ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2005; 114(6): 253
DOI: 10.1055/s-2005-871717
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Krankheit und Armut

Cornelia Gins
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Publication Date:
20 June 2005 (online)

Eine beunruhigende Nachricht ist kürzlich zu lesen gewesen: In Deutschland wächst die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung. Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage und der Arbeitsmarktreform ist die Zahl seit Anfang des Jahres offenbar gestiegen. Experten schätzen die Zahl der Nichtversicherten auf bis zu 300000. Das Problem betrifft vor allem 3 Gruppen: Gescheiterte Selbstständige, die vorher privat versichert waren. Kleinunternehmer, die aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten bewusst das Risiko eingehen, ihre Arztrechnung im Krankheitsfall selbst zu bezahlen. Sowie Arbeitslose, die ihre gesetzliche Krankenkassenmitgliedschaft verloren haben, aufgrund der Tatsache, dass sie sich selbst um ihren Versicherungsschutz kümmern müssen, sofern sie in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben und daher ihr Antrag auf Arbeitslosengeld II abgelehnt wurde. Betroffen sind also Personenkreise, die noch nicht so arm sind, dass das Sozialamt für sie zuständig ist. So kann aber Krankheit ganz schnell zu einem unüberschaubaren finanziellen Risiko werden. Aus Angst vor Kosten wird die Folge sein, dass die Patienten erst gar nicht zum Arzt gehen.

Auch die Patientengruppe, für die die Sozialhilfe zuständig ist, kommt seit letztem Jahr nur in die Praxen, wenn es gar nicht mehr anders geht. Sie müssen seit 2004 1 % ihres Einkommens für ihre medizinische Versorgung erst einmal selber aufbringen. Praxisgebühr und Zuzahlungen zu Medikamenten - das ist ad hoc sehr viel Geld. Auch viele Ältere bleiben den Praxen fern, da sie das Prozedere um die Berechung der maximal 2 % ihres Einkommens, so ist es ja von der Gesundheitsreform vorgesehen, nicht mehr durchschauen. Berlin ist ein signifikanter Gradmesser für die neue Gesundheitsreform. Seit Einführung der Reform sind die Arztbesuche bis zu 20 % zurückgegangen. Auch Zahnarztpraxen sind im nicht unerheblichen Maße betroffen, vor allem seit dem Start der neuen Prothetikverträge zu Beginn dieses Jahres.

Dass etwas gegen die ständig steigenden Kosten im Gesundheitswesen getan werden musste, ist nicht zu bestreiten, und die Bilanz des letzten Jahres sah ja auch nicht schlecht aus. Im Gegenteil, sie war sogar so gut, dass gleich das Salär der Krankenkassenvorstände erhöht wurde, aber das steht auf einem anderen Blatt. Da keiner, welcher politischen Couleur auch immer, wirklich funktionierende Konzepte in der Tasche hat, wird die soziale Schere wohl weiter auseinander gehen. Eine Tatsache, von der wir geglaubt haben, dass sie Deutschland, verwöhnt von einstiger Vollbeschäftigung und Wirtschaftswunder, nie wieder treffen könnte. Die wirtschaftliche Basis unserer Praxen wird davon nicht unberührt bleiben. Ob die Versuche zur Neuausrichtung der Zahnheilkunde hin zu Rundum-Ästhetik, Wellness und Beauty, neudeutsch Wohlfühlzahnmedizin, alles im Rahmen der privaten Liquidation, vor diesem Hintergrund die Zukunft der Praxen sichern wird?

Unser ethisch-medizinischer Auftrag ist vielleicht doch ein anderer.

Dr. med. dent. Cornelia Gins