Z Geburtshilfe Neonatol 2006; 210(1): 32-33
DOI: 10.1055/s-2006-931514
Stellungnahme
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Stellungnahme

Antwort der Nationalen Stillkommission zum Offenen Brief von Dr. Hans Stiete19.12.2005H. Przyrembel
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Publication Date:
23 March 2006 (online)

Die Nationale Stillkommission begrüßt immer sachliche Diskussionen und ist jederzeit bereit, Empfehlungen zu korrigieren, wenn neue Fakten dies nahe legen, und sie ist dankbar für konstruktive Informationen. In diesem Fall stellt sie aber mit Befremden fest, dass Herr Dr. Stiete die Arbeit der Nationalen Stillkommission ohne erkennbares nachvollziehbares Ziel unbegründet in Misskredit zu bringen sucht.

Die Nationale Stillkommission hat im Jahre 2001 eine Stellungnahme zum Risiko der Hepatitis C-Virus (HCV)-Übertragung durch Stillen formuliert (http://www.bfr.bund.de/cm/207/hepatitis_c_stillen.pdf).

Darin wurde festgestellt

dass eine Infektion eines Kindes einer HCV-infizierten Mutter in 3 - 7 % der Fälle zu erwarten ist, wobei die Übertragung vor, unter und nach der Entbindung erfolgen kann; dass eine Virusübertragung durch den Stillvorgang unwahrscheinlich aber nicht grundsätzlich auszuschließen ist; dass daher keine allgemeine Empfehlung zum Stillen bei HCV-RNA-positiven Müttern gegeben werden könne; und dass im Einzelfall die Eltern über statistische Risiken aufgeklärt und Entscheidungen für oder gegen Stillen unter Abwägung aller möglichen Einflussfaktoren getroffen werden müssen.

Des weiteren wurden Hinweise zum diagnostischen Vorgehen bei Kindern HCV-infizierter Mütter gegeben. Unter anderem wurde empfohlen, den Nachweis von HCV-RNA im kindlichen Blut erst nach dem 3. Lebensmonat zu führen.

Die Nationale Stillkommission hat in dieser ersten Stellungnahme auf die unzureichende Datenlage aufgrund kleiner Fallzahlen in der Literatur besonders hingewiesen.

Als in der Folgezeit neue Daten aus viel umfangreicheren Untersuchungen verfügbar wurden, die sich mit dem Einfluss des Entbindungsmodus bzw. des Stillens [1] [2] auf die Übertragung von Hepatitis C auf Kinder HCV-positiver Mütter befassten, hat die Nationale Stillkommission im Januar 2004 ihre erste Stellungnahme ergänzt (http://www.bfr.bund.de/cm/207/hcv_und_stillen_ergaenzung_ 2004.pdf):

Es scheine keinen Grund zu geben, einer chronisch HCV-infizierten Mutter vom Stillen abzuraten; Im Falle einer akut erfolgten Infektion der Mutter mit dem Hepatitis C-Virus zum Zeitpunkt der Geburt - ein sehr seltenes Ereignis - könne das Infektionsrisiko für das Kind wegen hoher mütterlicher Viruskonzentrationen erhöht sein; Eine Suche nach HCV-RNA im kindlichen Blut sei bereits am Ende der 1. Lebenswoche sinnvoll, um im Verlauf zwischen vor und nach der Geburt erfolgter Infektion unterscheiden zu können.

Die beiden Studien, auf die sich die ergänzende Stellungnahme der Nationalen Stillkommission stützt, sind mit 1474 HCV-exponierten Kindern [1] bzw. mit 153 gestillten von 624 HCV-exponierten Kindern [2] so umfangreich, dass sie die oben zitierten Aussagen der Nationalen Stillkommission rechtfertigen, zumal nach wie vor kein Fall einer durch Stillen übertragenen Hepatitis C-Infektion beschrieben worden ist.

Die Kritik von Dr. Stiete bezieht sich in Bezug auf die des Europäischen Pädiatrischen Hepatitis C-Netzwerks [1], vorwiegend auf fehlende Daten (Entbindungsmodus in 5 %; Stillen in 3,4 %) dieser multizentrischen Studie (24 Zentren in sieben Ländern), in der seit 1992 prospektiv gesammelte Daten von 1474 Kindern HCV-positiver Mütter analysiert wurden. Für 1400 dieser Kinder ist der Entbindungsmodus und für 1424 die Ernährung (Nicht-Stillen bzw. Stillen) dokumentiert, und nur diese Zahlen gingen in die Auswertung ein. Die wesentlichen Aussagen sind, dass gestillte Kinder (n = 351) gegenüber nicht gestillten Kindern (n = 1073) mit 8,3 bzw 9,5 % nicht häufiger mit HCV infiziert waren, und dass per Kaiserschnitt geborene Kinder (n = 382) gegenüber vaginal geborenen Kindern (n = 1018) nicht signifikant seltener (7,3 gegenüber 9,9 %) mit HCV infiziert wurden. Diese Aussagen werden auch durch die fehlenden Daten nicht beeinflusst, so sehr das Auftreten von Datenlücken bedauert werden mag.

Die weiteren kritischen Anmerkungen zu dieser Studie (Wahl der Labormethoden, Verzicht auf quantitative Virusbestimmungen, Klassifizierung der Kinder nach Schwangerschaftsdauer und Geburtsgewicht, Einflussfaktoren für die Stillentscheidung und die Indikation zur Sectio caesarea, Unterscheidung nach Stilldauer und Stillkomplikationen) spiegeln nach Meinung der Nationalen Stillkommission zwar das Interesse an der Beantwortung einer ganzen Reihe von offenen Fragen wider, können aber nachträglich am Studiendesign dieser sehr komplexen Untersuchung nichts ändern. Jede Studie kann nur die Fragen beantworten, die als primäre Studienziele formuliert wurden. Die jüngst publizierten aktualisierten Daten des Europäischen Netzwerks bestätigen den in praxi fehlenden Zusammenhang zwischen Stillen und Hepatitis C-Transmission [3].

Auch die Studie [2] von Polywka und Laufs (2003) beschränkt sich auf Aussagen, die durch die vorgelegten Untersuchungen gestützt werden, dass in keiner von 165 Milchproben, die von chronisch HCV-infizierten Müttern stammten, unabhängig vom Zellgehalt der Milch und unter extrem sorgfältiger Kontrolle der eigenen Nachweismethoden, HCV-RNA nachgewiesen werden konnte.

Die Bedenken von Dr. Stiete gegen diagnostische Eingriffe bei HCV-infizierten Schwangerschaften, wie z. B. Amniozentesen und Mikroblutuntersuchungen unter der Geburt, werden von der Nationalen Stillkommission geteilt. Allerdings muss betont werden, dass hierzu bisher nur wenig Daten vorliegen [4].

Die Nationale Stillkommission ist weiterhin überzeugt, dass Ergebnisse, die kein Risiko einer Hepatitis C-Infektion durch Stillen eines Kindes einer Mutter mit chronischer Hepatitis C gefunden haben - im Vergleich zur Übertragung vor und unter der Geburt - in die sachgerechte Beratung der betroffenen Patientinnen eingehen müssen.

Literatur

  • 1 European Paediatric Hepatitis C Virus N etwork. Effects of mode of delivery and infant feeding on the risk of mother-to-child transmission of hepatitis C virus.  Br J Obstet Gynaecol. 2001;  108 371-377
  • 2 Polywka S, Laufs R. Die chronische Hepatitis C der Mutter ist keine Kontraindikation für das Stillen.  Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz. 2003;  46 739-743
  • 3 European Paediatric Hepatitis C Virus Network. A significant sex - but not elective cesarean section - effect on mother-to-child transmission of hepatitis C virus infection. J Infect Dis 2005 192: 1872-1879
  • 4 Mast E E, Hwang L Y, Seto D SY, Nolte F S, Nainan O V, Wurtzel H, Alter M J. Risk factors for perinatal transmission of hepatitis C virus (HCV) and the natural history of HCV infection acquired in infancy.  J Infect Dis. 2005;  192 1880-1889

Prof. Dr. Hildegard Przyrembel

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