In der Theorie bestehe große Einigkeit über die Bedeutung der (Akut-) Schmerztherapie,
meinte Prof. Chr. Maier, Bochum. Doch in den letzten zehn Jahren habe sich europaweit
praktisch nichts getan. Betroffen sind jedoch nicht nur operative, sondern auch konservative
Abteilungen, das haben unter anderem die Ergebnisse der Daten aus der Initiative "Schmerzfreies
Krankenhaus" ergeben. Die Ursachen für 'zu viel Schmerz' beruhen dabei überwiegend
auf der fehlerhaften Umsetzung bekannter Prinzipien, Inkompetenz und mangelnder interprofessioneller
Kooperation. Auch Leitlinien sind derzeit nur unzureichend im klinischen Alltag implementiert,
was sich unter anderem dadurch widerspiegelt, dass die Pflegenden den betreuenden
Arzt häufig zu Hilfe holen müssen. Das größte Versorgungsproblem besteht dabei übrigens
in der Nacht, hier leiden zirka 60% der Patienten an Schmerzen.
"Die Situation in den Kliniken ist also verbesserungswürdig", meinte Maier, "aber
wir haben eine Chance!" Nur eine wichtige Maßnahme ist die Einrichtung eines effizienten
Akutschmerzdienstes. "Ohne diesen ist kein nachhaltiger Fortschritt möglich", so Maier.
Ein Akutschmerzdienst kann dazu beitragen, die Prozessabläufe im klinischen Schmerzmanagement
zu verbessern, zum Beispiel bei der patientenkontrollierten Analgesie (auch bei Kindern!)
- sei es in ihrer Effektivität, der Vermeidung unerwünschter Ereignisse oder der Schmerzchronifizierung.
Interdisziplinäre Konzepte führen zum Erfolg
Interdisziplinäre Konzepte führen zum Erfolg
"Die Basis einer optimierten Therapie chronischer Schmerzen ist ein ungestörtes Vertrauensverhältnis
zum Patienten", betonte Dr. R. Sittl, Erlangen. Erst dann können alle anderen eingeleiteten
Maßnahmen, angefangen von der medikamentösen Therapie über eine Sporttherapie bzw.
medizinisches Training, einer psychologischen Betreuung bis hin zu Entspannungsübungen
richtig greifen. Da chronische Schmerzen in der Regel nur bis zu einem gewissen Grad
reduziert werden können, profitieren Betroffene seiner Erfahrung nach von einem solchen
interdisziplinären, multimodalen Konzept in besonderem Maße. "Dabei ist es von außerordentlicher
Bedeutung, den Patienten zu aktivieren und ihm eine hohe Eigenverantwortlichkeit zuzubilligen",
fügte Sittl hinzu.
Auswahl der Medikation nach Schmerzentität
Auswahl der Medikation nach Schmerzentität
Ganz klar: Die Basis bei der Auswahl des Analgetikums müssen die pathophysiologischen
Grundlagen des Schmerzgeschehens sein:
-
zentrale Sensibilisierung (Allodynie): Opioide, Antidepressiva, NMDA-Agonisten, GABA-Agonisten
-
periphere Sensibilisierung: nichtsteroidale Antirheumatika , Lidocain lokal, Kortikosteroide
-
ektopische Reizbildung, Spontanaktivität (einschießender Schmerz): Carbamazepin, Gabapentin
-
sympathisch afferente Kopplung: Sympathikusblockade, a-Blocker.
"Auch für komplizierte Schmerzen reicht eine Therapie mit drei Substanzen aus dieser
Palette aus", meinte Sittl. Allein die richtige Auswahl der Analgetika ist jedoch
nicht genug, sie müssen zudem korrekt dosiert und in einem Zeitintervall appliziert
werden, der an Galenik, Halbwertszeit und Schmerzintensität angepasst ist.
Paracetamol zum Beispiel wirkt nicht bei akuten Schmerzen, kann aber Hyperalgesien
verhindern und eignet sich daher nach Meinung Sittls besonders im Rahmen einer Kombinationstherapie
zum Einsatz bei neuropathischen Schmerzen, Hypovolämie, pulmonaler Spastik, Atopie.
Metamizol dagegen ist bei akuten starken Schmerzen indiziert, aber auch bei kolikartigen,
inflammatorischen oder neuropathischen Schmerzen.
Ein besonders vielseitiges Einsatzspektrum haben Opioidanalgetika. Allerdings seien
Opioide keine Wundermittel, warnte Sittl. Sie eignen sich zwar nicht nur zur Behandlung
von Tumorschmerzen, auch bei nichttumorbedingten Schmerzen können sie dazu beitragen,
die Beschwerden der Patienten zu lindern. Dabei sind jedoch einige Grundregeln zu
beachten: So sollten Opioide in diesem Fall erst nach einer eindeutigen interdisziplinären
Schmerzdiagnostik verabreicht werden, wenn Nichtopioide und Koanalgetika keine Wirkung
zeigen. Zudem müssen vor Therapiebeginn psychogene Schmerzursachen ausgeschlossen
sein. Auch Ziele und Dauer der Behandlung sowie eine mögliche Begleitmedikation sind
schon vor dem Therapiestart exakt festzulegen, zum anderen sind die Wirkung und Nebenwirkungen
regelmäßig zu kontrollieren.
Sinnvoll eingesetzt kann man also gut mit diesen Substanzen arbeiten. In Deutschland
werden jedoch gerade transdermal applizierte Opioide aufgrund ihrer einfachen Handhabung
inzwischen unreflektiert eingesetzt. "Hier zu Lande kann man schon fast von einer
'Pflasterseuche' sprechen", stimmte Maier zu.
Relativ neu auf dem Markt ist die Substanz Pregabalin, die zur Behandlung neuropathischer
Schmerzen zugelassen ist. Sittl berichtete von einer eigenen kleinen Anwendungsbeobachtung:
"28% der Patienten, deren Schmerzen mit Gabapentin nicht kontrolliert werden konnten,
erfuhren unter der Pregabalintherapie eine deutliche Schmerzreduktion."
Schmerztherapie bei Kindern
Schmerztherapie bei Kindern
Schmerzen bei Kindern wurden über viele Jahrzehnte nur unzureichend beachtet und therapiert.
Immer noch bestehen häufig Unsicherheiten über anzuwendende Substanzen und deren Dosierung.
"Doch im Grunde funktioniert die Schmerztherapie bei Kindern wie bei Erwachsenen",
stellte Dr. J. Berrang, Datteln, fest. "Auch bei Kindern erfolgt das Schmerzmanagement
nach dem WHO-Stufenschema. Und natürlich sind ebenfalls regelmäßige Applikationsabstände
einzuhalten (Therapie nach der Uhr), eine bedarfsorientierte Therapie ist obsolet."
Schwierig jedoch ist es bei Kindern, die Stärke des Schmerzes zu messen. Doch sogar
bei Säuglingen und Kleinkindern bis zu vier Jahren gibt es hierzu objektivierbare
Kriterien wie die KUSS[1]-Skala (Tab. [1]). 15 Minuten lang werden alle Beobachtungen gezählt und die zugehörigen Punktwerte
addiert. Ab einem Wert von vier Punkten ist eine Schmerztherapie indiziert. "Überprüfen
Sie die Kriterien relativ häufig", forderte Berrang, "insbesondere im postoperativen
Bereich!" Etwas leichter wird es bei Kindern ab dem Alter von etwa vier Jahren, denn
hier stehen verschiedene visuelle Schmerzskalen zur Verfügung. "Immer vorausgesetzt,
dass Sie diese den Kindern kindgerecht erklären, lässt sich die Schmerzintensität
mit solchen Smiley-Skalen sehr gut erfassen," meinte Berrang.
Quelle: DGIKM-Symposium "Interdisziplinäre Schmerztherapie" im Rahmen des 54. Deutschen
Ärztekongresses Berlin