psychoneuro 2005; 31(7/08): 351
DOI: 10.1055/s-2005-915953
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Hoch gereinigt, geringe Antigenität und wirksam - Neues Botulinum Neurotoxin Typ A ohne Komplexproteine

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Publication Date:
07 September 2005 (online)

 
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Zur Langzeitbehandlung von fokalen Dystonien hat Merz ein reines Botulinum Neurotoxin Typ A entwickelt, das am 3. Juni dieses Jahres unter dem Handelsnamen Xeomin® in Deutschland zugelassen wurde. Experten der Therapie mit Botulinumtoxin diskutierten die vorliegenden Erfahrungen und Studienergebnisse auf dem 16th International Congress on Parkinson's Disease and Related Disorders in Berlin.

Die intramuskuläre Injektion von Botulinumtoxin gilt heute als die erfolgversprechendste Therapie bei fokalen Dystonien und wird auch erfolgreich bei anderen Erkrankungen mit erhöhtem Muskeltonus eingesetzt. Der Behandlungserfolg kann jedoch durch die Bildung von neutralisierenden Antikörpern eingeschränkt werden, wie Prof. Dirk Dressler, Rostock, vorstellte. Ob neutralisierende Antikörper gebildet werden und wie viele, ist dabei von verschiedenen Faktoren abhängig, z.B. der Reinheit des Toxins, der Dosierung und dem Injektionsintervall. Merz ist es jetzt gelungen, in einem aufwändigen Arbeitsprozess das Toxin so zu reinigen, dass nur noch die aktiven reinen Bestandteile des Toxins enthalten sind. Die spezifische biologische Aktivität, d.h. die therapeutische Wirksamkeit im Verhältnis zur applizierten Menge an aktivem und inaktivem Botulinum Neurotoxin, konnte so deutlich erhöht werden. Liegt sie bei Xeomin® bei 167 Mauseinheiten pro ng der Botulinumtoxin-Formulierung, beträgt sie für Botox® 20, Dysport® 33,3 und NeuroBloc® 2,5 Mauseinheiten pro ng Botulinum Neurotoxin. Bei der Herstellung von Botulinumtoxin, das von dem Bakterium Clostridium Botulinum synthetisiert wird, entsteht in der Regel ein hochmolekularer Komplex aus dem eigentlichen Neurotoxin und Komplexproteinen. Bei Xeomin® werden alle zusätzlichen Komplexproteine (Hämagglutinine und nicht-toxische Begleitproteine) in mehreren Schritten abgetrennt. Diese nichtaktiven Bestandteile sind möglicherweise auch an der Bildung neutralisierender Antikörper beteiligt. Unter einer Behandlung mit Xeomin® könnte das Risiko einer Antikörperentwicklung demnach reduziert werden. Zumindest im Tierversuch konnte diese Hypothese bereits bestätigt werden. Während in einer kleinen Studie mit je 20 Kaninchen nach 36 Wochen und je neun Injektionen unter Botox® 20% (4 von 20) der Tiere neutralisierende Antikörper entwickelten, wurden unter Xeomin® keine neutralisierenden Antikörper nachgewiesen. Dr. Jörg Blümel, Merz, schlussfolgerte, dass Xeomin® demnach zumindest in den präklinischen Studien nicht zur Bildung von neutralisierenden Antikörpern führt.

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Wirksamkeit und Sicherheit bei Blepharospasmus

In den Zulassungsstudien wurden Wirksamkeit und Sicherheit des neuen Botulinum Neurotoxins Typ A untersucht. Prof. Wolfgang Jost von der Klinik für Diagnostik, Wiesbaden, stellte die Ergebnisse einer doppelblinden Multicenterstudie aus Europa und Israel vor, in der Xeomin® mit Botox® bei 304 Patienten mit Blepharospasmus verglichen wurde (Jost et al. J Neurol Transm 2005). Zuvor hatten alle Patienten im Durchschnitt über vier Jahre Botox® erhalten.

In der aktiv kontrollierten Studie erhielten dann zu Behandlungsbeginn randomisiert 148 Patienten eine Injektion mit Xeomin® oder Botox® (152 Patienten), jeweils 15-80 Units. Die Wirksamkeit von Xeomin® nach drei Wochen hinsichtlich der Schwere und Frequenz der Symptomatik sowie der Verbesserung der Aktivitäten des täglichen Lebens wurde als mindestens genauso gut wie Botox® eingestuft. Im Vergleich zu den Ausgangswerten verbesserten sich die Ergebnisse signifikant. Zur Bewertung wurde hierbei die Jankovic Rating Scale (JRS) und der Blepharospasm Disability Index (BSDI) hinzugezogen. Auch die Nebenwirkungen, die über 16 Wochen beobachtet wurden, waren unter Xeomin® statistisch nicht signifikant häufiger als unter dem Vergleichspräparat. Die häufigste Nebenwirkung war Ptosis, die bei 6,1% der Patienten unter Xeomin® und 4,5% unter Botox® beobachtet wurde. Neue Nebenwirkungen wurden nicht berichtet. "Xeomin® ist demnach vergleichbar gut verträglich wie Botox®", erklärte Jost.

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Wirksamkeit und Sicherheit bei zervikaler Dystonie

Auch bei zervikaler Dystonie profitieren die Patienten von Xeomin® mindestens genauso gut wie von Botox®, fasste Prof. Reiner Benecke die Ergebnisse der bisher größten multizentrischen, randomisierten Doppelblindstudie zusammen (Benecke et al. Neurology 2005). 466 Patienten mit rotatorischer zervikaler Dystonie, die zuvor bereits mit Botox® vorbehandelt worden waren, erhielten randomisiert entweder 70-300 Units Xeomin® oder Botox®. Wie anhand der Toronto Western Spasmodic Torticollis Rating Scale (TWSTRS) und der Visual Analogue Scale (VAS) bewertet wurde, war die Wirksamkeit von Xeomin® nach vier Wochen im Vergleich zum Ausgangswert vergleichbar mit der von Botox®. In allen bewerteten Parametern und den berichteten Nebenwirkungen wurden keine Unterschiede im Vergleich zur Vergleichspräparation beobachtet. Die mediane Dauer des Effektes unter Xeomin® betrug 110 Tage, unter Botox® 109,5 Tage.

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Fazit

Wirksamkeit und Sicherheit von Xeomin® entsprechen dem Standardpräparat Botox®. Beide Botulinumtoxine sind in den untersuchten Parametern vergleichbar. Ob die im Tiermodell bestätigte geringere Antigenität von Xeomin® auch bei Patienten klinisch relevant ist, muss noch in Langzeituntersuchungen belegt werden.

KW

Satellitensymposium "A novel botulinum toxin A" am 8.6.05 im Rahmen des 16th International Congress on Parkinson's Disease and Related Disorders in Berlin, unterstützt von Merz Pharmaceuticals GmbH, Frankfurt/Main