Der Klinikarzt 2006; 35(1): 11
DOI: 10.1055/s-2006-932561
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sind Frauen anders krank?

Vera Regitz-Zagrosek
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
01. Februar 2006 (online)

Frauen weisen nicht nur andere Beschwerdebilder auf, sondern gehen auch anders mit sich und ihren Erkrankungen um, diese Erkenntnis hat sich mittlerweile in vielen verschiedenen Fachgebieten gezeigt. Die Analyse der Fachliteratur macht deutlich, dass sich bei geschlechtsspezifischer Betrachtung in vielen medizinischen Disziplinen entsprechende Unterschiede feststellen lassen. Seit einigen Jahren wächst daher auf internationaler und nationaler Ebene der Anspruch, geschlechterspezifische Aspekte in die medizinische Forschung, Lehre und Praxis zu integrieren. Mit dem an der Charité - Universitätsmedizin Berlin angesiedelten Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin (www.charite.de/gender) gibt es nun eine Einrichtung, die fächerübergreifend geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin aufgreift und in Forschung und Lehre integriert.

Inzwischen gehört es zum Beispiel zum medizinischen Standardwissen, dass sich ein Herzinfarkt bei Frauen ganz anders darstellt und die „charakteristischen” Anzeichen Brustschmerzen und Ausstrahlen in den linken Arm bei Frauen relativ seltener auftreten, betroffene Patientinnen dafür aber unklare Oberbauchbeschwerden äußern. Auch in anderen Bereichen wie der Schmerztherapie oder rheumatischen Erkrankungen zeigen sich zwischen den Geschlechtern unterschiedliche Symptome. Die Hormontherapie, sei es als Empfängnisverhütung oder als postmenopausale „Ersatz”-Therapie nimmt bei Frauen einen relativ großen Raum ein. In der Pharmakotherapie und im Vorfeld davon bei der Zulassung von Heilmitteln ist es daher angeraten, Geschlechterdifferenzen und auch die Wechselwirkung mit Sexualhormonen zu beachten. Daraus folgt auch, dass bei der Verordnung von Medikamenten ungleiche Wirkungsweisen in Betracht zu ziehen und Patientinnen und Patienten dahingehend zu informieren sind.

Zu beachten ist, dass zur Erklärung von Unterschieden nicht nur das biologische Geschlecht („sex”), sondern auch das soziale Geschlecht („gender”), also die gesellschaftlich geprägten Geschlechterrollen („typisch Mann - typisch Frau”), herangezogen werden. Ein solcher Ansatz kann der individuellen und geschlechtsspezifischen Situation der Patientinnen und Patienten und den damit verbundenen krank machenden oder gesund erhaltenden Faktoren individuell begegnen und somit auch die Wirksamkeit von Therapien verbessern. Für die klinisch tätigen Ärztinnen und Ärzte bedeutet dies, dass sie in Diagnostik und Therapie die unterschiedlichen klinischen Erscheinungsbilder bei Frauen und Männern in deren Lebenswelten wahrnehmen und darauf eingehen müssen.

Aus diesem Grund hat diese Ausgabe des klinikarzt das Schwerpunktthema Frauengesundheit ausgewählt, um den Leserinnen und Lesern einen Einblick in einige der neuesten Forschungsergebnisse zum Thema zu geben. Die folgenden Beiträge fassen aktuelle Ergebnisse zu Frauengesundheit bzw. -krankheit aus den Bereichen gesunde Lebensstile, Asthma bronchiale, Hormonersatztherapie und kardiovaskuläre Risikofaktoren zusammen. Die Ergebnisse zeigen, dass beispielsweise bei Asthma bronchiale hinsichtlich der Erkrankungsbilder und Ausprägungen Männer und Frauen als zwei unterschiedliche Populationen zu betrachten und dementsprechend Diagnostik und Therapie auf die Unterschiede abzustimmen sind. Wir hoffen, Ihnen damit deutlich zu machen, welchen Gewinn die Geschlechterperspektive für das ärztliche Handeln darstellt.

Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek

Berlin (Gasteditorin)

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