psychoneuro 2005; 31(9): 413-414
DOI: 10.1055/s-2005-917975
Im Gespräch

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interview mit Prof. Dr. Lutz Frölich, Leiter der Abteilung für Gerontopsychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim - Galantamin bei Alzheimer-Krankheit

Further Information

Publication History

Publication Date:
06 October 2005 (online)

 
Table of Contents
    Zoom Image

    Lutz Frölich

    Acetylcholinesterasehemmer (AChE-Hemmer) werden in den aktuellen Leitlinien der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft für die Therapie des Morbus Alzheimer empfohlen. Galantamin (Reminyl®) hat seine Wirksamkeit und Verträglichkeit bei dieser Indikation in zahlreichen Studien unter Beweis gestellt. Über die Bedeutung von Galantamin in der Therapie der Alzheimer-Demenz sprachen wir mit Professor Dr. Lutz Frölich, Leiter der Abteilung für Gerontopsychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim.

    Herr Professor Frölich, die therapeutischen Möglichkeiten bei Alzheimer-Demenz sind zwar begrenzt, können sich aber dennoch sehen lassen. Wie beurteilen Sie den Stellenwert der AChE-Hemmer?

    Frölich: AChE-Hemmer sind seit ihrer Zulassung im Jahr 1997 die Therapie der Wahl bei Alzheimer-Krankheit geworden. Aus gutem Grund, denn dieses Therapieregime stellt für manche Patienten und Angehörige kurzfristig erkennbare Besserungen in Aussicht und kann längerfristig vielleicht die Progression der Erkrankung verlangsamen.

    Die Studienergebnisse zeigen, dass sich für die meisten Patienten nach Beginn der Medikation der kognitive Zustand innerhalb eines Jahres nicht verschlechtert und sich die Aufnahme in ein Pflegeheim um etwa zwei Jahre verzögern lässt. Dabei handelt es sich allerdings um Mittelwerte. Manche Patienten profitierten deutlich mehr, andere weniger. Diese individuelle Varianz muss bei den Therapieüberlegungen ins Kalkül gezogen werden.

    Da wir noch keine Prädiktoren haben, um im vorherein festzustellen, welche Patienten von den Medikamenten profitieren werden, sollte aufgrund dieser Studiendaten im frühen bis mittleren Stadium der Alzheimer-Krankheit immer mit einem AChE-Hemmer behandelt werden.

    Es gibt aber noch weitere Aspekte, die dafür sprechen. Bei einer chronisch progredienten und die Kompetenz immer weiter einschränkenden Erkrankung ist es für die Betroffenen extrem seelisch belastend, dass sich das Krankheitsbild immer weiter verschlechtert. Mit dem Einsatz eines AChE-Hemmers erleben Patient und Angehörige, dass es Licht im Tunnel gibt. Auch wenn sich die Situation nur kurzfristig verbessert, können sie sich dann besser mit ihrer Situation arrangieren. Die gewonnene Zeit gibt dem Patienten zudem noch die Chance, seine Zukunft selbstverantwortlich zu planen.

    Im Übrigen kann es durchaus sein, dass eine andere Erkrankung dem Leben des Patienten ein Ende setzt, bevor sich die Demenz zum das Leben allein bestimmenden Thema ausweitet. Auch im Hinblick auf die Angehörigen, die häufig ebenfalls alt sind und durch die Pflege des Demenzkranken körperlich und seelisch stark belastet, sprechen die Studiendaten für positive Effekte einer Therapie mit einem AChE-Hemmer auf die Angehörigenbelastung.

    Wie bewerten Sie den AChE-Hemmer Galantamin innerhalb dieser Medikamentengruppe?

    Frölich: Aus meiner Sicht ist die Wirksamkeit der drei zugelassenen Substanzen - Donepezil, Rivastigmin und Galantamin - vergleichbar. Es gibt keine überzeugenden Studien, die einen eindeutigen Vorteil für den einen oder anderen Wirkstoff belegen. Das Nebenwirkungs- und Interaktionsprofil spielt bei der Wahl deshalb eine wichtige Rolle. Hier zeigen die einzelnen Substanzen zwar ein ähnliches Spektrum, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung.

    Dass Galantamin nicht nur die Acetylcholinesterase hemmt, sondern auch die Nikotinrezeptoren moduliert, ist ein interessantes pharmakologisches Prinzip, denn die nikotinerge Innervation betrifft ja auch serotonerge und noradrenerge Neuronen. Die klinischen Studien haben hierfür aber noch keine klinische Entsprechung dargestellt. Es könnte sein, dass bestimmte Subgruppen von Patienten auf Galantamin besser ansprechen. Dies wird derzeit intensiv untersucht.

    Wie schätzen Sie die Sicherheit von Galantamin in der Alzheimer-Therapie ein?

    Das gute Sicherheitsprofil von Galantamin bei Morbus Alzheimer ist in zahlreichen Studien eindeutig belegt, auch in Langzeituntersuchungen über bis zu vier Jahren. Grundsätzlich sollte Galantamin wegen des cholinergen Nebenwirkungsprofils aufsteigend dosiert werden, beginnend mit täglich 8 mg bis zu Tagesdosen von 16 mg oder auch 24 mg, wenn die Wirkstoffmenge vom Patienten vertragen wird. Günstig ist hier die Controlled-release-Formulierung mit 8 mg Galantamin, die den Wirkstoff langsam freisetzt und nur einmal täglich eingenommen werden muss. Sie unterstützt die Compliance, die bei Alzheimer-Patienten ein besonderes Problem darstellt. Bei multimorbiden Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen, müssen entsprechende Interaktionen beachtet werden.

    AChE-Hemmer wurden auch zur Behandlung von MCI (mild cognitive impairment) untersucht. Ohne Erfolg. Was war das Problem dieser Studien?

    Frölich: Alle Studien mit AChE-Hemmern bei MCI haben nicht überzeugt. Problematisch für die Bewertung sind die diagnostische Heterogenität dieses Krankheitsbildes und die mangelhaften Kenntnisse über die genaue Pathophysiologie der frühsten Stadien von Alzheimer Krankheit.

    Wahrscheinlich wurden zu große Hoffnungen auf das Prinzip der Acetylcholinesterasehemmung bei MCI gesetzt. Immer mehr zeichnet sich nämlich ab, dass die cholinerge Stimulation in dieser Situation kaum etwas bringt. AChE-Hemmer sind deshalb bei MCI nicht indiziert.

    Die bei der ersten Analyse der Studiendaten gefundene erhöhte Mortalitätsrate bei MCI-Patienten unter Galantamin ist meines Erachtens ein Selektionsartefakt. Wenn man, wie in Nachuntersuchungen gezeigt wurde, die Drop-outs mit berücksichtigt, ist die Todesfallhäufigkeit auch bei den MCI-Patienten in den Galantaminstudien nicht mehr erhöht. In allen Studien mit Galantamin bei manifester Alzheimer-Krankheit gab es keine Hinweise auf eine erhöhte Mortalität.

    Die günstige Risiko-Nutzen-Einschätzung für Galantamin bei der Indikation Alzheimer Krankheit hat sich deshalb auch durch die Studienergebnisse bei MCI nicht geändert.

    Halten Sie Galantamin für den Einsatz bei anderen Formen der Demenz für geeignet?

    Frölich: Es existiert eine interessante Studie mit Galantamin bei gemischter oder vaskulärer Demenz, die auf eine Wirksamkeit zeigt, und dies ohne Verträglichkeitsprobleme. Ein wichtiges Ergebnis ist deshalb aus meiner Sicht, dass die Sicherheit des AChE-Hemmers auch bei diesen kardiovaskulären Risikopatienten gegeben ist.

    Herr Professor Frölich, vielen Dank für das Gespräch!

     
    Zoom Image

    Lutz Frölich