Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2005; 40(8): 497-503
DOI: 10.1055/s-2005-861339
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pathophysiologie, Risikofaktoren und Risikoeinschätzung für Übelkeit und Erbrechen in der postoperativen Phase

C.  C.  Apfel1
  • 1 Department of Anesthesiology, University of Louisville
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. August 2005 (online)

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Einleitung

Während die Pathophysiologie weitgehend unklar ist, sind die relevanten Risikofaktoren gut charaktisiert: volatile Anästhetika (insbesondere bei langen Eingriffen), Opioide (v. a. postoperative PCA), weibliches Geschlecht, Nichtraucherstatus und eine Anamnese von PONV oder einer Reisekrankheit. Hingegen sind die meisten anderen Risikofaktoren entweder widerlegt (z. B. Adipositas) oder kontrovers (z. B. Operation) und somit zur Risikoeinschätzung wenig hilfreich. Erfreulicherweise lässt sich anhand weniger Risikofaktoren das Patientenrisiko recht gut einschätzen, was für eine individuelle und evidenzbasierte Strategie wichtig ist. Bei einem niedrigen Risiko ist eine Prophylaxe nicht gerechtfertigt. Hingegen scheint bei einem sehr hohen Risiko sogar eine Kombination (multimodaler Ansatz) erforderlich. Für die Praxis stehen zwei validierte Risikoscores zur Verfügung, die eine Einteilung in „Risikoklassen” ermöglichen. Aufgrund der Einfachheit und der Anwendbarkeit für andere Zentren favorisieren Apfel, Koivuranta u. Mitarb. den vereinfachten Score, der eine risikoadaptierte Prophylaxe ermöglicht. Beim Vorliegen von (ein bis) zwei Risikofaktoren (Risiko um (20 % bis) 40 %) ist eine Prophylaxe mit einem Antiemetikum sinnvoll, wobei 4 mg Dexamethason (gegeben am Anfang der Narkose) aufgrund der geringen Nebenwirkungen und des günstigen Preises Mittel der 1. Wahl sein könnte. Bei drei oder vier Risikofaktoren (Risiko um 60 % bis 80 %) kann eine TIVA mit einem oder zwei Antiemetika empfohlen werden. Alternativ könnte auch eine zwei- oder dreifache Prophylaxe mit Antiemetika erwogen werden. Der Einsatz einer TIVA anstelle eines Antiemetikums lässt aber mehr Raum für die Therapie. Dieses ist deshalb wichtig, da keinesfalls davon ausgegangen werden kann, dass eine Antiemetikakombination immer wirkt, denn auch mit einer Dreifachprophylaxe liegt die Inzidenz bei Hochrisikopatienten noch um 20 %. Ein derartiges Schema kann die Inzidenz in einer Klinik zwar erheblich senken, sollte aber nicht als Dogma interpretiert werden. So könnte aus medizinischen Überlegungen, bei denen Erbrechen den Operationserfolg oder die Sicherheit des Patienten gefährden könnte (z. B. Kieferoperation), die Indikation für eine Prophylaxe wesentlich großzügiger gestellt werden. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass eine Prophylaxe bei Risikopatienten nicht nur kosteneffektiv ist, sondern auch die Patientenzufriedenheit verbessern kann, zumal Patienten selbst den Wert einer effektiven Prophylaxe mit ca. € 50 beziffern. Sollte dennoch PONV auftreten, sollte es auf jeden Fall behandelt werden, da ohne Therapie in über 50 % der Fälle weitere Episoden von PONV auftreten. Grundsätzlich kommen die gleichen Medikamente zum Einsatz wie bei der Prophylaxe, allerdings sind hierzu wesentlich weniger Studien publiziert. Außerdem sind die therapeutischen Möglichkeiten dadurch eingeschränkt, dass eine TIVA nicht mehr gegeben werden kann und auch die Gabe von Dexamethason höchstwahrscheinlich zu spät kommt, da die volle Entfaltung der antiemetischen Wirkung mehrere Stunden benötigt. Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass eine wiederholte Gabe von Antiemetika innerhalb von 6 Stunden nicht sinnvoll ist.

Auch heute noch leiden ca. ein Drittel aller Patienten unter Übelkeit und Erbrechen nach Narkosen [1]. Die aus dem angelsächsischen Sprachraum stammende Abkürzung PONV (= postoperative nausea and vomiting) betont zwar höchstwahrscheinlich zu Unrecht den Stellenwert des operativen Eingriffs, soll aber hier zur Vermeidung von Missverständnissen beibehalten werden. PONV stellt somit, nach dem postoperativen Schmerz, die häufigste postanästhesiologische Komplikation dar. Die klinische Bedeutung wird unterschiedlich eingeschätzt: Zwar ist PONV in der Regel selbstlimitierend und extrem selten mit ernsthaften Komplikationen behaftet. Andererseits

a) wird von Patienten die Vermeidung von PONV als mindestens so wesentlich wie die Vermeidung von Schmerzen eingeschätzt 2, b) sind schwerwiegende Komplikationen wie z. B. Atemwegsobstruktion oder Pneumothorax für Betroffene sehr wohl relevant, auch wenn sie selten auftreten 3, und c) gewinnen die nicht unerheblichen, durch PONV verursachten Kosten immer mehr an Bedeutung 4.

Im Folgenden soll daher das gegenwärtig gesicherte Wissen erörtert sowie zur Klarstellung auf bestehende Irrtümer und Kontroversen hingewiesen werden. Nach kurzer Darstellung des pathophysiologischen Wissens zum Erbrechen werden die klinisch relevanten Risikofaktoren dargestellt. Darauf aufbauend wird ein etablierter Risikoscore zur Einschätzung des PONV-Risikos beschrieben, der eine risikoadaptierte Prophylaxe ermöglicht.

Literatur

Christian C. Apfel, M. D.

Assistant Professor, Department of Anesthesiology, University of Louisville ·

530 S Jackson St · 40202, KY Louisville · USA

eMail: christian.apfel@louisville. edu