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DOI: 10.1055/s-2006-939875
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Chirurgie - Schnittstelle in der Medizin
Surgery - interface in medicinePublication History
Publication Date:
27 April 2006 (online)
Wohl zu keiner Zeit war das Interesse an der Gesundheit so groß wie heute. Verständlicherweise möchte jeder an der zunehmenden Lebenserwartung teilhaben und das bei möglichst guter Leistungsfähigkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der Ernährung, der körperlichen Fitness, einem gesunden Umfeld u. a. m. im täglichen Leben ein zunehmender Stellenwert eingeräumt. Gleichzeitig steigen die Kosten im Gesundheitswesen sowohl absolut als auch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Schon heute werden in Deutschland jährlich 250 Milliarden Euro für die Gesundheit ausgegeben. Nach einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young müssen wir im Jahr 2020 mit einem Kostenzuwachs auf ca. 500 Mrd. Euro rechnen. Gegenwärtig haben wir uns deshalb mit sehr weit reichenden Strukturveränderungen in der Medizin auseinanderzusetzen. Dies betrifft im medizinischen Fächerspektrum auch die Chirurgie.
Die Schnittstelle ist für die Chirurgie gleich in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Ein schneidendes Fach ist vordergründig ohnehin als „Schnittstelle” ausgewiesen. Damit wird aber nur ein Teil der chirurgischen Aufgaben erfasst. Die Schnittstelle im Sinne des Interface ist nicht nur als einfache Steckverbindung mehrerer Stationen zu verstehen, sondern auch durch komplizierte Softwareprogramme und Benutzersysteme definiert. In Analogie zur Informationstechnologie (IT) ist die Chirurgie im medizinischen Versorgungssystem sowohl als Bindeglied wie auch als aktive Schaltstelle gleichberechtigt zwischen inhaltlich benachbarten Fächern aufgestellt. Proportional zur Komplexität eines Krankheitsbildes steigt der Anteil der an Diagnostik und Therapie beteiligten Spezialisten. Dabei ist auch chirurgische Kompetenz gefragt. Darüber hinaus gilt es, in der Planung zukünftiger Strukturen und Organisationsformen mitzuwirken. Dies ist vor dem Hintergrund der DRG-bezogenen Erlöse für Chirurgen insofern nicht einfach, als sie von den Klinikverwaltungen oft gedrängt werden, sich auf „ihre Kernkompetenz” zu konzentrieren. Das heißt, chirurgische Eingriffe sollen möglichst marktorientiert, von höchster Qualität und in großer Anzahl geleistet werden. In der Folge bleibt dann keine oder zu wenig Zeit für die Mitarbeit in Entscheidungsgremien.
Nun ist es sinnlos, die Situation zu beklagen. Durch das Engagement jedes Einzelnen sind Verbesserungen möglich. Dabei darf es nicht bei zeitraubenden Diskussionen bleiben, die Umsetzung von vernünftigen Ideen in die tägliche Arbeit ist gefragt. Zweifellos erfordert dies eine erhebliche zusätzliche Belastung für alle Beteiligten. Die angestrebten Ziele richten sich auf eine Effektivitätsverbesserung, ohne Qualitätseinbußen in Kauf nehmen zu müssen. Dabei sind wir uns wohl alle im Klaren, dass ein potenziell erreichbarer Einspareffekt unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht dauerhaft sein kann. Dafür spricht die Erfahrung, dass Forschung weder aufzuhalten noch kostenneutral ist, und natürlich alle Kranken am medizinischen Fortschritt teilhaben wollen.
Allerdings muss die oberste Priorität darauf abzielen, die eingesetzten Gelder so effizient wie möglich in die Krankenversorgung, d. h. auch in die Forschung sowie eine qualifizierte Aus-, Weiter- und Fortbildung einzusetzen. Dieser Anspruch wird in den folgenden Beiträgen von verschiedenen Autoren in unterschiedlichen Ansätzen dargestellt. Schilling und Mitarbeiter stellen erstmals 16 unterschiedliche Patientenpfade vor, die in einem Universitätsklinikum bei 501 Patienten eingesetzt wurden. Die Analyse zeigt, dass hier einfache und komplexe Prozeduren eingeschlossen werden können, und die Pfade als Qualitäts- und ökonomische Steuerungsinstrumente nutzbar sind. Eckstein und Koautoren berichten über die Etablierung von Gefäßzentren in Deutschland. Von der Kooperation von Radiologen, internistischen Angiologen, Gefäßchirurgen und anderen ärztlichen Partnern in einer Organisationsstruktur profitiert in erster Linie der Gefäßkranke. Weitere günstige Effekte betreffen die zeitlichen Abläufe und nicht zuletzt wirtschaftliche Aspekte.
Thiede et al. skizzieren in ihrem Beitrag aktuelle Überlegungen zu Klinikstrukturen der Zukunft. Tatsächlich werden sich zukünftig viele der bisher geltenden Standards ändern, die schon bei der Architektur von Klinikbauten beginnen. Das Konzept der Entwicklung einer neu gegründeten Fakultät ist am Beispiel der Dresdner Erfahrungen von 12 Jahren nachzulesen. Die Chance, von Beginn an neue Strukturen zu etablieren, konnte trotz, vielleicht auch wegen fehlender traditioneller Vorgaben genutzt werden. Albrecht und ich selbst konnten uns früh nach der Gründung in der Klinikumsleitung und als Dekane engagieren. Überlegungen zur Zukunft von Medizinischen Fakultäten und Universitätsklinika sollen Lösungswege aufzeigen, die eine zu erwartende weitere Kürzung öffentlicher Gelder kompensieren könnten.
Die Erneuerung des Gesundheitswesens wurde bereits eingeleitet. Aufgrund der extrem komplizierten Vernetzungen besteht gerade heute die Notwendigkeit, nicht nur zu reagieren, sondern prospektiv und aktiv an der Strukturierung teilzunehmen - eben aktive Schnittstellen zu bilden.
H.-D. Saeger
Klinik und Poliklinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
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