Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2006; 41(1): 41-42
DOI: 10.1055/s-2005-921226
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Adjunktive Therapie der Sepsis

Adjunctive Treatment of SepsisM.  Max1
  • 1Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Philipps-Universität Marburg
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Publication Date:
27 January 2006 (online)

Die experimentelle und klinische Forschung der letzten Jahrzehnte hat zur Entwicklung verschiedener, adjunktiver Therapieverfahren mit dem Ziel einer Verbesserung der Überlebensrate von Patienten mit schwerer Sepsis geführt. Vielen dieser Verfahren ist jedoch gemeinsam, dass es nach ersten, viel versprechenden Ergebnissen in Phase-II-Studien nicht gelang, die therapeutischen Erfolge auch in den nachfolgenden Phase-III-Studien zu belegen. Aus diesem Grund fanden Therapieansätze wie die Gabe von Antithrombin-III oder der Einsatz verschiedener antioxidativer und antiinflammatorischer Substanzen keinen Eingang in aktuelle Leitlinien zur Therapie der schweren Sepsis [1].

Ausnahmen sind dabei die Therapie mit rekombinantem, aktiviertem Protein C (rhAPC) und die Behandlung mit niedrig dosierten Glucocorticoiden. Beiden Verfahren gemeinsam ist der erfolgreiche Einsatz in randomisierten, kontrollierten, multizentrischen Studien [2] [3], der sepsisbedingte, endogene Mangel der substituierten Substanz und die Interaktion mit verschiedenen, für die Sepsis pathophysiologisch bedeutsamen Systemen.

Glucocorticoide werden bereits seit Jahrzehnten in unterschiedlicher Dosierung in der Therapie der schweren Sepsis und des septischen Schocks eingesetzt. Nachdem jedoch gezeigt wurde, dass der Einsatz hoher Dosen zwar zu unerwünschten Nebenwirkungen, nicht aber zu einer Abnahme der Sterblichkeit führte, werden Glucocorticoide heute nur noch in niedrigen Dosen von 200 - 300 mg Hydrocortison/Tag bei Patienten mit septischem Schock eingesetzt. Die pathophysiologische Grundlage dieser Therapie ist die Beobachtung, dass es bei einem Teil der Patienten zu einer relativen, seltener einer absoluten Insuffizienz der Nebennierenrinden kommt [4] [5]. Da das dort synthetisierte Cortisol eine wichtige Rolle bei der Immunreaktion spielt, indem es z. B. an der Regulation verschiedener pro- und antiinflammatorischer Gene beteiligt ist und zu einer Hemmung der NF-κB-abhängigen Signaltransduktion und der induzierbaren NO-Synthase (iNOS) führt, kann das Auftreten eines Cortisolmangels in der Sepsis mit dem Ausbleiben einer adäquaten Stressreaktion und einer verstärkten Vasodilatation einhergehen. Neben einer verminderten Cortisolsynthese können aber auch eine reduzierte ACTH-Synthese, Einschränkungen der plasmatischen Transportkapazität für Cortisol und eine periphere Cortisolresistenz bei der Entstehung der relativen Insuffizienz beteiligt sein. Die für die Diagnose der sepsisinduzierten Nebennierenrindeninsuffizienz notwendigen Befunde werden zum Teil immer noch kontrovers diskutiert, da Unterschiede bei den verschiedenen Testverfahren und zum Teil erhebliche Schwankungen zwischen den Ergebnissen verfügbarer Studien die Bestimmung allgemein akzeptierter Grenzwerte für die Feststellung eines absoluten oder relativen Cortisolmangels erschweren. Als Grenzwerte für das Vorliegen einer Nebennierenrindeninsuffizienz werden derzeit jedoch häufig basale Cortisolwerte von < 15 - 25 µg/dl und ein Anstieg des Cortisolwertes nach Stimulation mit ACTH um ≤ 9 µg/dl angesehen, wobei in Abhängigkeit vom verwendeten Grenzwert die Angaben verschiedener Untersucher zur Inzidenz der Nebennierenrindeninsuffizienz zwischen 0 und 77 % schwanken. Ob ein adäquater Anstieg des Cortisolwertes nach Stimulation allerdings überhaupt eine Aussage über die Syntheseleistung der Nebennierenrinde macht oder bei Patienten mit septischem Schock nur Ausdruck der eingeschränkten Reserve bei bereits erhöhten Serumcortisolwerten ist, kann noch nicht abschließend beantwortet werden.

Die Empfehlungen zum klinischen Einsatz stützen sich wesentlich auf eine Untersuchung von Annane und Mitarbeitern aus dem Jahre 2002 [2]. In Übereinstimmung mit anderen Untersuchungen zeigte sich dort, dass der Einsatz von 4 × 50 mg Hydrocortison/Tag zu einer schnelleren Beendigung des Katecholaminbedarfs und, zumindest in der Gruppe von Patienten, die auf eine Stimulation der Nebennierenrinden nur mit einem Anstieg des Plasmacortisolwertes um ≤ 9 µg/dl reagierten, zu einer Reduktion der 28-Tage-Sterblichkeit auf 53 %, gegenüber 63 % in der Plazebogruppe, führte. Eine zwischenzeitlich durchgeführte Metaanalyse von 14 Studien aus den Jahren 1963 bis 2002 bestätigte diese Ergebnisse. In 3 von insgesamt 4 nach 1998 publizierten Studien konnte durch die Gabe niedrigdosierter Glucocorticoide eine schnellere Beendigung des Katecholaminbedarfs und im gepoolten Datenmaterial dieser Studien ein Überlebensvorteil für Patienten mit septischem Schock gezeigt werden. Dabei ergab die statistische Auswertung, dass dieser Vorteil nur für niedrige Dosen bis etwa 400 mg Hydrocortison/Tag nachweisbar war und von höheren Dosen sogar eine Gefährdung für die Patienten und ein Anstieg der Letalität ausgehen kann. Über die Inzidenz potenzieller Risiken niedrigdosierter Glucocorticoide ist bisher noch wenig bekannt. Über Hyperglykämien, Hypernatriämien, Rebound-Phänomene nach plötzlichem Absetzen der Medikation und das vermehrte Auftreten einer Critical Illness Polyneuropathie wurde allerdings berichtet.

Aufgrund der gegenwärtigen Datenlage besteht daher die Empfehlung, Hydrocortison bei Patienten mit einem katecholaminpflichtigen, septischen Schock mit einer Tagesdosis von 200 - 300 mg einzusetzen [1]. Für die Notwendigkeit zur Durchführung eines ACTH-Stimulationstests besteht aufgrund der geschilderten Probleme keine ausreichende Datenbasis, allerdings wird allgemein angeraten den Beginn der Therapie durch das Warten auf ein Testergebnis nicht zu verzögern. Unklarheit besteht auch hinsichtlich eines langsamen Ausschleichens der Therapie nach Beendigung der Katecholaminpflichtigkeit. Einige Untersucher fanden allerdings Reboundphänomene mit erneutem Katecholaminbedarf und wieder verstärkter proinflammatorischer Aktivierung nach plötzlicher Beendigung der Hydrocortisongabe. Von einem Einsatz bei nicht katecholaminpflichtigen Patienten mit Sepsis wird hingegen ebenso abgeraten wie von Tagesdosen über 300 mg Hydrocortison.

Neben der Aktivierung pro- und antiinflammatorischer Kaskadensysteme kommt es bei der Sepsis auch zu einer Aktivierung des Gerinnungssystems, die zu einer disseminierten, intravasalen Gerinnungsstörung mit Bildung von Mikrothromben, Störungen der Mikrozirkulation und dem Auftreten von Organdysfunktionen führt. Die sepsisinduzierte Veränderung des Endothels und die Aktivierung von Endothelzellen und Monozyten verursachen einen Überschuss an prokoagulatorischem Thrombin und gleichzeitig durch die reduzierte Aktivierung von Protein C eine Hemmung des antikoagulatorisch wirksamen Protein C Systems mit dem Ergebnis einer Verschiebung des physiologischen Gleichgewichts aus Gerinnungsaktivierung und physiologischer Antikoagulation hin zu einer unkontrollierten Gerinnungaktivierung. Verschiedene Untersucher konnten eine gute Korrelation zwischen dem Abfall der Plasmaspiegel an aktiviertem Protein C und dem Schweregrad des septischen Schocks wie auch der Letalitätsrate zeigen. Vor diesem Hintergrund scheint der Einsatz von rekombinantem, aktivierten Protein C (rhAPC) bei Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock Erfolg versprechend und anders als für Antithrombin III (AT III) und tissue factor pathway inhibitor (TFPI) konnte für rhAPC in einer großen, randomisierten und kontrollierten Phase-III-Studie (PROWESS-Studie) der Erfolg dieses Konzeptes auch klinisch belegt werden [3]. Aufbauend auf die Ergebnisse verschiedener experimenteller Untersuchungen und Phase-II-Studien wurden in der PROWESS-Studie 850 Patienten mit schwerer Sepsis über einen Zeitraum von 96 Stunden mit 24 µg/kg/h rhAPC behandelt. Im Vergleich mit den 840 Patienten der Plazebogruppe führte dies zu einer signifikanten Reduktion der 28-Tage-Letalität von 30,8 % auf 24,7 % und einer Abnahme der Krankenhausletalität von 34,6 % auf 29,4 % (p = 0,023). Subgruppenanalysen zeigten einen Überlebensvorteil durch rhAPC unabhängig von der auslösenden Erkrankung, wobei der Effekt bei Patienten mit APACHE-II-Scorewerten ≥ 25 und mehr als einem Organversagen ausgeprägter war. Da mögliche Nachteile durch Nebenwirkungen bei Patienten mit nur einem Organversagen und/oder einem APACHE-II-Scorewert < 25 allerdings nicht sicher auszuschließen waren, wurde daraufhin durch die US-amerikanischen und europäischen Aufsichtsbehörden eine Zulassung für Patienten mit einem APACHE-II-Score ≥ 25 bzw. multiplem Organversagen erteilt. Neuere, nicht kontrollierte Untersuchungen (ENHANCE-Studie) bestätigten mittlerweile die Ergebnisse der PROWESS-Studie, so dass der Einsatz von rhAPC in den aktuellen Guidelines der Surviving Sepsis Campaign empfohlen wird [1].

Die vorliegenden Untersuchungen geben keinen Hinweis auf ein erhebliches Gefahrenpotenzial durch Nebenwirkungen der Substanz. Das größte Risiko besteht sicherlich in einer unkontrollierten Blutung als Folge der antikoagulatorischen und profibrinolytischen Effekte der Substanz während der Infusionsperiode von rhAPC. Ein Hinweis auf eine prolongierte Blutungsgefahr nach Beendigung der Infusion besteht jedoch nicht und die vorteilhafte Wirkung konnte inzwischen auch an einer größeren Gruppe chirurgischer Patienten gezeigt werden. Um jedoch unnötige Risiken zu vermeiden, ist die Beachtung bestehender Kontraindikationen von Bedeutung. Diese betreffen Situationen, die mit einer zusätzlichen, medikamentösen Hemmung der Gerinnung z. B. durch Cumarine oder Acetylsalicylsäure einhergehen ebenso, wie Patienten mit einem erhöhten intrakraniellen Blutungsrisiko oder einem erst kürzlich erlittenen Polytrauma.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar ist noch die Frage, ob eine Kombination mit niedrig dosiertem Heparin von Vor- oder Nachteil ist, und ob eine Ausweitung der Therapiedauer über die gegenwärtig zugelassenen 96 Stunden hinaus bei bestimmten Patienten eine weitere Verbesserung bewirkt und ein Reboundphänomen verhindern kann.

Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass mit der Gabe von niedrigdosierten Glucocorticoiden und dem Einsatz von rhAPC zwei adjunktive Therapieverfahren zur Therapie der schweren Sepsis, bzw. des septischen Schocks zur Verfügung stehen, deren Wirksamkeit in grossen, multizentrischen Untersuchungen bestätigt werden konnte. Offene Fragen sind Gegenstand laufender Studien, deren Ergebnisse möglicherweise helfen werden, diese Therapiekonzepte noch gezielter und damit vorteilhafter für Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock einzusetzen.

Literatur

  • 1 Dellinger R P, Carlet J M, Masur H, Gerlach H, Calandra T, Cohen J, Gea-Banacloche J, Keh D, Marshall J C, Parker M M, Ramsay G, Zimmerman J L, Vincent J L, Levy M M. Surviving Sepsis Campaign guidelines for management of severe sepsis and septic shock.  Intensive Care Med. 2004;  30 536-555
  • 2 Annane D, Sébille V, Charpentier C, Bollaert P E, Francois B, Korach J M, Capellier G, Cohen Y, Azoulay E, Troché G, Chaumet-Riffaut P, Bellissant E. Effect of treatment with low doses of hydrocortisone on mortality in patients with septic shock.  JAMA. 2002;  288 862-871
  • 3 Bernard G R, Vincent J-L, Laterre P F, LaRosa S P, Dhainaut J F, Lopez-Rodriguez A, Steingrub J S, Garber G E, Helterbrand J D, Ely E W, Fisher C J. The Recombinant Human Activated Protein C Worldwide Evaluationin Severe Sepsis (PROWESS) Study Group . Efficacy and safety of recombinant human activated protein C for severe sepsis.  New Engl J Med. 2001;  344 699-709
  • 4 Ligtenberg J J, Zijstra J G. The relative adrenal insufficiency syndrome revisited: which patients will benefit from low-dose steroids?.  Curr Opin Crit Care. 2004;  10 456-460
  • 5 Keh D, Boehnke T, Weber-Carstens S, Schulz C, Ahlers O, Bercker S, Volk H D, Doecke W D, Falke K J, Gerlach H. Immunologic and hemodynamic effects of „low-dose” hydrocortisone in septic shock: a double-blind, randomized, placebo-controlled, crossover study.  Am J Respir Crit Care Med. 2003;  167 512-520

Prof. Dr. Martin Max

Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie · Philipps-Universität Marburg

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