psychoneuro 2005; 31(7/08): 354
DOI: 10.1055/s-2005-915955
Im Gespräch

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Jeder zweite Parkinsonpatient leidet auch unter Depressionen

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Publication Date:
07 September 2005 (online)

 
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    Sehr häufig wird die Parkinsonsymptomatik von Depressionen begleitet. PD Dr. Matthias Lemke ist Ärztlicher Direktor der Rheinischen Kliniken Bonn, hat einen Lehrauftrag an der Psychiatrischen Abteilung der Universität Kiel und verfügt über viel Erfahrung bei der Behandlung von Parkinsonpatienten mit depressiver Symptomatik. Wir sprachen mit ihm im Rahmen des diesjährigen "International Congress on Parkinson's Disease and Related Disorders" über die therapeutischen Möglichkeiten.

    Welchen Stellenwert haben Depressionen bei Patienten mit Morbus Parkinson und wie häufig treten sie auf?

    Etwa 50% der Patienten mit idiopathischem Parkinsonsyndrom leiden unter Depressionen, die bei etwa der Hälfte der Betroffenen als mittelschwer bis schwer einzustufen sind. Das Auftreten von Depressionen ist dabei nicht mit dem Alter der Patienten oder dem Krankheitsstadium korreliert.

    Welche antidepressive Therapie würden Sie bei Parkinsonpatienten mit Depressionen an erster Stelle empfehlen?

    Als Therapie der ersten Wahl würde ich in enger Zusammenarbeit mit dem Neurologen bei Parkinsonpatienten mit Depressionen Dopaminagonisten einsetzen und hier insbesondere Pramipexol. Der non-ergoline Dopaminagonist ist in mehreren Studien in dieser Indikation untersucht worden und zeigte hier unabhängig von der positiven Beeinflussung der motorischen Symptome eine deutliche antidepressive Wirksamkeit und einen positiven Einfluss auf die Anhedonie. Auch Motivation, Antrieb und Interesse an der Umwelt nehmen unter der Behandlung wieder zu. Bei depressiven Patienten ohne Parkinsonsyndrom zeigt Pramipexol ebenfalls eine antidepressive Wirksamkeit, was für einen eigenständigen antidepressiven Effekt der Substanz unabhängig von der Besserung der Parkinsonsymptomatik spricht. Ein weiterer Vorteil der Substanz ist die gute Verträglichkeit insbesondere im Vergleich zu den älteren Antidepressiva.

    Reicht die Gabe von Pramipexol nicht aus, können zusätzlich selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) oder andere Antidepressiva zum Einsatz kommen.

    Grundsätzlich sollte die antidepressive Therapie von Parkinsonpatienten von einer Psychoedukation bzw. Psychotherapie mit Vermittlung von geeigneten Coping-Mechanismen begleitet werden. Auch eine Vermittlung an entsprechende Selbsthilfegruppen ist empfehlenswert.

    Handelt es sich Ihrer Meinung nach um ein eher unterschätztes Problem und welche diagnostischen Schritte würden Sie vorschlagen?

    Depressionen werden bei Parkinson-Patienten häufig nicht erkannt und gar nicht oder nicht adäquat behandelt. Aufgrund der motorischen Symptomatik lässt sich die Depression bei Parkinsonpatienten nur sehr schwer an der äußeren Erscheinung wie z.B. an Mimik oder Körperhaltung erkennen. Man sollte daher gezielt nachhaken. Gefragt werden sollte nach einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Leere, dem Fehlen emotionaler Reaktionen bei freudigen Ereignissen und nach Anhedonie, d.h. der Unfähigkeit sich an kleinen Dingen des täglichen Lebens zu freuen. Damit lassen sich depressive Patienten von Parkinsonpatienten ohne Depression in der Regel leicht abgrenzen.

    Sind die Depressionen im Sinne einer reaktiven Depression eher Folge der Erkrankung oder stellen sie auch ein eigenständiges Symptom des M. Parkinson dar?

    Wahrscheinlich kommt hier oft beides zusammen. Für Depressionen als eigenständiges Krankheitssymptom spricht die Tatsache, dass die Depressionen den motorischen Symptomen bis zu fünf Jahren vorausgehen können und dann praktisch ein Erstsymptom der Erkrankung darstellen. Weiterhin konnten in neueren Untersuchungen bei Patienten mit Parkinsonsyndrom pathologische Veränderungen im limbischen System nachgewiesen werden, was ebenfalls für die Depression als eigenständiges Symptom spricht.

    Welche Auswirkungen haben Depressionen auf den Krankheitsverlauf von Parkinson-Patienten?

    Man weiß heute, dass Depressionen unabhängig von den motorischen Defiziten die Lebensqualität von Parkinsonpatienten deutlich vermindern. Depressive Patienten empfinden ihre motorischen Defizite meist als wesentlich belastender und haben oft schlechte Coping-Mechanismen im Umgang mit ihrer Erkrankung.

    Wie sind Ihre Erfahrungen mit Pramipexol bei depressiven Parkinson-Patienten?

    Wir haben in einer offenen prospektiven Studie bei 657 Patienten mit idiopathischem Parkinsonsyndrom die Häufigkeit von Depression und Anhedonie und den Einfluss von Pramipexol untersucht. Zu Beginn der Studie litten 47% der Patienten unter einer leichten und 22% unter einer mittelschweren bis schweren Depression. Eine Anhedonie war bei 45,7% aller Patienten und bei 79,7% der depressiven Patienten nachweisbar. Unter der Therapie mit Pramipexol über durchschnittlich 63 Tage nahmen sowohl die Frequenz als auch der Schweregrad von Depressionen und Anhedonie signifikant ab. Gleichzeitig besserten sich auch die motorischen Symptome.

    Auf Grund der zur Verfügung stehenden Daten und klinischen Erfahrungen erscheint Pramipexol als das Mittel der ersten Wahl für Parkinsonpatienten mit Depressionen, da es gleichzeitig die depressiven und motorischen Symptome bessert. Dies gilt sowohl für frühe als auch für fortgeschrittene Stadien der Parkinsonerkrankung.

    Herr PD Dr. Lemke, vielen Dank für das Gespräch!