Geburtshilfe Frauenheilkd 2005; 65(10): 935-937
DOI: 10.1055/s-2005-865929
Editorial

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Entwicklung der gynäkologischen Endokrinologie in Deutschland

Development and Status of Gynecological Endocrinology in GermanyF. Leidenberger
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Publication Date:
27 October 2005 (online)

Erkenntnisgewinn und Entwicklung neuer Methoden in Naturwissenschaften und Medizin verändern zum einen unsere Vorstellungen von biologischen Funktionen und ihren Störungen und schaffen neue Ansätze in der Diagnostik, Therapie und der Prävention. Zum anderen erzwingen sie Änderungen der Infrastrukturen, in denen wir unserer Tätigkeit in Lehre, Forschung und ärztlicher Tätigkeit nachgehen müssen, wenn wir in der internationalen Gemeinschaft von Wissenschaftlern und Ärzten einen signifikanten Beitrag zur Entwicklung und Blüte einer Disziplin leisten wollen.

Die Endokrinologie und Reproduktionsmedizin innerhalb der Frauenheilkunde sind eines der unzähligen Beispiele in unserem Lande, anhand deren man den Zustand unserer Gesellschaft, ihre mentale Befindlichkeit und den jahrzehntelangen Reformstau illustrieren kann. Auch in diesem Fall gibt es zumindest in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit.

Mindestens vier Methodenentwicklungen haben aus der wissenschaftlichen und klinischen Tätigkeit einiger universitärer Experten einen Schwerpunkt der täglichen frauenärztlichen Praxis gemacht: die Entwicklung der Immunoassays, neuere molekulargenetische Methoden, Ultraschallverfahren und die reproduktionsmedizinischen In-vitro-Methoden (IVF). Dazu kommen mehrere Arzneimittelentwicklungen.

Schon mit dem Aufkommen der ersten Radio-Immunoassays und des Ultraschalls Mitte bis Ende der 60er-Jahre waren die berufspolitischen Implikationen dieser neuen Techniken, nämlich die Entwicklung der frauenheilkundlichen Tätigkeit zu einer überwiegend ambulanten ärztlichen Disziplin für jeden, der sie erkennen wollte, erkennbar. Alle genannten Methoden- und Entwicklungsschübe haben aus einer nahezu ausschließlich stationären Frauenheilkunde ein überwiegend ambulantes Fach gemacht und den ambulant tätigen Frauenärzten viele neue Perspektiven geschaffen.

Ein diesem Gestaltwandel der Frauenheilkunde unmittelbar vorausgehender und parallel laufender Prozess ist die sich exponentiell entwickelnde Forschungsdynamik und der dynamische Aufbau universitärer Infrastrukturen überwiegend im englisch sprechenden Ausland:

Während Mitte der 60er-Jahre weltweit gerade einmal eine Handvoll endokrinologischer und reproduktionsmedizinischer wissenschaftlicher Journale existierten, zählt man heute ungefähr 100. An praktisch allen mehr als 100 US-amerikanischen Medical Schools können schon seit vielen Jahren Frauenärzte eine qualitativ hoch stehende Subspezialisierung „Reproductive Endocrinology“ absolvieren. Die internationale Forschungsszene wird beherrscht von den Wissenschaftlern aus den USA, Australien und anderen Ländern. Diese Wissenschaftler und die Institutionen, in die sie integriert sind, sind sich bewusst gewesen, welcher innere Zusammenhang zwischen wissenschaftlichen Spitzenleistungen und einer kritischen Forschungsmasse besteht.

Prof. Dr. med. Freimut Leidenberger

Lokstedter Damm 15

22453 Hamburg