrohlich sein.

Dringender Handlungsbedarf ergibt sich nun aus der Tatsache, dass zwar gute Behandlungsverfahren zur Verfügung stehen, diese aber nur bei einem kleinen Teil der Patienten optimal genutzt werden. Nur zwei Drittel der depressiv Erkrankten begeben sich in ärztliche Behandlung [3]. Sehr groß ist die Zahl derer, die ihre Erkrankung fälschlicherweise als persönliches Versagen erleben und sich scheuen, ärztliche Hilfe zu suchen.

Für den Hausarzt stellt sich wiederum die schwierige Aufgabe zu erkennen, welcher seiner Patienten an einer Depression leidet. Eine sichere Diagnose ist häufig dadurch erschwert, dass viele Patienten körperliche Symptome in den Vordergrund stellen, so dass bei mehr als der Hälfte der Patienten die zugrunde liegende Depression nicht erkannt wird [4]. Selbst wenn die Erkrankung diagnostiziert wird, wird oft nicht mit dem richtigen Medikament, der richtigen Dosierung und über eine ausreichende Zeit hinweg behandelt. Hinzu kommen Compliance-Probleme auf Seiten der Patienten und Engpässe im Bereich psychotherapeutischer Angebote. Zur Behebung dieser diagnostischen und therapeutischen Defizite dürften Interventionskonzepte am aussichtsreichsten sein, die gemeindebasiert sind und gleichzeitig auf mehreren Ebenen ansetzen [5].

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Das Nürnberger Bündnis gegen Depression

Das im Rahmen des Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität” durchgeführte Projekt „Nürnberger Bündnis gegen Depression” führte in den Jahren 2001 und 2002 ein Vier-Ebenen-Interventionsprogramm [Abb. 1] zur besseren Versorgung depressiver Patienten und zur Suizidprävention durch.

Durch Kooperation mit den Hausärzten, eine professionelle PR-Kampagne, Information und Fortbildung von Multiplikatoren (Lehrer, Pfarrer, Altenpflegekräfte, Medien) und durch Hilfsangebote für Patienten nach Suizidversuch und Förderung der Selbsthilfe konnte die Versorgungssituation verbessert werden. Die Erfassung von Suizidversuchen und Suiziden ergab in den beiden Interventionsjahren einen Rückgang um mehr als 20 % gegenüber dem Baselinejahr (2000). Dieser Rückgang war gegenüber den Zahlen der Kontrollregion Würzburg statistisch signifikant [6]. Aufgrund dieser positiven Erfahrungen führen nun im Rahmen des „Bündnisses gegen Depression e. V.” bereits 14 Regionen in Deutschland vergleichbare Programme durch und etwa 40 weitere Partnerregionen befinden sich in Deutschland in der Planungsphase.

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EAAD - ein europaweites Interventionsprogramm nach Nürnberger Vorbild

Das Projekt „European Alliance against Depression” (EAAD) baut auf den Erfahrungen und Materialien des Nürnberger Bündnisses gegen Depression auf und hat zum Ziel, in Modellregionen in verschiedenen europäischen Ländern Erfahrungen mit gemeindebasierten Mehr-Ebenen-Interventionsprogrammen zur besseren Versorgung depressiver Patienten und zur Suizidprävention zu sammeln. In einem zweiten Schritt werden die Aktivitäten dann auf andere Regionen in den jeweiligen Ländern ausgedehnt. Dieses europaweite Netzwerk besteht aus 18 Partnern aus 16 europäischen Ländern und wird seit April 2004 von der Europäischen Kommission, Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz gefördert. Die Aktivitäten in den Modellregionen in den beteiligten Ländern werden auf den folgenden vier Ebenen erfolgen:

  • Primärversorgung: Da die Mehrheit der depressiv Erkrankten sich im Bereich der Primärversorgung in Behandlung befindet, ist eine Kooperation mit hausärztlich tätigen Ärzten ein wichtiges Element. Neben Fortbildungen werden Informationsmaterialien für die Ärzte sowie Materialien (z.B. Videos) an die Ärzte ausgehändigt, die den Patienten zur Vermittlung eines Krankheitskonzeptes und zur Compliance-Förderung mitgegeben werden können. Weiter wird ein Depressions-Screening unter Verwendung des WHO-5 Well-Being Questionnaires empfohlen [7].

  • Breite Öffentlichkeit: Durch professionelle Informationskampagnen zum Thema Depression sollen Vorurteile abgebaut und den Betroffenen Mut gemacht werden, sich in professionelle Behandlung zu begeben. Öffentliche Vorträge, Podiumsdiskussionen, Aktionstage, Plakate und Kinospot sind einige der Elemente dieser Kampagne.

  • Multiplikatoren: Entsprechende Fortbildungsmaterialien für Lehrer, Pfarrer und Altenpflegekräfte wurden entwickelt. Diesen Personengruppen kommt eine wichtige Rolle bei der Erkennung von Depressionen und Suizidalität zu. Ein weiterer wichtiger Partner sind die Medien. Durch einen Medienguide soll die Berichterstattung über Suizide so beeinflusst werden, dass das Risiko von Nachahmungssuiziden minimiert wird.

  • Die Betroffenen und ihre Angehörigen: Als Elemente der Aktivitäten auf dieser Ebene sind die Gründung von Selbsthilfegruppen sowie eine Notfallkarte für Patienten nach Suizidversuch zu nennen.

Im Rahmen eines Konsensverfahrens wurde ein Katalog mit Materialien erstellt, die im Rahmen von EAAD in den kooperierenden Ländern verwendet werden können. Diese umfassen u.a. Großplakate [Abb. 2], Videos, Kinospot, Fortbildungspakete, Flyer, Evaluationsinstrumente. Obwohl diese Materialien übersetzt und an nationale Besonderheiten angepasst werden müssen, wird über ein einheitliches Layout darauf geachtet, dass das gemeinsame Gesicht von EAAD gewahrt bleibt. Eine Webseite wurde erstellt (www.EAAD.net), welche als Informationsplattform für die breite Öffentlichkeit und zur netzwerkinternen Kommunikation dient.

Einige Partnerregionen wie Island, Estland, Österreich und die Schweiz haben bereits Materialien für breit angelegte Öffentlichkeitskampagnen produziert und verteilt. In Slowenien, Belgien und Estland werden Hausärzte, Altenpfleger und Lehrer zum Thema Depression fortgebildet und, wie in Italien, Experten für Weiterbildungsmaßnahmen geschult. In Frankreich und Spanien startete das Interventionsprogramm mit der Durchführung von Auftaktveranstaltungen. Gezielte Unterstützung für Selbsthilfegruppen und besonders gefährdete Personen wurde ebenfalls bereits in Estland und Spanien initiiert.

Zur Beurteilung der Wirksamkeit von EAAD werden die Maßnahmen in den beteiligten Regionen anhand von Indikatoren, wie der Anzahl an vollendeten Suiziden und in einigen Regionen auch der Anzahl an Suizidversuchen, sowie einer Reihe weiterer Kriterien (z.B. Effektivität der Schulungen, Medikamentenverschreibungen, Diagnoseverhalten) evaluiert.

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Ausblick

Während der nächsten Monate werden zahlreiche weitere Regionen in Europa mit ihren Interventionsprogrammen und der Etablierung der lokalen Netzwerke starten. Basierend auf den Erfahrungen, die in den Modellregionen gewonnen worden sind, wird in einem zweiten Schritt eine Ausweitung der Aktivitäten auf andere Regionen in den jeweiligen Ländern im Sinne eines Bottom-up-Ansatzes erfolgen. Schon jetzt zeigt sich, dass EAAD eine einmalige Gelegenheit darstellt, um durch gemeinsames Lernen und die Identifikation von „best practice”-Modellen zu optimierten Materialien und Konzepten für gemeindebasierte Mehr-Ebenen-Interventionen zur besseren Versorgung depressiver Patienten und zur Suizidprävention zu gelangen. EAAD wird im Rahmen der Ministerkonferenz in Helsinki im Januar 2005 als eines der bürgernahen und erfolgversprechenden Projekte im Bereich mental health vorgestellt werden.

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Abb. 1

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Abb. 2

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Literatur

  • 1 Murray CJ, Lopez AD. The Global Burden of Disease: a comprehensive assessment of mortality and disability from diseases, injuries and risk factors in 1990 and projected to 2020. Cambridge: Harvard University Press 1996
  • 2 Angst J, Angst F, Stassen HH. Suicide risk in patients with major depressive disorder.  J Clin Psychiatry. 1999;  60 5-62
  • 3 Montano CB. Recognition and treatment of depression in a primary care setting.  J Clin Psychiatry. 1994;  55 18-34
  • 4 Sartorius N, Ustun TB, Costa e Silva JA. et al. . An international study of psychological problems in primary care. Preliminary report from the World Health Organization Collaborative Project on `Psychological Problems in General Health Care.  Arch Gen Psychiatry. 1993;  50 819-824
  • 5 Gilbody S, Whitty P, Grimshaw J, Thomas R. Educational and organizational interventions to improve the management of depression in primary care: a systematic review.  JAMA. 2003;  289 3145-3151
  • 6 Hegerl U, Althaus D, Schmidtke A, Niklewski G. The Alliance against Depression: Effects of a Community Based two Year Intervention on Suicidality. Arch Gen Psychiatry (submitted)
  • 7 Henkel V, Mergl R, Kohnen R, Maier W, Möller HJ, Hegerl U. Identifying depression in primary care: a comparison of different methods in a prospective cohort study.  BMJ. 2003;  326 200-201
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Korrespondenzadresse:

Dipl.-Psych. Meike Wittmann

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München

Nussbaumstraße 7

80336 München

eMail: meike.wittmann@med.uni-muenchen.de

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Literatur

  • 1 Murray CJ, Lopez AD. The Global Burden of Disease: a comprehensive assessment of mortality and disability from diseases, injuries and risk factors in 1990 and projected to 2020. Cambridge: Harvard University Press 1996
  • 2 Angst J, Angst F, Stassen HH. Suicide risk in patients with major depressive disorder.  J Clin Psychiatry. 1999;  60 5-62
  • 3 Montano CB. Recognition and treatment of depression in a primary care setting.  J Clin Psychiatry. 1994;  55 18-34
  • 4 Sartorius N, Ustun TB, Costa e Silva JA. et al. . An international study of psychological problems in primary care. Preliminary report from the World Health Organization Collaborative Project on `Psychological Problems in General Health Care.  Arch Gen Psychiatry. 1993;  50 819-824
  • 5 Gilbody S, Whitty P, Grimshaw J, Thomas R. Educational and organizational interventions to improve the management of depression in primary care: a systematic review.  JAMA. 2003;  289 3145-3151
  • 6 Hegerl U, Althaus D, Schmidtke A, Niklewski G. The Alliance against Depression: Effects of a Community Based two Year Intervention on Suicidality. Arch Gen Psychiatry (submitted)
  • 7 Henkel V, Mergl R, Kohnen R, Maier W, Möller HJ, Hegerl U. Identifying depression in primary care: a comparison of different methods in a prospective cohort study.  BMJ. 2003;  326 200-201
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Korrespondenzadresse:

Dipl.-Psych. Meike Wittmann

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München

Nussbaumstraße 7

80336 München

eMail: meike.wittmann@med.uni-muenchen.de

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Abb. 1

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Abb. 2