Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(1): 6
DOI: 10.1055/s-2006-932265-6
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Interview - Adjuvante Chemotherapie bei Darmkrebs: Rolle des Hausarztes

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Publication Date:
14 February 2006 (online)

 
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Die Darmkrebstherapie erfordert grundsätzlich einen multidisziplinären Therapieansatz. Notwendig ist deshalb eine enge Kooperation zwischen Radiologen, Pathologen, Chirurgen, internistischen Onkologen, Gastroenterologen und Strahlentherapeuten. Dem Hausarzt fällt die Aufgabe zu, die Kooperation zu begleiten oder notfalls selbst anzustoßen. Außerdem kann er bestimmte Aufgaben im Rahmen der onkologischen Therapie selbst übernehmen. Im Interview beschreibt Prof. Dr. med. Michael Geißler aus Esslingen, wie eine solche interdisziplinäre Therapie aussehen kann.

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Was bewirkt eine adjuvante Therapie bei Darmkrebs?

Geißler: Zwar können beim Kolonkarzinom etwa 80% der Tumoren R0-reseziert und somit durch den operativen Eingriff vollständig entfernt werden. Dennoch kann es auch bei diesen Patienten nach einiger Zeit zu Fernmetastasen kommen, wobei das Risiko innerhalb der ersten zwei Jahre am höchsten ist. Um das Rezidivrisiko zu senken, ist die adjuvante, das heißt postoperative systemische Chemotherapie indiziert.

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Wer braucht eine adjuvante Therapie? Und wie viele Patienten können durch eine adjuvante Therapie geheilt werden?

Geißler: Patienten mit einem Kolonkarzinom im Stadium III, das heißt mit Lymphknotenbefall, sollten auf jeden Fall adjuvant chemotherapiert werden. Bis vor zwei Jahren erhielten diese Patienten 5-Fluorouracil/Folinsäure (5-FU/FA) i.v. Damit konnte die Rezidivrate um etwa 8-10% gesenkt werden. Inzwischen gibt es ein noch deutlich wirksameres Therapieregime, bei dem 5-FU/FA als Dauerinfusion über zweimal 24 Stunden gegeben und mit intravenösem Oxaliplatin kombiniert wird (FOLFOX-4). So kann die Rezidivrate nochmals um weitere 6-7% gesenkt werden.

Wenn also durch die alleinige Operation etwa 55% der Patienten mit einem Kolonkarzinom im Stadium III geheilt werden können, so steigt die Heilungsrate durch die postoperative Gabe von FOLFOX-4 auf etwa 72% an, wobei hinzugefügt werden muss, dass bislang nur Daten zum 4-Jahres-krankheitsfreien Überleben vorliegen und die 5-Jahres-Überlebensdaten erst 2006 zur Verfügung stehen werden.

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Welche modernen adjuvanten Therapien gibt es - neben FOLFOX-4?

Geißler: Seit März 2005 ist zur adjuvanten Monotherapie des Kolonkarzinoms Capecitabin (Xeloda®) zugelassen (3-Jahres-krankheitsfreies Überleben 64%). Es wird oral als Tablette verabreicht und kann die 5-FU-Dauerinfusion ersetzen. Die Kombination Capecitabin/Oxaliplatin, als CAPOX oder XELOX bezeichnet, wird derzeit in klinischen Studien geprüft und ist gut verträglich.

Patienten, bei denen Oxaliplatin nicht gegeben werden kann oder die das aufwändige FOLFOX-4-Infusionsregime ablehnen, können adjuvant eine Capecitabin-Monotherapie erhalten. Wenn die Portanlage unerwünscht ist, die adjuvante Capecitabin-Therapie aber durch Oxaliplatin intensiviert werden soll, kann im Einzelfall schon heute an die Gabe von Capecitabin/Oxaliplatin gedacht werden. Mittelfristig wird Capecitabin/Oxaliplatin - aufgrund der Vorteile der oralen Therapie für den Patienten - FOLFOX vermutlich ersetzen und zur neuen adjuvanten Standard-Chemotherapie des kolorektalen Karzinoms werden.

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Wer führt die adjuvante Chemotherapie durch? Welche Informationen benötigt der betreuende Hausarzt? Welche Rolle fällt ihm zu?

Geißler: Der Hausarzt sollte vom Chirurgen über Tumorstadium und -ausbreitung informiert werden, sowie über die Art der geplanten adjuvanten Chemotherapie und über notwendige Folgeuntersuchungen. Der Onkologe, der die adjuvante Chemotherapie durchführt, sollte den Hausarzt genau über das geplante Therapieregime informieren, einschließlich der genauen Infusionstermine und Laborwerte (Blutbild, Nieren- und Leberwerte, Elektrolyte), die der Hausarzt zu bestimmten Zeitpunkten kontrollieren muss, und der häufigen Nebenwirkungen. Denn es ist wichtig, dass der Hausarzt beim Auftreten solcher Nebenwirkungen rechtzeitig den Kontakt zu dem behandelnden Onkologen sucht, damit dieser Gegenmaßnahmen ergreifen kann.

Auf keinen Fall sollte der Hausarzt eine adjuvante Therapie eigenverantwortlich durchführen. In enger Anbindung an ein onkologisches Zentrum können - nach Absprache - aber bestimmte Aufgaben vom Hausarzt übernommen werden.

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Wann sollte die adjuvante Chemotherapie beginnen? Worauf muss der Hausarzt achten?

Geißler: Wenn ein Patient nach erfolgter Darmkrebsoperation zum Hausarzt kommt und unklar ist, ob er einem internistischen Onkologen oder Gastroenterologen vorgestellt wurde, sollte der Hausarzt sich möglichst schnell um die benötigten Informationen (s.o.) bemühen und dann notfalls selbst den Kontakt zu einem Onkologen herstellen, damit eine eventuell erforderliche adjuvante Therapie spätestens sechs bis acht Wochen nach der Operation beginnen kann. Hat der behandelnde Chirurg ohne Rücksprache mit einem interdisziplinären Tumorboard entschieden, eine adjuvante Therapie sei nicht notwendig, darf sich der Hausarzt damit nicht zufrieden geben, sondern sollte in jedem Fall die Meinung eines internistischen Onkologen oder onkologisch tätigen Gastroenterologen einholen.

Herr Prof. Geißler, wir bedanken uns für das Gespräch!