Der Klinikarzt 2006; 35(2): 47
DOI: 10.1055/s-2006-933680
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Fall Hwang Woo-Suk: Was lernen wir daraus?

A. Grünert
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. Februar 2006 (online)

In aller Munde ist eine derzeit viel diskutierte „Wissenschaftsfälschung” im Bereich der höchstmodernen Zellforschung: Der südkoreanische Klonpionier Hwang Woo-Suk hatte in höchstrenommierten, wissenschaftlichen Zeitschriften kundgetan, ihm sei es erstmals gelungen, menschliche Embryonen zu klonen (Science Express am 12. Februar 04 und Science 2004; 303 (5664): 1669-1674 unter dem Titel: „Evidence of a pluripotent human embryonic stem cell line derived from a cloned blastocyte”). Seine Arbeit führte zu einem unvorstellbaren Publizitätsglamour, den die Folgearbeit ein Jahr später in Kooperation mit anderen Instituten, vor allem aus Pittsburg, USA, noch übertraf (Science Express am 19. März 05; 308 (5729): 1777-1783).

Zugrunde gegangenes oder insuffizient arbeitendes Gewebe beim Menschen durch diese omnipotenten Zellen zu ersetzen, dies war das ehrenträchtige Ziel des Wissenschaftlers. Dahinter verbarg sich jedoch eine kriminelle Vorgehensweise, bei der das Streben nach höchster persönlicher, wissenschaftlicher Anerkennung mit dem Plan der Industrie, eine hochwirksame Therapie abzuleiten und gewinnbringend weltweit zu vermarkten, eine gefährliche Verbindung einging. Denn wie vor kurzem bekannt wurde, beruhten die pompös in Szene gesetzten Ergebnisse auf gefälschten Daten!

Für die am Menschen angewandte Medizin haben solche skandalösen Entwicklungen glücklicherweise zunächst keine gefährlichen Auswirkungen. Vor der Anwendung müssen sich neue Therapieverfahren durch intensive Prüfungen und Reproduktion der Ergebnisse evaluieren lassen. Der Vorgang erweckt dennoch große Besorgnis, da es wohl dem medizinischen Experten aufgrund seiner konventionellen Ausbildung noch weniger möglich ist als es den Gutachtern und Wissenschaftsexperten offensichtlich möglich war, den Wahrheitsgehalt und damit die Relevanz für die praktische Medizin zu erkennen.

Die ärztliche Tätigkeit wird zwar über die medizinische Qualifikation auf der Grundlage des Medizinstudiums sichergestellt. Da die Medizin sich jedoch den Erkenntnissen zahlreicher Grundlagen und angewandten Wissenschaften von Chemie, Physik bis zur Biochemie und Immunologie und vielen anderen Disziplinen bedient, kann ein Arzt kaum in allen Einzeldisziplinen profund und autonom ausgebildet sein. Daher reicht seine wissenschaftliche Qualifizierung im Einzelfall nicht dazu aus, neue, spezielle wissenschaftliche Erkenntnisse verantwortlich zu beurteilen und selbstständig im Laufe seines Berufslebens zu akquirieren.

In der Medizin ist dieses Dilemma um so größer, als sich die Reproduzierbarkeit und damit die Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis in der statistischen Absicherung der Ergebnisse im biologischen Bereich im Umgang mit lebenden Systemen schwierig bis undurchführbar gestaltet. Zudem überfluten „Heilsbringer”, deren Methoden dieser Evaluierungs- und Evidenzprüfung keineswegs unterzogen wurden, die Medizin in weiten Bereichen - nicht selten mit nur ökonomischem Interesse. Die gesetzlich vorgeschriebene, verbindliche Fortbildung mit der Aktualisierung des eigenen Wissens zur Anwendung im beruflichen Bereich, trägt ebenfalls dazu bei, die Verpflichtung der wissenschaftlichen Einrichtungen im Weiterbildungsbetrieb zu einer geprüften, standardisierten, ballastfreien und zielorientierten Weiterbildung zu erhöhen. Beispiele wie der Skandal um den Südkoreaner Hwang Woo-Suk verdeutlichen, welchen Stellenwert die Aufgabe der verbindlichen wissenschaftlichen und beruflichen Aktualisierung erlangt hat.

Wir leiten daraus die Verpflichtung ab, nicht nur die wissenschaftlichen Grundlagen der medizinischen Einzeldisziplinen einer Neubewertung im Ausbildungscurriculum der Mediziner zu unterziehen, sondern ebenso darüber zu verhandeln, wie die Ausbildungsschwerpunkte sich den neuen Erkenntnissen der Lebenswissenschaften anpassen müssen. Damit kann die Kompetenz des Arztes erhöht und zeitgemäß angepasst werden. Mit den konventionellen und zum Teil nicht gerade geliebten naturwissenschaftlichen Grundlagen können wir verhindern, den Arzt in einer Aversion zu belassen, die ihn im beruflichen Alltag bei der Verpflichtung der wissenschaftlichen Aktualisierung in seinem Fach im Stich lässt.

Prof. Dr. Dr. Dr. A. Grünert

Ulm

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