Z Sex Forsch 2005; 18(3): 280-286
DOI: 10.1055/s-2005-836931
Dokumentation

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kasuistik einer transsexuellen Entwicklung von Mann zu Frau[*]

Wilhelm F. Preuss1
  • 1Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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Publication Date:
12 October 2005 (online)

Erste Begegnung

Herr L., ein freundlicher, intelligenter Mann mit Halbglatze und Brille und einem eher untersetzten, männlichen Körperbau, stellte sich bei mir zu einem Erstgespräch vor. Er sei verunsichert, weil sein bisheriges Selbstverständnis, Transvestit zu sein, nicht mehr zu stimmen schien. Irgendetwas sei anders geworden mit ihm.

Ich habe damals die ersten Passagen des Erstgesprächs wörtlich notiert:

„Was führt Sie denn her?”

„Ich weiß nicht, was mit mir los ist, etwas hat sich verändert. Mein Gefühl sagt: du bist ne Frau. Mein Kopf sagt, du spinnst, das kann nicht sein! Ich fühle mich wie vernebelt, wie unter Drogen.”

„Sie wirken auf mich ratlos.”

„Ja, genauso fühl ich mich auch. Ich bat schon mal eine Kollegin von Ihnen, mich unter Hypnose zu setzen, vielleicht kann man dadurch rausfinden, was mit mir ist. Bis vor wenigen Monaten fühlte ich mich als Mann ganz okay, auch wenn ich von Zeit zu Zeit Frauenkleider angezogen hab. Ich wurde dann ruhiger und ausgeglichener. Ich dachte, ich bin ein Transvestit. Aber jetzt hat sich was verändert?”

„Können Sie genauer sagen, was sich verändert hat?”

„Ich hab jetzt das starke Bedürfnis, mich in Frauenkleidern der ganzen Welt zu zeigen: Schaut, so bin ich, so soll es sein! Ich stell mir vor, auch so zur Arbeit zu gehen … Ich möchte am liebsten bald die Barthaare loshaben. Ich sehe mich mit Brüsten … Ich wünschte mir, dass meine innere Zerrissenheit weggeht.”

Auffällig war sein Konkretismus, der mich vermuten ließ, dass er wenig psychischen Innenraum hat. Dabei erschien er mir durchaus witzig, manchmal fast humorvoll, aber eben nur fast humorvoll. In seiner Grundgestimmtheit war er traurig, resigniert, ratlos, so als wollte er sagen: „Was soll ich jetzt noch machen? Ich hab mich doch wirklich angestrengt?”

Zunächst fasste ich seine Selbstdiagnose „Transvestit” als Hinweis auf einen fetischistischen Transvestitismus auf, um erst nach einigen Wochen bei der Vertiefung der biografischen Anamnese zu realisieren, dass es sich um einen Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen handelte.

1 Überarbeitete Fassung des auf der 2. Klinischen Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung vom 24. bis 26. September 2004 in Münster gehaltenen Vortrags

Literatur

  • 1 Person E, Ovesey L. The transsexual syndrome in males. I. Primary transsexualism.  Am J Psychother. 1974;  28 4-20
  • 2 Person E, Ovesey L. The transsexual syndrome in males. II. Secondary transsexualism.  Am J Psychother. 1974;  28 174-193

1 Überarbeitete Fassung des auf der 2. Klinischen Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung vom 24. bis 26. September 2004 in Münster gehaltenen Vortrags

Dr. med. W. F Preuss

Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistr. 52

20246 Hamburg

Email: preuss@uke.uni-hamburg.de