Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2005; 10: 32-36
DOI: 10.1055/s-2005-858411
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Einsatz von demographischen (Langfrist-)Prognosen im Alltag - eine Argumentation am konkreten Beispiel der Abschätzung des Pflegebedarfs in Deutschland

Utilisation of Demographic (Long-Term) Prognoses in Everyday Life - Argumentation Based on the Concrete Example of Estimating the Need for Care of Aged Patients in GermanyR. H. Dinkel1
  • 1Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Rostock
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. August 2005 (online)

Zusammenfassung

Da niemand die Bevölkerungsentwicklung mit Sicherheit vorhersagen kann, sind demographische Modellrechnungen erforderlich. Bei der probabilistischen Prognose werden die Annahmenalternativen zu den drei Variablen der Bevölkerungsrechnung (Fertilität, Mortalität, Migration) mit Eintrittswahrscheinlichkeiten verknüpft. Kennzeichen einer anderen Prognosestrategie ist, dass sie alle für eine konkrete Fragestellung wesentlichen zukünftigen Risiken berücksichtigt. Das Ergebnis solcher Prognosen ist nur für diese konkrete Fragestellung relevant. Bei der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung Mitte der 1990er-Jahre bestand die wichtigste Kalkulationsgrundlage aus einer Infratest-Erhebung des Pflegebedarfs in verschiedenen Altersgruppen im Jahr 1991. Inzwischen vorliegende Auswertungen zum tatsächlichen Pflegebedarf zeigen, dass die Leistungsnachfrage in den höchsten Altersstufen wesentlich größer ist als ursprünglich geschätzt: Frauen über 90 Jahren bezogen 2001 zu etwa 60 % Leistungen der Pflegeversicherung, geschätzt war ein Anteil von etwa 30 %. Die Zahl der Bezieher stationärer Pflegeleistungen stieg von 1996 bis 2002 um rund 56 %, hätte aber aufgrund der demographischen Entwicklung nur um 7,1 % ansteigen dürfen. Nach dem vom Statistischen Bundesamt vorsichtig prognostizierten Rückgang der Mortalität bis zum Jahr 2050 wird der zukünftige Pflegebedarf ganz beträchtlich steigen. Der notwendige Beitragssatz zur Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung wird sich vervielfachen. Da die Pflegeversicherung noch am Anfang ihrer Entwicklung steht, erscheint ein grundsätzlicher Systemwechsel hin zu einer privaten Versicherung des Pflegerisikos noch möglich.

Abstract

Safe prognosis of long-term population developments is well-nigh impossible. Hence, it is imperative to attempt demographic model estimates. Population estimates are always based on three variables: fertility, mortality and migration. Their probability must be considered. Another approach to this problem would include the essential and foreseeable risks associated with these variables. The results of such prognoses are of course only relevant for the concrete problem in question. When the German government introduced statutory care insurance in the mid-nineties, calculations were based on an Infratest survey of care requirements for various age brackets that had been conducted in 1991. However, recently available assessments of actual care requirements in the highest age brackets are considerably greater than originally estimated: women who were older than 90 years accounted for 60 per cent of the total care expenditure instead of the planned approximately 30 per cent. The number of persons requiring inpatient care increased by about 56 per cent between 1996 and 2002 compared with the projected 7.3 per cent rise. Care requirements will greatly increase by 2050 if we consider the probable mortality drop estimated by the Federal German Statistics Office. This will make it necessary to multiply the required contributions to care expenditure. Since the entire statutory care system is in its infancy, we think it may still be possible to switch over to private care insurance to untie this Gordian knot.

Prof. Dr. Reiner Hans Dinkel

Lehrstuhl für Demographie und Ökonometrie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Rostock

Ulmenstraße 69

18057 Rostock

eMail: reiner.dinkel@uni-rostock.de

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