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DOI: 10.1055/s-2005-921227
Epidemiologie, Ökonomie und Praxis - Ergebnisse der deutschen Prävalenzstudie des Kompetenznetzwerkes Sepsis (SepNet)[*]
Epidemiology, Economy and Practice - Results of the German Study on Prevalence by the Competence Network Sepsis (SepNet)Publication History
Publication Date:
27 January 2006 (online)
Während in Europa und den USA in den letzten Jahren eine Vielzahl von epidemiologischen Studien durchgeführt wurden, lagen bisher keine validen Daten zur Häufigkeit und Bedeutung der Sepsis für Deutschland vor. Für Klinikbetreiber, Krankenversicherungen und Gesundheitsbehörden und vor allem für die verantwortlichen Intensivmediziner sind exakte Daten gerade unter DRG-Gesichtspunkten jedoch von herausragender Bedeutung.
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kompetenznetzwerk Sepsis (SepNet) führte daher vom 15. 1. 2003 - 14. 1. 2004 an 454 Intensivstationen in 310 Krankenhäusern - repräsentativ für 2075 Intensivstationen an 1380 deutschen Krankenhäusern - eine prospektive Querschnitts-Studie durch, um die Prävalenz, Letalität, anteilige Kosten, sowie die Diagnose- und Therapiepraktiken der Sepsis zu ermitteln.
3 % der beteiligten Krankenhäuser waren Universitätsklinika, 34 % akademische Lehrkrankenhäuser und 56 % allgemeine Krankenhäuser. Insgesamt 3877 Patienten über 18 Jahre wurden auf das Vorhandensein der sog. ACCP/SCCM Consensus Conference-Kriterien durch Vor-Ort-Besuche von erfahrenen Intensivmedizinern aus den 18 regionalen Studienzentren des SepNet gescreent. Die Prävalenz von Infektionen betrug 34,7 % (1348 Patienten). Eine schwere Sepsis bzw. septischen Schock (in der Folge zusammengefasst als schwere Sepsis) hatten 11 % und eine Sepsis (d. h. ohne infektionsortfernes Organversagen) 12 % aller gescreenten Patienten. Auf Deutschland hochgerechnet bedeutet dies, dass pro Jahr 75 000 Einwohner (110 von 100 000) an einer schweren Sepsis und 79 000 (116 von 100 000) an einer Sepsis erkranken. Damit stellen die septischen Erkrankungen die siebthäufigste Krankenhausentlassungsdiagnose unter den lebensbedrohlichen Erkrankungen dar. Die 90-Tage-Sterblichkeit von Patienten mit schwerer Sepsis betrug 54 %. Mit ca. 60 000 Todesfällen stellen septische Erkrankungen somit die dritthäufigste Todesursache nach dem akuten Myokardinfarkt, aber vor der Herzinsuffizienz in Deutschland dar. Nach den offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes hingegen, die sich auf ICD-10 basierte Krankenhausentlassungsstatistiken stützen, erkranken pro Jahr ca. 39 000 Menschen an einer Sepsis, von denen ca. 6000 versterben. Häufigkeit und Sterblichkeit der Sepsis werden somit um den Faktor 4 bzw. 10 unterschätzt.
Zwar waren 68 % der Patienten mit schwerer Sepsis älter als 60 Jahre (18 - 39 Jahre: 7 %, 40 - 59 Jahre: 25 %), jedoch verstarben in der Gruppe der 18 - 39-jährigen und 40 - 59-jährigen Patienten immerhin je 46 %, gegenüber 60 % in der Gruppe der über 60-jährigen. 19 % der Patienten mit schwerer Sepsis und 24 % der Verstorbenen wiesen eine schwerwiegende Komorbidität (Herzinsuffizienz NYHA IV, dialysepflichtiges Nierenversagen, metastasierende Tumorerkrankung, Leberzirrhose, schwere restriktive oder obstruktive Lungenerkrankung oder AIDS) auf; d. h. jedoch, dass 81 % bzw. 76 % diese disponierenden Erkrankungen nicht aufwiesen.
Diese Daten unterstreichen, dass die Sepsis nicht eine Erkrankung bzw. Komplikation alter und schwerstkranker Patienten ist, sondern auch bei jungen und bisher gesundheitlich wenig kompromittierten Patienten eine erhebliche Herausforderung für die Medizin darstellt.
In Übereinstimmung mit epidemiologischen Studien aus den USA und Europa sind Atemwegsinfektionen mit 63 %, gefolgt von intraabdominalen Infektionen (25,3 %) der häufigste Infektionsfokus bei Patienten mit schwerer Sepsis. Die früher gefürchtete urogenitale Infektion ist lediglich mit 6,5 % prävalent. Die SepNet-Daten widerlegen außerdem die seit der Publikation der EPIC-Studie verbreitete Meinung, dass eine auf der Intensivstation erworbene nosokomiale Infektion der wesentlichste Risikofaktor ist. In der SepNet-Prävalenz-Studie hatten 35,4 % der Patienten mit schwerer Sepsis eine zugrundeliegende ambulant erworbene Infektion und 19,8 % eine im Krankenhaus außerhalb der Intensivstation erworbene Infektion.
Die direkten anteiligen Kosten, die allein für die intensivmedizinische Behandlung von Patienten mit schwerer Sepsis anfallen, liegen bei ca. 1,77 Milliarden Euro. Damit werden ca. 30 % des Budgets für Intensivmedizin in die Behandlung der Sepsis investiert.
In den letzten Jahren wurden einige Behandlungsfortschritte erzielt, die sich in der täglichen intensivmedizinischen Praxis bisher nicht ausreichend umgesetzt haben. In der SepNet-Studie wurden erstmalig auch die Diagnose- und Therapiegewohnheiten untersucht. Nur ca. die Hälfte der Intensivmediziner gab an, die ACCP/SCCM-Kriterien für die Diagnose zu verwenden, in über 80 % hingegen wurde eine positive Blutkultur, eine erhöhte Leukozytenzahl bzw. C-reaktives Protein als Routineparameter verwendet, obgleich diese Zeichen eine geringe diagnostische Spezifität aufweisen.
Von den Patienten mit schwerer Sepsis, die ein akutes Lungenversagen (acute respiratory distress syndrome; ARDS) als Komplikation entwickelten, erhielten nur 4 % tatsächlich eine niedrigvolumige Beatmungstherapie (definiert als Tidalvolumen 6 ml/kg Körpergewicht). Bei nur 18 % wurde die zentralvenöse Sauerstoffsättigung zum Kreislaufmonitoring gemessen. Nur 30,6 % der Patienten, die einen septischen Schock hatten, erhielten niedrigdosiertes Kortison. 7,6 % der Patienten mit schwerer Sepsis erhielten nicht-indiziertes niedrigdosiertes Dopamin. Während lediglich 0,9 % der Patienten aktiviertes Protein C erhielten, kam bei 5,4 % der Patienten nicht-indiziertes Antithrombin zum Einsatz.
Verglichen mit den Behandlungsfortschritten, die in den letzten Jahrzehnten bei anderen Erkrankungen erzielt werden konnten, müssen somit erhebliche zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, um die unverändert hohe Sterblichkeit zu senken. Neben der Verbreitung der jüngst von der Deutschen Sepsis-Gesellschaft entwickelten Leitlinien zur Diagnose und Therapie der Sepsis, müssen gemeinsam mit Intensivmedizinern, Krankenhaus- und Kostenträgern Implementierungsmaßnahmen erarbeitet werden, damit evidenzbasiertes Wissen in den klinischen Alltag auch tatsächlich Eingang findet.
1 Unterstützt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Förderkennzeichen: 01KI 0106 und der Fa. Lilly Deutschland GmbH.
1 Unterstützt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Förderkennzeichen: 01KI 0106 und der Fa. Lilly Deutschland GmbH.
Dr. med. Frank Martin Brunkhorst
Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie · Friedrich-Schiller-Universität Jena
Erlanger Allee 101 · 07747 Jena ·
Email: frank.brunkhorst@med.uni-jena.de