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DOI: 10.1055/s-2005-918565
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Eigenverantwortung - Verteilungskriterium im Gesundheitswesen? Erwiderung
Publication History
Publication Date:
29 September 2005 (online)
Vielen Dank für die interessante Reaktion auf meinen Beitrag [1] zur Eigenverantwortung als möglichem Verteilungskriterium im Gesundheitswesen.
Zunächst möchte ich dem Autor des Leserbriefes in einer Hinsicht zustimmen: Der von ihm skizzierte psychologische Mechanismus der meritorischen Unterbewertung von Gesundheitsleistungen spielt sicherlich in der Gesundheitsversorgung eine große Rolle. Viele Patienten schätzen tatsächlich den gesundheitsschädlichen Genuss von Zigaretten oder fettem Essen weit höher als die vage Aussicht auf ihre gute Gesundheit in der Zukunft.
In dreierlei Hinsicht allerdings bin ich mit dem Autor des Leserbriefes nicht einer Meinung. Es ist meiner Ansicht nach unzutreffend, dass das faktische Vorliegen dieser meritorischen Unterbewertung als normative Grundlage unseres Solidarsystems gilt. Eine solche Auffassung würde darauf hinauslaufen, in unserem Gesundheitswesen in erster Linie eine staatliche Einrichtung zu sehen, die die Bürger vor sich selbst schützen soll, da diese ihr gesundheitsrelevantes Verhalten nicht kontrollieren können und dazu tendieren, kurzfristige Gratifikationen langfristigen Anstrengungen zugunsten ihrer Gesundheit vorzuziehen. Das Sozialgesetzbuch V, welches die Verfasstheit unseres Gesundheitssystems regelt, verfolgt eine solche Argumentation nicht. Es fordert explizit die Mitarbeit der Patienten an der Erhaltung ihrer Gesundheit (SGB V § 1). Ich halte es also erstens schlichtweg für inkorrekt, dass die Basis unseres Solidarsystems die „Erkenntnis der fehlenden Eigenverantwortung“ sei.
Zweitens glaube ich, dass eine Konzeption von Solidarität, die den Aspekt der Eigenverantwortung ausklammert (und dadurch mit dem Begriff der Barmherzigkeit konfundiert zu werden droht) auch nicht die Grundlage unseres Gesundheitswesens sein sollte. Als Alternative habe ich ein Verständnis von Solidarität skizziert, das von reziproken Verpflichtungen zwischen den Bürgern und der Solidargemeinschaft geprägt ist. Dieses Verständnis scheint mir nicht nur angesichts der zunehmenden Knappheit der Mittel im Gesundheitswesen und der sich weiter verändernden Alters- und Krankheitsstruktur der Bevölkerung prudentiell gerechtfertigt zu sein, sondern sowohl die Etablierung einer umfassenden Gesundheitsversorgung als auch die Forderung nach aktiver Mitwirkung der Bürger an ihr zu begründen.
Drittens möchte ich darauf hinweisen, dass sich aus dem im Leserbrief beschriebenen Solidaritätsverständnis weder die argumentative Möglichkeit ergibt, die Eigenverantwortung von Menschen für ihre Gesundheit zu fordern, noch sie zu stärken. Ich bin bezüglich der Notwendigkeit von intensiver Gesundheitsaufklärung und Vorsorgeuntersuchungen vollkommen der Meinung des Autors. Ich glaube aber, dass solche Maßnahmen vor dem Hintergrund der von ihm beschriebenen Argumentation nicht nur nicht begründet werden können, sondern sich im Gegenteil durch diese sogar als unplausibel erweisen. Sie dennoch zu fordern, erscheint mir daher inkonsequent.
Es war das Ziel meines Artikels, einen Weg aufzuzeigen, wie Eigenverantwortung von Patienten begründet und in gerechter Weise als ein Kriterium der Verteilung von Ressourcen im Gesundheitswesen verwendet werden könnte. Dazu habe ich für das oben erwähnte reziproke Verständnis von Solidarität argumentiert, aus dem sich verschiedene gesundheitspolitische Maßnahmen ergeben, die die Eigenverantwortung von Patienten sowohl stärken als auch einfordern. Dieses Resultat kann meines Erachtens mit einer Auffassung von Solidarität, in der der Aspekt der Eigenverantwortung nicht berücksichtigt wird, nicht erzielt werden.
Literatur
- 1 Buyx A M. Eigenverantwortung - Verteilungskriterium im Gesundheitswesen?. Dtsch Med Wochenschr. 2005; 130 1512-1515
Dr. med. Alena M. Buyx
Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Universitätsklinikum Münster
Von-Esmarch-Straße 62
48149 Münster
Email: Alena.Buyx@mednet.uni-muenster.de