Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2005; 31(3): B 127
DOI: 10.1055/s-2005-867121
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In welchen Fällen ist ein Bewegungstraining sinnvoll?

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Publication Date:
09 May 2005 (online)

 
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    Frage: Bei chronischem Schwindel wird aus verschiedenen Gründen oft keine eindeutige Ursache gefunden. Sollte man dann nicht ganz pragmatisch vorgehen und versuchsweise ein Bewegungstraining verordnen, vorausgesetzt der Schwindel lässt sich mit Kopfbewegungen provozieren?

    Prof. Dr. med. Thomas Brandt: Wenn sich ein Schwindel mit Kopfbewegungen auslösen lässt, spricht dies meist für eine vestibuläre Störung, also zum Beispiel für eine Funktionseinschränkung der Bogengänge oder des dazugehörigen Nervs. In diesen Fällen ist ein Bewegungstraining in der Tat sinnvoll. Denn verminderte Gleichgewichtsfähigkeiten, die den Schwindel hervorrufen, lassen sich sehr gut mit Bewegungsübungen verbessern. Grundsätzlich bietet es sich allerdings an, Menschen mit chronischem Schwindel zumindest einmalig zur Abklärung in eine auf Schwindel spezialisierte Einrichtung zu schicken. Denn zum einen sollten ernste Erkrankungen wie zum Beispiel Kleinhirn-Degenerationen, Tumoren, Durchblutungsstörungen oder auch ein beginnendes Parkinson-Syndrom nicht übersehen werden. Zum anderen lässt sich erfahrungsgemäß bei mehr als 90% der Betroffenen die Ursache des Schwindels herausfinden, was dann eine gezieltere Behandlung ermöglicht.

    Frage: An welche Schwindelursachen denken Sie?

    Brandt: Die häufigste Schwindelform älterer Menschen ist der gutartige paroxysmale Lagerungsschwindel, bei dem aufgrund kleiner Steinchen in den Bogengängen verschiedene Kopfbewegungen zu einem teilweise heftigen Drehschwindel führen. Diese Attacken können zum Beispiel beim Umdrehen im Bett auftreten oder wenn man am Bücherregal nach oben schaut. Der Schwerpunkt sollte dann auf Übungen liegen, mit denen sich die Steinchen aus den Bogengängen herausspülen lassen. Dagegen können beim phobischen Schwankschwindel, der die zweithäufigste Schwindelform darstellt - beziehungsweise bei 20- bis 50-Jährigen sogar die häufigste - und ähnlich wie Herzrasen oder Schweißausbrüche zu den Hauptsymptomen von Panikattacken zählt, verhaltenstherapeutische Maßnahmen sinnvoll sein. Zwar spielt auch dabei das Bewegungstraining eine wichtige Rolle, aber eher zur Desensibilisierung, also um die Angst vor Schwindelattacken beim Bewegen abzubauen. Leider wird der phobische Schwankschwindel jedoch oft nicht erkannt. Stattdessen erhalten viele die Verlegenheitsdiagnose zervikogener Schwindel. Abgesehen von der falschen Diagnose ist es übrigens mehr als umstritten, ob krankhafte Veränderungen der Halswirbelsäule überhaupt für einen chronischen Schwindel verantwortlich sein können.

    Frage: In der Sprechstunde ist oft wenig Zeit. Wie lassen sich die Übungen möglichst schnell vermitteln?

    Brandt: Gut geeignet sind einfache Abbildungen oder Videos. Auf den Internetseiten der Münchner Schwindelambulanz lässt sich zum Beispiel seit Dezember 2004 ein kurzer Trainingsfilm herunterladen, den man Betroffenen auch mit nach Hause geben kann (www.schwindelambulanz-muenchen.de). Ebenso kann ein Rezept für Krankengymnastik sinnvoll sein, da mittlerweile an vielen Physiotherapie-Schulen Gleichgewichtsübungen zum Lehrplan gehören. Andererseits muss sich ein solches Training nicht verkrampft auf Kopfübungen beschränken. Geeignet sind auch viele Sportarten wie Joggen, schnelles Gehen, Tennis oder verschiedene andere Ballspiele, bei denen Kopfbewegungen um mehrere Achsen erfolgen und somit das Gleichgewichtssystem geschult wird.

    Herr Prof. Brandt, wir bedanken uns für dieses Gespräch!