Suchttherapie 2006; 7(2): 78-81
DOI: 10.1055/s-2006-926778
Versorgung aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gibt es einen „Goldstandard” der Substitutionsbehandlung Methadon/Polamidon ?

Is there a “Goldstandard” for Maintenance Treatment with Methadone/LevomathedoneK. Behrendt1 , G. Chorzelski1 , H.-G Meyer-Thompson2
  • 1Asklepios Klinik Nord Campus Ochsenzoll
  • 2ProVivere Hamburg
Further Information

Dr. Klaus Behrendt

Ltd. Arzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen, Asklepios Klinik Nord Campus Ochsenzoll, Ärztlicher Geschäftsführer der ProVivere GmbH

Langenhorner Chaussee 560

22419 Hamburg

Email: Klaus.Behrendt@k-nord.lbk-hh.de

Publication History

Publication Date:
19 May 2006 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

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Abstract

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„Goldstandard”

Die Währung eines Landes beruht auf einem Goldstandard, wenn das umlaufende Papiergeld durch Gold gedeckt ist. Befürworter des Goldstandards sagen, dass die Aufhebung des klassischen Goldstandards zur Wirtschaftskrise in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts geführt hat (Wikipedia Enzyklopädie). Stormy Mildner sieht das ganz anders, wenn er zusammenfasst: Insgesamt hat der Goldstandard sowohl wesentlich zur Schwere und dem Ausmaß der Wirtschaftskrise, als auch zu ihrer Verbreitung beigetragen.

Der Ausdruck Goldstandard bezeichnet ebenfalls in einem übertragenen Sinn das zuverlässigste überprüfte Verfahren zum Erreichen eines Ziels. In der Medizin kann sich das beziehen auf:

  • Methoden zum Nachweis oder Ausschluss einer Erkrankung

  • Therapien bestimmter Erkrankungen

  • Die Planung von Studien [1].

Die im Internet zu findende wissenschaftliche Kritik an diesem Goldstandard betrifft mehrere Ebenen. Ein erster Einwand weist darauf hin, dass infolge der wissenschaftlich breit bewiesenen und nicht mehr in Frage gestellten Phänomene der Telepathie, d. h. Gedankenübertragung und der Präkognition die Verblindung eine Illusion sei. Wissenschaftstheoretisch entspreche der Beurteilungsversuch vitalenergetischer Prozesse mit den Methoden der etablierten Medizin etwa dem Versuch eines Physikers, mit Waage, Kneifzange und Messstab elektromagnetische Wellen nachweisen bzw. deren Existenz widerlegen zu wollen [2].

Und schließlich:

Goldstandard; botanischer Name Hosta Forunai. Hosta beeindrucken durch die interessante Blattfärbung der Blätter. Goldstandard wächst robust und kräftig, die goldgelben Blätter sind von einem schmalen grünen Rand umgeben, sie bringen interessante Farbkontraste und Aufhellung in schattige Staudenbeete unter Gehölzen (Kiepenkerl).

Der Begriff Goldstandard, der so leicht und selbstverständlich von den Lippen geht, birgt also wenn man sich nur etwas intensiver mit ihm auseinandersetzt schon ein hohes Verwirrungsrisiko. Es ist klar, dass in diesem Rahmen das beste Verfahren oder die beste Behandlung gemeint ist, die Zitate sollten nur darauf verweisen, dass der recht pompös daher kommende Anspruch, der mit dem Begriff verbunden ist, vielleicht gar nicht eingelöst werden kann. Auf jeden Fall wird der enttäuscht werden, der von diesem Vortrag eine Glorifizierung der Substanz Methadon zum Königsweg der Behandlung erwartet hat.

Den geschichtlichen Kontext, in dem Methadon steht, hat Ralf Gerlach vom INDRO e. V. dankenswerterweise sehr ausführlich dargestellt, worauf hier ausdrücklich verwiesen sein soll [3] [4]. Methadon ist erstmals 1939 in den Farbwerken Hoechst synthetisiert worden und als Folge der Patent- und Vorschriftenenteignung der Deutschen Industrie erstmals 1947 vom US-Pharmakonzern Eli-Lilly unter dem Namen Dolophin auf den Markt gebracht worden. In den Entzugskliniken der US-Public-Health Services galt es bald als Mittel der Wahl beim Opiatentzug. In Deutschland wurde sich von der Ärzteschaft im Sinne ihrer standespolitischen Linie strikt dagegen ausgesprochen: „Außerdem muss man stets Bedenken haben, einen Süchtigen mit einem Mittel bekannt zu machen, dessen Suchtgefahr erwiesen ist. Eine Morphiumentziehung durch Polamidon muss man deshalb grundsätzlich ablehnen” [5] . Dass - nebenbei bemerkt - diese Vorstellung auch heute noch bei deutschen Ärzten eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich in einem Gutachten des MDK-Kompetenzzentrums für Psychiatrie und Psychotherapie zur Bedeutung des Buprenorphins, in dem Tolzin wegen der psychotropen und euphorisierenden Eigenschaften dieser Substanz zumindest noch schreibt, dass dadurch die psychotherapeutische Aufarbeitung der Suchtgenese in der therapeutischen Beziehung zum Patienten erschwert werde [6].

Nach noch früheren Erfahrungen von Halliday im Rahmen eines prolongierten Entzugsprogrammes kam es Dole und Nyswander ab Ende der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts zu, das Methadone-Maintenance Treatment zu entwickeln. Sie verstanden unter Heilung der Drogenerkrankung allerdings nicht primär die Erreichung völliger Abstinenz, sondern die Entwicklung von sozialer und beruflicher Stabilität, den Ausstieg aus der Beschaffungskriminalität und die Abkehr vom illegalen Drogenmarkt. Dieses Ziel sollte durch eine dauerhafte Applikation eines geeigneten Substitutes erreicht werden, wofür sich das oral verfügbare Methadon als am besten geeignet erwies, da es keine Euphorie erzeugt, in hoher Dosis die Wirkung additional applizierter Opiate aufgrund bestehender Kreuztoleranz blockiert und eine einmal tägliche Einnahme aufgrund der langen Wirkdauer genügt. Dole postulierte bereits zu einem Zeitpunkt, als man von Rezeptoren und Endorphinen noch nicht viel wusste, dass die Opiatabhängigkeit eine Form von endokrinem Mangel darstellt, so wie der Insulinmangel bei Diabetes. Und die erfahrene Psychiaterin Marie Nyswander mit dem Schwerpunkt Suchtmedizin, kam zu dem Ergebnis, dass Opiatabhängigkeit zwar häufig mit psychiatrischen Erkrankungen vergesellschaftet sei, aber selbst nicht als psychiatrische Krankheit definiert werden sollte.

Der weitere, z. T. auch schwierige Weg zum Erfolg dieser Behandlungsmethode soll hier nicht nachgezeichnet werden, es spricht für sich, wenn Gerlach darauf hinweist, dass heute weltweit über 500 000 Substitutionspatienten mit Methadon behandelt werden, mit steigender Tendenz. In Deutschland wurde 1973 bis 1975 ein erstes experimentelles Methadonprogramm in Hannover durchgeführt. Nach den Erfolgskriterien von Dole und Nyswander war dessen Erfolgquote nahezu 100 %, ausgelegt als „Maintenance to Abstinance Program” wurde es aber wegen des Rückfalls in den Heroingebrauch nach Beendigung des Programms im Einklang mit dem damals dominierenden und heute wieder Fahrt aufnehmenden Abstinenzparadigma als Beleg für die Überlegenheit von stationären Abstinenztherapien bewertet und musste bis Anfang der 90er-Jahre für die berufsrechtliche Behinderung und strafrechtliche Verfolgung sog. Erhaltungsbehandlungen herhalten. Heute räumt der damals verantwortliche Arzt im persönlichen Gespräch über das damalige Studienergebnis durchaus ein, dass die Bewertung auch mit dem Druck verbunden war, der damals von abstinenzorientierten Vorgesetzten auf ihn ausgeübt worden ist. Zum Durchbruch kam es auch in Deutschland nachdem gegen Ende der 80er-Jahre die Effektivität von Methadonerhaltungsbehandlungen durch wissenschaftliche Erprobungsprogramme unzweifelhaft belegt werden konnte und die Ausbreitung des AIDS-Virus eine durchgreifende Verbesserung der Behandlungsreichweite von Drogenabhängigen erzwang. Es folgte die Anerkennung durch den Gesetzgeber, die GKV und die Unterstützung durch einen Beschluss des Bundesgerichtshofes im Jahre 1991, der zu einer deutlichen Stärkung der therapeutischen Kompetenz und der Verantwortung der niedergelassenen Ärzte führte. Schließlich wurde im Jahre 1992 in § 13 BtMG auch die gesetzliche Klarstellung von Substitutionstherapien Opiatabhängiger geschaffen. Insgesamt wurden also bei uns mehr als 20 Jahre vertan, bis die einfachen von Dole und Nyswander beschriebenen und längst erprobten Prinzipien des MMT für die Betroffenen flächendeckend verfügbar gemacht wurden. Die Stärkung der therapeutischen Kompetenz der Behandler ergab sich also aus der offensichtlichen Wirksamkeit der Methode. Die Hoffnung, dass nun auch die Barrieren in den Köpfen der verantwortlichen Politiker grundsätzlich verschwinden würden, erfüllte sich aber leider nicht. Vielmehr wurde in den Folgejahren ein erbitterter Kampf darum geführt, welche Substanzen für die Substitutionsbehandlung zulässig seien. Der Abbau von hindernden Regeln in der BtMVV musste z. B. mit der drastischen Einschränkung der Codeinsubstitution erkauft werden. Der Einsatz von redardiertem Morphin, der in Österreich z. B. seit 15 Jahren möglich ist, stand hier nie zur Debatte, Buprenorphin wurde erst 2002 zugelassen und für die Originalstoffvergabe, deren Wirksamkeit längst belegt ist, müssen erst die Ergebnisse einer immens teuren Studie abgewartet werden. Auch wenn diese - wie zu erwarten ist - wiederum positiv ausfallen, bleibt die Zukunft dieser Behandlung in Deutschland sehr fraglich. Ein Goldstandard bezogen auf eine Substanz müsste ja auf dem Vergleich des unbehinderten Einsatzes vieler Substanzen beruhen, was hier in Deutschland aber gar nicht möglich ist.

Ein Goldstandard kann sich - nicht nur deswegen - nur auf die angemessene Diagnostik und Behandlung drogenkranker Patienten beziehen und setzt primär die Bereitschaft voraus, sich unvoreingenommen mit den kranken Menschen zu befassen. Diese Forderung klingt banal, wird aber von uns Ärzten nicht selten schon bei anderen Patienten nicht eingelöst, geschweige denn bei den von vielfältigen z. T. schweren Verhaltensauffälligkeiten geprägten Drogenkranken.

Im Rahmen der Diagnostik müssen wir uns erst einmal selbst mit der Frage befassen, ob wir Drogenabhängigkeit für eine primär psychische oder primär somatische Störung halten und welche Faktoren bei jedem einzelnen Drogenpatienten in welcher Ausprägung zur Suchtentstehung beigetragen haben. Davon abzugrenzen sind die Folgen der Suchtentwicklung, die im somatischen Bereich hinreichend bekannt sind, aber im Sinne der Sekundärsozialisation auch zu psychischen Beeinträchtigungen bis hin zu gravierenden psychischen Deformierungen geführt haben können. Insbesondere ist hier auch die Ausbildung spezieller sog. suchttypischer Verhaltensweisen gemeint, die diagnostisch als krankheitszugehörig erkannt werden müssen, damit eine angemessene Abgrenzung gelingt und sie nicht im Sinne persönlicher Krankung verarbeitet werden. Dazu gehören so einfache Begriffe wie Lügen und Betrügen, aber auch die Versuche des Spaltens und der Glorifizierung.

Eine noch größere Bedeutung kommt den vielfältigen komorbiden psychischen Störungen im engeren Sinne zu, von denen fast die Hälfte unserer Patienten betroffen ist. Angststörungen, affektive Störungen und psychotische Störungen, prägen ihr Verhalten und wenn sie im Bedarfsfall nicht mit behandelt werden, verhindern sie auch jeden durchgreifenden Behandlungserfolg.

Wenn man für die Behandlung einen Goldstandard definieren will, so sind zunächst einmal die typischen Einstellungen der Patienten ins Kalkül zu ziehen und im individuellen Fall zu beachten. Dazu gehören z. B. vollkommen überzogene Heilserwartungen verbunden mit der nicht seltenen Ablehnung eigener Verantwortlichkeit für den Gesundungsprozess. Aber auch wir Behandler unterliegen oft uneingestandenen Einstellungen und Verhaltensmustern gegenüber drogenabhängigen Patienten: Wenn Joel und Fränkel vor 80 Jahren geschrieben haben, dass Süchtige den Arzt und die Klinik scheuen, weil sie dort nicht nur körperlich, sondern auch moralisch als minderwertig gelten, einen schlechten Ruf haben und für Psychopathen, Asoziale, Schwächlinge, genusssüchtige, unehrliche, unzuverlässige Naturen gehalten werden [7], so mag man als substituierende Ärztin oder Arzt der Auffassung sein, mit uns habe das nichts zu tun. Diese Annahme wird nachhaltig erschüttert, wenn man sich die Ergebnisse einer Befragung von 247 substituierenden Ärzten in NRW 1998 ansieht [8]:

35 % der Befragten haben die Aussage „Drogenabhängigkeit ist ein Laster” bejaht und weitere 10,5 % waren sich unsicher. 39,4 % sprachen sich gegen Bewährungsstrafen bei Verkauf illegalisierter Drogen aus - der ja überwiegend von Kleindealern zur Sicherung ihres Eigenbedarfs betrieben wird -, 19 % waren sich unsicher. Bezüglich der Frage, ob die Nichteinhaltung von Beratungsterminen mit einer stufenweisen Abdosierung von Methadon geahndet werden soll, gab es je knapp 40 % Befürworter und Gegner und 22 % Unentschlossene. Benzodiazepin, Kokain und exzessiver Alkoholkonsum wurde mehrheitlich mit Behandlungsabbruch geahndet, obwohl die Ursache dafür doch gerade der Grund für die Behandlung ist. Auf den Vergleich mit der Diabetesbehandlung möchte ich hier vor Fachleuten verzichten. Es wird also deutlich, dass auch wir gut daran tun, unsere Haltung gegenüber dem Patienten und die Grundlagen für unsere Behandlungsentscheidungen immer wieder zu überdenken, wenn wir einen hohen Standard erreichen wollen. Andere Notwendigkeiten, wie z. B. die Zusammenarbeit mit der psychosozialen Betreuung oder die Abstimmung mit der Apotheke, die Schaffung eines klaren Behandlungsrahmens etc. sind so selbstverständlich, dass sie hier gar nicht näher ausgeführt werden sollen. Sie gehören zu den Prinzipien der Behandlung, bilden ihren Rahmen und ihre Struktur ab und müssen natürlich auf die Zahl der Patienten, die Häufigkeit der Kontakte, die Bedürfnisse des Praxispersonals und auch der anderen nicht drogenabhängigen Patienten abgestimmt sein. Zu den Behandlungsprinzipien gehört aber auch, immer vom - nachvollziehbaren - Bedürfnis des Patienten auszugehen, die Machbarkeit zu überprüfen und mit ihm zu diskutieren und Zeit darauf zu verwenden, seine Perspektive der Behandlung mit der eigenen in möglichst hohe Übereinstimmung zu bringen. Es müssen also machbare gemeinsame Zielvorstellungen entwickelt werden, die am besten auch schriftlich fixiert werden. Dabei sind die Bedingungen des Patienten, seine Lebenssituation, körperliche und psychische Begleit- und Folgeerkrankungen und die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu beachten und bei der Therapieplanung bis hin zur Auswahl des Substitutionsmittels und der Höhe der Dosis zu berücksichtigen. So kann es z. B. sinnvoll sein, einer schwangeren Patientin den Wunsch nach Reduktion des Substitutionsmittels zu verwehren, weil zu befürchten steht, dass dann ein gerade mühsam beendeter Begleitkonsum von Alkohol wieder beginnt, der vermutlich in seinem schädlichen Ausmaß für das Kind höher zu bewerten ist, als das neonatale Entzugssyndrom, dessen Dosisabhängigkeit sowieso eher nicht linear ist. Auf jeden Fall ist eine Überforderung der Patientin oder des Patienten unbedingt zu vermeiden, zu der unsere Patienten mit ihrer begrenzten Fähigkeit sich selbst richtig einzuschätzen, häufig besonders neigen.

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Die Datenlage

Es liegt auf der Hand, dass Methadon bzw. MMT in Anbetracht der Etablierung dieser Behandlungsform vor 40 Jahren am besten untersucht ist. Zuletzt haben Amato und Mitarbeiter im Juni 2005 einen Überblick erstellt, in dem MMT mit Methadonentzugsbehandlung, keiner Behandlung, verschiedenen Dosierungen im MMT, Buprenorphine Maintenance Treatment (BMT) und Heroin Maintenance Treatment (HMT) und LAAM verglichen wurde [9]. Insgesamt wurden 12 075 Studienteilnehmer einbezogen, die Kriterien waren Haltekraft, Beigebrauch von Heroin und anderen Drogen, Sterblichkeit, Kriminalität und Lebensqualität. Dabei hat sich heraus gestellt, dass MMT bezüglich der Haltekraft nur injiziertem Heroin unterlegen ist und höhere Dosen effektiver sind als niedrige. Signifikante Ergebnisse für Sterblichkeit und Kriminalität wurden nicht gefunden. Die Autoren haben geschlussfolgert, dass MMT zwar bzgl. Haltekraft und Beigebrauch am effektivsten ist, aber nur eine schwache Evidenz für andere wichtige Outcome-Kriterien hat. Dabei sind Dosierungen von 60 bis 100 mg pro Tag effektiver als niedrigere Dosen wie Faggiano und Mitarbeiter in einem anderen Überblick festgestellt haben. Diese Datenlage ließe sich jetzt sicher noch breiter ausführen, ohne dass dies wirklich weiter helfen könnte, da eben große Vergleichsstudien z. B. zwischen MMT und höher dosiertem Buprenorphin noch nicht vorliegen. Es bleibt die Erkenntnis, dass wir mit Methadon in jedem Fall ein gutes Medikament in der Hand haben, das richtig in einem umfassenden Behandlungssetting eingesetzt, den Vergleich mit anderen Substanzen nicht scheuen muss. Zu beachten sind eher spezielle Aspekte, die natürlich aufgrund der langjährigen Erfahrung mit Methadon und L-Methadon zwar keine durch Metaanalysen erreichte Evidenz, aber immerhin eine klinische Evidenz haben, die unser ärztliches Handeln hoffentlich auch in Zukunft mitbestimmen wird.

So ist z. B. immer abzuwägen, ob auf den bei einem Teil der Patienten dämpfend wirkenden Charakter des Methadons zugunsten einer unter Buprenorphin hervortretenden Klarheit verzichtet werden kann oder ob der Patient damit überfordert wird. Manche Therapeuten wollen nicht, dass die Patienten in den aus Therapeutensicht „Genuss” einer psychotropen Wirkung kommen. Zu solchen Auffassungen haben wir oben schon unsere Meinung geäußert. Nach dem MDK-Gutachten von Tolzin [6] - nicht nach unseren Erfahrungen - sind angeblich die Verhältnisse genau umgekehrt : psychotrope Wirkung hat eher das Buprenorphin. Wir wollen hier keine Selbstversuche empfehlen, wenn man die dämpfende Wirkung des Methadon vermeiden will, bietet sich heute das „klarere”, „kühlere” Buprenorphin an. Dabei muss allerdings bedacht werden, dass der Patient mit diesem reduzierten pharmakologischen Schild auskommen muss. Der Einsatz von Buprenophin ist oftmals sehr hilfreich (besonders bei Patienten, die sehr aktiv an sich arbeiten können und wollen), er kann aber auch ausdrücklich kontraindiziert sein. Hier muss sehr vorsichtig und individuell angepasst vorgegangen werden. Erst wenn die psychosozialen Kompetenzen vorhanden sind, können die subjektiv erlebten „Krücken” beiseite gestellt werden.

Ein weiterer Aspekt ist die Schwierigkeit, mit partiellen Antagonisten unter Substitution noch eine opiatpflichtige Schmerztherapie durchzuführen.

Immer wieder stellt sich auch die Frage, ob das deutlich preisgünstigere Racemat oder die Reinsubstanz Levomethadon, also Polamidon verordnet werden soll. Ärzte und Pharmakologen haben immer darauf verwiesen, dass beide Medikamente gleich seien, dass man die Wirkstoffgehalte bequem umrechnen könne. Die Subjektivität der Patienten wurde als mystisch überhöht abgetan. Erst spät zeigten Untersuchungen, dass die Verhältnisse so einfach nicht sind. Die Einflüsse der Chiralität auf Resorption und Rezeptorbindung unterliegen großen interindividuellen Schwankungen, für die es keine uns bekannte Prädiktoren gibt. Praktische Bedeutung erlangten diese Probleme, als es auch in Deutschland möglich wurde Methadon einzusetzen. Der pharmakologische Erkenntnisgewinn konnte einige praktische Probleme lösen, wenn der Sicherheitsaspekt individuell nach den Möglichkeiten der Patienten weiter gefasst wurde. So konnte die geteilte Dosierung bei Methadon und Levomethadon einerseits die Sedierung minimieren, anderseits durch eine Gabe zum Abend den Schlaf erleichtern. Dies führte weg von den patientenseitig gewählten Auswegen: Ausweitung des abundierenden Verhaltens auf Tranquillantien (Benzodiazepine) oder Alkohol. Dazu ist auch der subjektive Faktor zu beachten, der gerade in Deutschland langjährig Substituierte von einem Umstieg von Polamidon auf Methadon zurückschrecken lässt. Die Bedeutung dieses Faktors hat sich eindrucksvoll auch bei der Durchführung einer Polamidon/Methadonvergleichsstudie in unseren Ambulanzen gezeigt, bei der ansonsten keine signifikanten Wirkungsunterschiede festgestellt werden konnten. In Einzelfällen haben Patienten nach der Entblindung eingeräumt, dass es ihnen unter Methadon besser gegangen war und trotzdem darauf bestanden, jetzt wieder ihr gewohntes Polamidon verabreicht zu bekommen. Schließlich ist bei dem Vergleich von Methadon und Polamidon auch die durch die kontrollierte industrielle Herstellung gegebene höhere Arzneimittelsicherheit des Polamidons mit ins Kalkül zu ziehen. Die Ergebnisse bzw. Befunde, die in den folgenden Vorträgen zu Heroin und Buprenorphin dargestellt werden, konnte und wollte ich an dieser Stelle nicht vorweg nehmen. Vieles spricht für den Einsatz von Methadon bzw. Levomethadon, das Medikament für alle Lebenslagen und alle Betroffenen ist es aber sicher nicht. Hingegen gibt es mittlerweile fast schon so etwas wie „das richtige” Medikament für den jeweiligen Patienten. Dazu noch ein Aspekt aus den empirischen Beobachtungen in einer unserer Ambulanzen: bietet man Patienten die Möglichkeit, zwischen Methadon, Polamidon und Subutex wählen zu können, so ergibt sich eine Verteilung auf die drei Substanzen von 60 zu 20 zu 20 %. Die Patienten wissen häufig am besten, was ihnen hilft: in einer unserer Ambulanzen wurde im Frühjahr ein 45-jähriger Mann mit einer gerade fünfjährigen Opiatvorgeschichte aufgenommen. Suchtanamnese und Untersuchung ergaben darüber hinaus eine langjährig bestehende Alkoholabhängigkeit und eine Depression. Dieser Patient hatte in den zurückliegenden fünf Jahren zwei Entzugsbehandlungen zu Ende gebracht und war jeweils kurz danach wieder rückfällig geworden mit Heroin und Alkohol. Auf die Frage, warum er sich jetzt zu einer Substitutionsbehandlung entschlossen hätte, war seine Antwort: „Mein Dealer hat gesagt, Heroin sei nicht das Richtige für mich. Er weigert sich, mir das weiterhin zu verkaufen, aber er kenne einen Arzt, der mich bestimmt behandeln würde.” Der Patient hat sich i. Ü. für Methadon entschieden und räumte ein - gebeten, keine Namen zu nennen -, dass sein Dealer ebenfalls Patient des behandelnden Arztes sei.

Ein Goldstandard kann sich in der Substitutionsbehandlung nach unserer festen Überzeugung nicht auf ein bestimmtes Medikament beziehen, der Goldstandard ergibt sich vielmehr aus der Einbettung der individuell richtigen Medikation, der Substanz und ihrer Dosierung in ein individuell abgestimmtes Behandlungssetting, das von den Belangen unserer Patienten geprägt ist, nach klaren Regeln verläuft, abgestimmte Ziele verfolgt und auf einem guten und vertrauensvollen Kontakt zu den Patienten basiert.

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Literatur

  • 1 http://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite . 03.05.2006; 
  • 2 Bösch J, Haering-Zimmerli S. Geistiges Heilen und Energetische Medizin.  03.05.2006;  , http://www.jakobboesch.ch/texte/texte.php?id = 124
  • 3 Gerlach R. Methadon im geschichtlichen Kontext: Von der Entdeckung der Substanz zur Erhaltungsbehandlung.  Onlinepublikation: www.indro-online.de/Methageschichte.pdf.Münster.INDRO.e.V.2004.
  • 4 Gerlach R. Substitutionsbehandlungen bei Drogenabhängigen - ein kritischer Beitrag zur Geschichte, Gesetzgebung und aktuellen Praxis in Deutschland. Schneider W. Buschkamp R. Follmann A Grenzerfahrungen: Medizin, Drogenhilfe und Recht Berlin; Verlag für Wissenschaft und Bildung 2001: 79-107
  • 5 Pieck K. Gibt es eine Polamidonsucht?.  In: Medizinische Klinik. 1950;  45 1429-1432
  • 6 Tolzin C J. Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger mit Buprenorphin (Subutex®). Gutachten des MDK Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin; Dez. 2004 unveröffentlicht
  • 7 Joel E, Fränkel F. Zur Verhütung und Behandlung der Giftsuchten. Klinische Wochenschrift 4. Jahrgang Nr. 36: 1713-1718
  • 8 INDRO e.V Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in Nordrhein-Westfalen. Bd. 2 der INDRO-Buchreihe Berlin; Verlag für Wissenschaft und Bildung 1994
  • 9 Amato L, Davoli M, A P erucci C. et al . An overview of systematic reviews of the effectiveness of opiate maintenance therapies: available evidence to inform clinical practice and research.  J Subst Abuse Treat. 2005;  28 321-329

Dr. Klaus Behrendt

Ltd. Arzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen, Asklepios Klinik Nord Campus Ochsenzoll, Ärztlicher Geschäftsführer der ProVivere GmbH

Langenhorner Chaussee 560

22419 Hamburg

Email: Klaus.Behrendt@k-nord.lbk-hh.de

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Literatur

  • 1 http://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite . 03.05.2006; 
  • 2 Bösch J, Haering-Zimmerli S. Geistiges Heilen und Energetische Medizin.  03.05.2006;  , http://www.jakobboesch.ch/texte/texte.php?id = 124
  • 3 Gerlach R. Methadon im geschichtlichen Kontext: Von der Entdeckung der Substanz zur Erhaltungsbehandlung.  Onlinepublikation: www.indro-online.de/Methageschichte.pdf.Münster.INDRO.e.V.2004.
  • 4 Gerlach R. Substitutionsbehandlungen bei Drogenabhängigen - ein kritischer Beitrag zur Geschichte, Gesetzgebung und aktuellen Praxis in Deutschland. Schneider W. Buschkamp R. Follmann A Grenzerfahrungen: Medizin, Drogenhilfe und Recht Berlin; Verlag für Wissenschaft und Bildung 2001: 79-107
  • 5 Pieck K. Gibt es eine Polamidonsucht?.  In: Medizinische Klinik. 1950;  45 1429-1432
  • 6 Tolzin C J. Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger mit Buprenorphin (Subutex®). Gutachten des MDK Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin; Dez. 2004 unveröffentlicht
  • 7 Joel E, Fränkel F. Zur Verhütung und Behandlung der Giftsuchten. Klinische Wochenschrift 4. Jahrgang Nr. 36: 1713-1718
  • 8 INDRO e.V Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in Nordrhein-Westfalen. Bd. 2 der INDRO-Buchreihe Berlin; Verlag für Wissenschaft und Bildung 1994
  • 9 Amato L, Davoli M, A P erucci C. et al . An overview of systematic reviews of the effectiveness of opiate maintenance therapies: available evidence to inform clinical practice and research.  J Subst Abuse Treat. 2005;  28 321-329

Dr. Klaus Behrendt

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