Die Infektionsambulanz der Klinik für Geburtsmedizin am Campus Virchow-Klinikum der
Charité - Universitätsmedizin Berlin - besteht seit 1987. Einen Schwerpunkt der Arbeit
stellt die medizinische und psychosoziale Betreuung und Versorgung drogenabhängiger
schwangerer Frauen dar. Jährlich stellen sich etwa 60 neue drogenabhängige und/oder
substituierte Patientinnen in unserer Ambulanz vor, von denen ca. 45 bis zur Entbindung
durch die Infektionsambulanz betreut werden. Neben der Betreuung schwangerer süchtiger
Frauen ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit die Aufklärung über Möglichkeiten der
Familienplanung für süchtige Frauen. Bei Kinderwunsch sollen durch Vermeidung von
riskanten Konsummustern möglichst gute Voraussetzungen geschaffen werden, andererseits
zeigt die hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen bei drogenabhängigen und substituierten
Frauen, dass ein großes Defizit an Informationen über die Verhütung ungewollter Schwangerschaften
besteht (Tab. [1 ]).
Tab. 1 Vergleich der anamnestisch angegebenen Schwangerschaftsabbrüche
Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche
Perinatalstatistik Berlin (alle Geburten des Jahres 2001 in Berlin) n = 29.625
drogenabhängige Schwangere der Infektionsambulanz 1998 - 2002 n = 167
keiner
71,3 %
92 (54,4 %)
einer
12,3 %
44 (26 %)
zwei und mehr
4,6 %
18 (10,7 %)
drei und mehr
k. A.
13 (7,7 %)
Die Betreuung von süchtigen Schwangeren soll helfen, den Verlauf der Schwangerschaft
so risikoarm wie möglich zu gestalten, die Patientin gesundheitlich und sozial weitgehend
zu stabilisieren, sie in bestehende Hilfsangebote langfristig einzubinden und den
Entzug des Kindes zu minimieren bzw. wenn möglich zu vermeiden.
Für jede Patientin muss eine individuelle Behandlungsstrategie, die ein hierarchisches
Vorgehen bezogen auf die suchtmedizinischen, psychosozialen, geburtshilflichen und
anderen gesundheitlichen Anforderungen der Patientin berücksichtigt, entwickelt werden.
Oft steht eine stabile, auf die Patientin abgestimmte Substitution zunächst im Vordergrund,
gefolgt von der Regelung sozialer Grundbedürfnisse, die erfüllt werden müssen, damit
eine regelmäßige und angemessene medizinische Versorgung und Betreuung der Patientin
möglich wird.
Schwangere sind zumeist sehr motiviert, ihr bisheriges Leben und Konsumverhalten so
zu verändern, dass ihr Kind keinen Schaden erleidet und die bestmöglichen Voraussetzungen
hat. Dafür ist die Information über besonders riskante Konsummuster (Alkohol, Kokain)
und Verhaltensweisen (Promiskuität) Voraussetzung.
Wichtigste Ziele bei der Betreuung von drogenabhängigen Schwangeren sind die Verhinderung
von illegalem Drogenkonsum und die Vermeidung von Entzugssymptomen der Schwangeren,
um Komplikationen wie vorzeitige Wehentätigkeit und Frühgeburtlichkeit zu verhindern
[1 ]. Dies kann durch eine stabile Substitution mit langwirkenden Opioiden erreicht werden.
Als Substitutionsmedikamente in der Schwangerschaft bevorzugen wir L-Polamidon und
Buprenorphin. L-Polamidon hat gegenüber Methadon-Razemat den Vorteil einer größeren
pharmakologischen Sicherheit (Fertigarzneimittel, selten Auftreten von Long-QT-Syndrom
oder Torsade-des-Points beschrieben) sowie eine geringere Substanzbelastung des Neugeborenen.
Eine Einstellung der opiatabhängigen Schwangeren und die Umstellung von Methadon-Razemat
auf L-Polamidon ist jederzeit möglich und unproblematisch.
Buprenorphin führt im Vergleich zu Methadon und L-Polamidon seltener zu einem Neugeborenen-Entzugssyndrom,
das zudem in der Regel noch geringer ausgeprägt ist; es wird als Substitutionsmedikament
jedoch nicht von allen Patientinnen akzeptiert [2 ]
[3 ]. In Abb. [1 ] wird die Häufigkeitsverteilung der angewandten Substitutionsmittel dargestellt.
Abb. 1 Häufigkeitsverteilung der in der Infektionsambulanz angewandten Substitutionsmittel
im Schwangerschaftsverlauf (n = 150).
Im Schwangerschaftsverlauf wird neben der regelmäßigen gynäkologischen Schwangerenvorsorge
insbesondere eine psychosoziale Stabilisierung angestrebt. Durch eine interdisziplinäre
Betreuung, zu der im Bedarfsfall z. B. auch Psychiater und Infektiologen hinzugezogen
werden, können Risiken frühzeitig erfasst und behandelt werden. Aus suchtmedizinischer,
geburtshilflicher und neonatologischer Sicht steht die beigebrauchsfreie Substitution
im Vordergrund. Sofern dies von der Patientin angestrebt wird und es auch medizinisch
vertretbar erscheint (keine Zunahme des Beigebrauchs!), kann mit einer langsamen Dosisreduktion
(maximal 2,5 mg Polamidon/Methadon pro Woche) die Schwere und Häufigkeit eines Neugeborenen-Entzugssyndroms
reduziert werden. In Einzelfällen kann während der Schwangerschaft der komplette Opiatentzug
erreicht werden [3 ]
[4 ]
[5 ]
[6 ].
Die Entbindung einer drogenabhängigen Schwangeren sollte in einem Zentrum mit angeschlossener
Neonatologie geplant werden, da insbesondere bei polyvalentem Substanzkonsum vor der
Entbindung schwere akute Atemnotsyndrome der Neugeborenen auftreten können, die mitunter
sogar eine Intubation erforderlich machen.
Die üblichen Substitutionsmedikamente sollten in jeder Klinik jederzeit verfügbar
sein und der anamnestische und aktuelle Substanzkonsum der Patientin sowie der Status
eventuell bestehender Begleiterkrankungen, insbesondere HIV und Hepatitis, sollten
bekannt sein, damit Mutter und Kind optimal versorgt werden können.
Wenn die Mutter HIV-negativ ist, sollte die Empfehlung zum Stillen oder Abstillen
nach individuellen suchtmedizinischen und psychosozialen Gesichtspunkten getroffen
werden. Informationen zur Betreuung HIV-positiver Schwangerer finden Sie unter www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/055-002.htm
Im Wochenbett kann sich der Bedarf bezüglich des Substitutionsmedikaments und der
Tagesdosierung ändern. Um die Stabilität der Mutter nicht zu gefährden, muss dies
angemessen berücksichtigt werden.
Ein stabiles soziales Umfeld vorausgesetzt, können etwa 80 % der Kinder unserer Patientinnen
nach abgeschlossener Behandlung zur Mutter oder den Eltern entlassen werden.
Für Fragen bezüglich der Substitution und Betreuung von opiatabhängigen Schwangeren
oder Literaturanfragen stehen die Autoren gerne zur Verfügung.