PPH 2005; 11(4): 212-219
DOI: 10.1055/s-2005-858443
Psychiatrie und Gesellschaft

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schizophrenie und Stigma

S. Hoffmann1
  • 1Sven Hoffmann ist Psychiatriepfleger und arbeitet als Pflegeexperte in der Kantonalen Psychiatrischen Klinik (KPK) Basel-Landschaft. Seit Oktober 2001 studiert er am Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel. Der Beitrag entstand als Semesterarbeit im Rahmen des Moduls „Advanced Nursing Practice” (ANP - fortgeschrittene Pflegepraxis).
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. August 2005 (online)

Seit Ende der 1980er-Jahre erhält das Problem der Stigmatisierung an Schizophrenie Erkrankter in englischsprachigen Veröffentlichungen vermehrt Aufmerksamkeit. In deutschsprachigen Veröffentlichungen wird dem seit Mitte der 1990er-Jahre Rechnung getragen. Stigmatisierte erfahren vielfache gesellschaftliche Benachteiligungen, womit ein negativer Einfluss auf Compliance und Bewältigungsstrategien einhergeht. Im Rahmen des Vulnerabilitäts-Stress-Modells können die sozialen Folgen als Stressoren wirken. Stigmatisierung ist sozial konstruiert und steht in engem Zusammenhang mit Einstellungen und Vorurteilen. Verschiedene Faktoren beeinflussen den Stigmatisierungsprozess. Ziel dieses Artikels ist es, die Stigmatisierung an Schizophrenie Erkrankter näher zu beleuchten. Was sind deren Ursprünge, wie manifestiert sie sich und was sind deren Folgen? Davon ausgehend werden Möglichkeiten des Umgangs mit Stigmatisierung - Stigma-Management und Entstigmatisierung - diskutiert und Möglichkeiten für die Pflege aufgezeigt.

Literatur

  • 1 Duden. Das Fremdwörterbuch, Duden Band 5. Mannheim/Wien/Zürich; Dudenverlag 1990
  • 2 Goffman E. Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Frankfurt am Main; Suhrkamp 1967
  • 3 Lubkin I M. Chronisch Kranksein. Implikationen und Interventionen für Pflege- und Gesundheitsberufe. Bern; Verlag Hans Huber 2002
  • 4 Finzen A. Psychose und Stigma. Stigmabewältigung - Zum Umgang mit Vorurteilen und Schuldzuweisung. Bonn; Psychiatrieverlag 2001
  • 5 Häfner H. Das Rätsel Schizophrenie. Bonn; Psychiatrieverlag 2001
  • 6 Sontag S. Krankheit als Metapher. Frankfurt am Main: Fischer, 1989. Zit. nach: Finzen A. Psychose und Stigma. Stigmabewältigung - Zum Umgang mit Vorurteilen und Schuldzuweisungen. Bonn; Psychiatrieverlag 2001
  • 7 Meyer C C. Homepage Schizophrenie.  , http://www.neuro24.de/schiz.htm (24. April 2002)
  • 8 Verein Open the doors . , www.openthedoors.com & www.openthedoors.de (Januar 2002)
  • 9 Kompetenznetz Schizophrenie . , www.kompetenznetz-schizophrenie.de (Januar 2002)
  • 10 Angermeyer M C, Schulze B. Psychisch Kranke - eine Gefahr?.  Psychiatrische Praxis. 1998;  25 211-220
  • 11 Lidz T, Fleck S. Die Familienumwelt der Schizophrenen. Stuttgart; Klett-Cotta-Verlag 1979
  • 12 Jablensky A. The 100-year epidemiology of schizophrenia.  Schizophrenia Research. 1997;  28 11-25
  • 13 Angermeyer M C, Matschinger H, Holzinger A. Akzeptanz gemeindepsychiatrischer Reformen in der Bevölkerung.  Psychiatrische Praxis. 1999;  26 16-21
  • 14 Penn D L, Guynan K, Daily T. et al . Dispelling the stigma of schizophrenia: what sort of information is best?.  Schizophrenia Bulletin. 1994;  20 (3) 567-577
  • 15 Rössler W, Salize H J, Trunk V. et al . Die Einstellung von Medizinstudenten gegenüber psychisch Kranken.  Der Nervenarzt. 1996;  67 757-764
  • 16 Hoffmann-Richter U, Alder B, Hinselmann V. et al . Schizophrenie in der „Neuen Zürcher Zeitung”.  Psychiatrische Praxis. 1998;  25 14-18
  • 17 Linde O K. Arzneimittelseminare für Angehörige. Psychosoziale Umschau 1995; 2: Zit. nach: Hoffmann-Richter U, Alder B, Hinselmann V et al. Schizophrenie in der „Neuen Zürcher Zeitung”.  Psychiatrische Praxis. 1998;  25 14-18
  • 18 Finzen A, Benz D, Hoffmann-Richter U. Die Schizophrenie im „Spiegel” - oder ist der Krankheitsbegriff der Schizophrenie noch zu halten?.  Psychiatrische Praxis. 2001;  28 365-367
  • 19 Angermeyer M C, Siara C S. Auswirkungen der Attentate auf Lafontaine und Schäuble auf die Einstellung der Bevölkerung zu psychisch Kranken, Teil 1.  Der Nervenarzt. 1994;  65 41-48
  • 20 Sontag S. Krankheit als Metapher. Frankfurt am Main: Fischer, 1987. Zit. nach: Finzen A. Psychose und Stigma. Stigmabewältigung - Zum Umgang mit Vorurteilen und Schuldzuweisungen. Bonn; Psychiatrieverlag 2001 1: 22
  • 21 Wahl O F. Mental health consumers’ experience of stigma.  Schizophrenia Bulletin. 1999;  25 (3) 467-478
  • 22 Link B, Mirotznik J, Cullen E. The effectiveness of stigma coping orientations: can negative consequences of mental illness labeling be avoided? Journal of Health and Social Behavior 1991; 32 (3): 302 - 320. Zit. nach: Lubkin IM. Chronisch Kranksein. Implikationen und Interventionen für Pflege- und Gesundheitsberufe. Bern; Verlag Hans Huber 2002
  • 23 Anonym. Aus eigener Erfahrung. Vorurteile, Urteile, Stigma.  Psychiatrische Praxis. 2002;  29 227-229
  • 24 Jorm A F. Mental health literacy: public knowledge and beliefs about mental disorders.  British Journal of Psychiatry. 2000;  177 396-401
  • 25 Grawe K, Donati R, Bernauer F. Psychotherapie im Wandel. Göttingen: Hogrefe, 2001. Zit. nach: Bauer R. Wirkungen von Beziehungspflege in der pflegerischen Praxis.  Psychiatrische Pflege Heute. 2002;  8 79-84

Anhang 1

Ergebnisse der Untersuchung von Wahl [21]:

Die wichtigste von Betroffenen empfohlene Anti-Stigma-Strategie (n = 1301) ist die

  • Schulung und Information der Öffentlichkeit über psychische Erkrankungen

Meist genannte persönliche Erlebnisse, die stigmatisierend wahrgenommen wurden:

  • 80 % der Befragten erlebten verletzende oder offensiv vorgetragene Kommentare über psychische Erkrankungen;

  • 77 % berichteten über verletzende und offensiv vorgetragene Darstellung psychischer Erkrankungen in den Medien;

  • 36 % berichteten, dass sie für weniger kompetent angesehen wurden, als bekannt wurde, dass sie psychisch erkrankt sind;

  • 27 % erhielten den Ratschlag, ihre Erwartungen an das Leben zu mindern;

  • 60 % erfuhren ablehnendes oder vermeidendes Verhalten (für 26 % oft bis sehr oft).

Als Folge gaben 74 % der Befragten an, dass sie es vermeiden, außerhalb des engsten Familienkreises über ihre Erkrankung zu sprechen. Gleichzeitig bleibt aber die Angst, entdeckt/enthüllt zu werden.

  • 32 % der Befragten wurden bei der Arbeitssuche abgelehnt, als bekannt wurde, dass sie psychisch erkrankt waren;

  • ebenfalls 32 % gaben an, dass die Behandlung abgelehnt wurde, da die Krankenversicherung die Behandlungskosten nicht übernehmen konnte;

  • 30 % gaben an, von einer Krankenversicherung abgelehnt worden zu sein, da ihre psychische Erkrankung eine „vorbestehende Bedingung” (pre-existing condition) sei.

Die beiden letzten Beispiele stellen eine besondere Situation des amerikanischen Systems dar. Nichtsdestotrotz wurde auch schon in der Schweiz bekannt, dass Menschen mit bestimmten Erkrankungen nahe gelegt wurde, einer Krankenkasse nicht beizutreten und auch nur unter Vorbehalt.

Der Autor gibt an, dass Angaben zu weiteren Diskriminierungen limitiert sind, da die meisten Befragten in „geschützten Institutionen” beschäftigt sind und bei den Eltern leben.

Anhang 2

Ausgehend von der psychischen Störung Schizophrenie, die ein auffälliges und normabweichendes Verhalten mit sich bringt, kommt es, u. a. durch die Medien beeinflusst, zu Vorurteilen gegenüber an Schizophrenie Erkrankten. Diese Vorurteile und die bestehenden Einstellungen beeinflussen sich gegenseitig und haben Ablehnung, Kontaktvermeidung oder gar Diskriminierung zur Folge. Dies entspricht dem aktiven Handeln aufgrund von Vorurteilen. Es bewirkt den Ausschluss von vollständiger sozialer Akzeptanz - die betroffene Person ist, aufgrund der Wirkung von Vorurteilen und Diskriminierung, stigmatisiert. An dieser Stelle setzt die Entstigmatisierung an. Durch Information, Aufklärung und Einflussnahme sollen Vorurteile abgebaut, Ablehnung und Diskriminierung verringert werden. Durch eine weniger ausgeprägte Stigmatisierung sollen die Folgen der Stigmatisierung gemindert werden. Das Stigmamanagement setzt bei den Betroffenen selber an. Die negativen Auswirkungen auf die Erkrankung, die sozialen Folgeerscheinungen und die Folgen für die Angehörigen sollen durch Information und Aufklärung, Psychoedukation und dem trainieren direkter Reaktionen minimiert werden. Durch die erfolgte Ich-Stärkung werden die Folgen und Auswirkungen der Stigmatisierung minimiert. Beides, sowohl die Entstigmatisierung, wie das Stigmamanagement haben einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf, die Lebensqualität und die soziale Integration.

1 Dies ist nach Link & Stueve (1994, in Angermeyer et al., 1998) nachvollziehbar, „wenn jemand sich aufgrund seines paranoiden Erlebens bedroht fühlt oder aufgrund von Ich-Störungen den Eindruck hat, die Kontrolle über sein Denken zu verlieren”. Nach Abklingen solch einer akuten Phase nimmt die Gewaltbereitschaft bis auf das Niveau der Allgemeinbevölkerung ab.

4 Das Projekt „Seitenwechsel” habe ich in der PUK Basel kennen gelernt. Zweimal pro Jahr kamen Manager einer Schweizer Großbank für eine Woche, um auf unserer Abteilung zu hospitieren. Der Einsatz wurde geplant, begleitet und evaluiert. Wir haben sehr gute Erfahrung damit gemacht.

Sven Hoffmann

Kantonale Psychiatrische Dienste Baselland

Bienentalstraße 7

4410 Liestal, Schweiz

eMail: sven.hoffmann@kpd.ch

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