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DOI: 10.1055/s-2005-868109
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Leserbriefe - Abrechnung der Hüftsonographie beim Säugling
Publication History
Publication Date:
25 April 2005 (online)
Problem, betreffend die Hüftsonographieabrechnung
E-Mail von Dr. François Bossard an verschiedene Experten in Ultraschallfragen weitergeleitet:
"... neuerdings refüsieren gewisse Krankenversicherungen die Bezahlung der Hüftsonographien nach Graf im Alter von 4-6 Wochen mit der Begründung, dass gemäss einem Schreiben der Santésuisse (vom 15.11.04) diese Untersuchung zwar immer noch eine Pflichtleistung sei, aber nicht mehr als Screeninguntersuchung, sondern nur noch bei begründetem Verdacht auf Hüftdysplasie.
Dies scheint mir eine reichlich seltsame Regelung resp. Interpretation.
Hat unsere Fachgruppe oder diejenige der Pädiater dazu Stellung genommen oder Empfehlungen abgegeben?
Welche Haltung gegenüber Patient und Krankenkasse ist richtig?"
Wer weiss was dazu?
Mit freundlichen Grüssen.
Dr. med. François Bossard
mailto:francois.bossard@hin.ch
#Antwort von Dr. med. M. Schilt
Sehr geehrter Herr Dr. Bossard, sehr geehrte Kollegen,
Ihre Mail vom 22.2.05 ist mir weitergeleitet worden. Ich erlaube mir einige Klarstellungen:
Mit Beschluss des Eidg. Departementes des Innern vom 16.6.04 hatte BR Couchepin festgelegt, dass in der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) im Anhang I (diagnostische Massnahmen) unter Ziff 4 (Pädiatrie, Kinderpsychiatrie) die Hüftsonographie nach Graf bei Neugeborenen in die Pflichtleistung der obligatorischen Krankenversicherung aufgenommen wird. Als Voraussetzung gilt das Alter von 0-6 Wochen, durch speziell in dieser Methode ausgebildete Ärzte und Ärztinnen.
Soweit die rechtliche Lage.
Mit gleichem Datum hat das EDI hierzu eine Medienmitteilung veröffentlicht.
Darin wird u. a. festgehalten: ..."Es liegt in der Verantwortung des Arztes/der Ärztin, bei Notwendigkeit eine Hüftsonographie anzuordnen."...
Am 20.6.04 hatte ich mich in einer Mail bei Prof. Zeltner, Direktor des Bundesamtes für Gesundheit, erkundigt, wie der Wortlaut der Medienmitteilung "bei Notwendigkeit" zu verstehen sei, ob z. B. eine Sonographie bei einem Kinde ausserhalb der Risikogruppe (unter denen 30% aller Hüftluxationen zu finden sind) keine Pflichtleistung sei. Am Tage danach hat mich der Direktor des BAG, Prof. Zeltner, persönlich angerufen. Er hat mir ganz eindeutig versichert, dass die Hüftsonographie als Routineuntersuchung ohne Nachweis eines erhöhten Risikos eine Pflichtleistung sei. Die Ärzte müssen gegenüber dem Kostenträger keine Begründung abgeben. Der Arzt/die Ärztin entscheidet selbst, ob er/sie für die Betreuung des anvertrauten Säuglings diese Untersuchung für notwendig hält. In diesem Sinne sei auch der Satz in der obgenannten Medienmitteilung gedacht, nämlich: "Die neue Regelung gibt dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ein grösseres Gewicht".
Somit ist die Sachlage eindeutig. Eindeutig ist jedoch auch folgende Konsequenz: Die Hüftsonographie beim Säugling gilt nicht mehr als Screening, sondern als anerkannte, diagnostische Massnahme. Folglich kann die Hüftsonographie nach Graf nicht mehr mit TarMed Pos. 30.3240 abgerechnet werden, da diese Pos. gemäss medizinischer Interpretation für das Screening gilt. Wenn nun von sonographierenden Ärzten die Hüftsonographie weiterhin mit dieser Pos. 30.3240 abgerechnet wird, so kann es durchaus sein, dass die Krankenkassen die Bezahlung verweigern mit der Begründung, es gebe kein Screening mehr. Als diagnostische Massnahme muss nun die Hüftsonographie nach Graf mit Pos. 30.3250 abgerechnet werden, d. h. je einmal pro Seite.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf Folgendes hinweisen:
Die Bundesrätliche Regelung vom 16.6.04 gilt ausschliesslich für die Hüftsonographie nach Graf. Zudem muss sie von speziell in dieser Methode ausgebildeten Ärzten und Ärztinnen vorgenommen werden. Sie hat im Alter zwischen 0 und 6 Wochen (nicht zwischen 4 und 6 Wochen) zu erfolgen. Diese Bedingungen gelten seit 1.1.1997, d. h. seit die Hüftsonographie nach Graf erstmals in den Katalog der Pflichtleistung der obligatorischen Krankenversicherung aufgenommen wurde.
Zum Schluss noch eine Klarstellung:
Die FMH-Kommission Hüftsonographie ist nicht befugt, Streitigkeiten zwischen den Leistungserbringern (Ärzteschaft) und den Versicherern (Krankenkassen) zu schlichten. Gültig sind einzig die gesetzlichen Vorgaben (s. oben).
Die FMH-Hüftkommission hat sich aber - zusätzlich zu den von der FMH übertragenen Pflichten - vehement und über Jahre für die Weiterführung des Hüftsonographie-Screenings als Pflichtleistung eingesetzt. Der im März 2001 im Namen von allen betroffenen Fachgesellschaften und Gruppierungen (auch der SGMR) eingereichte Antrag (umfangreiches Dossiers mit eingehender Begründung und Literaturübersicht) wurde als ungenügend eingestuft, ohne Angabe, in welcher Hinsicht dieses Ungenügen sei. Auch Vorschläge für weitere Studien wurden nur teilweise akzeptiert, insgesamt aber als unzureichend taxiert. Schliesslich haben die Bundesbehörden selbst ein Gutachten ('systematic review' der Literatur) in Auftrag gegeben, wobei keine Fachleute für Sonographie oder Kinderorthopädie mitgewirkt hatten. Aus den absolut wirklichkeitsfremden Schlussfolgerungen sind uns Antragstellern Auflagen für eine Studie gemacht worden, die ständig bis zur Undurchführbarkeit erweitert worden sind und zu einem unverhältnismässigen (nutzlosen!) Planungsaufwand führten. Schliesslich hat auch die Nationale Ethikkommission (NEK) die Unzulässigkeit der behördlich geforderten Studie festgestellt. Trotzdem hat die Eidg. Leistungskommission, welcher im April 2004 erneut ein umfangreiches Dossier übergeben wurde, den Antrag zum 3. Mal abgelehnt!
In dieser ausweglosen Situation hat eine Gruppe aus den Sektionen Pädiatrie und Bewegungsapparat der SGUM eine Pressekampagne lanciert und die drohende Streichung des jahrelang bezahlten Hüftsonographie-Screenings an die Öffentlichkeit gebracht. Schliesslich hat BR Couchepin ab 1.7.04 die obgenannte Regelung auf unbefristete Dauer in Kraft gesetzt.
Aus dieser Klarstellung geht hervor, dass die FMH-Kommission Hüftsonographie niemals eine Liste der Indikationen für eine Hüftsonographie aufgestellt hat. Einzig für die von den Behörden geforderte Studie musste eine Unterteilung zwischen Verdacht und ohne Verdacht vorgenommen werden. Diese ohnehin fragwürdie Unterscheidung ist in Bezug auf die bundesrätliche Regelung bedeutungslos (s. Aussage des Direktors des BAG).
Ebensowenig hat die Hüftkommission eine Empfehlung erarbeitet, dass die Hüftsonographie im Alter von 4-6 Wochen vorzunehmen sei. Immer wieder wird die Behauptung kolportiert, der beste Zeitpunkt für eine Hüftsonographie sei nicht unmittelbar nach der Geburt, sondern im Alter von 4 Wochen (wobei die Grenze von 6 Wochen wegen der Rückvergütung der KK nicht zu überschreiten sei). Diese Behauptung entbehrt jeglicher Begründung! Im Gegenteil können Studien belegen, dass bei einer sehr frühzeitigen Untersuchung (= erste Lebenswoche) gesamthaft nicht höhere Kosten anfallen, jedoch die Therapie (wo sie notwendig wird) viel einfacher, erfolgreicher und kostengünstiger ist. (Dabei ist es natürlich gleichgültig und lediglich eine organisatorische Frage, ob diese Erstuntersuchung stationär in der Geburtsklinik oder kurz nach Spitalaustritt ambulant vorgenommen wird!).
Ich hoffe, mit meinen Ausführungen zur Klärung der Situation beitragen zu können, und grüsse Sie freundlich
Ihr M. Schilt, Luzern
mailto:dr@schilt.com