Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(4): 172
DOI: 10.1055/s-2006-941407
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Infektionskrankheiten - Klimaänderungen erfordern neue Verhaltensregeln und Impfungen

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Publication Date:
17 May 2006 (online)

 
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Impfungen gelten als Siegeszug der Medizin im Kampf gegen Infektionskrankheiten. Sie gehören zu den effektivsten und kostengünstigsten Maßnahmen der letzten 200 Jahre. Aufgrund ihrer Erfolge sind einige Schutzimpfungen jedoch in Vergessenheit geraten, teilweise wird ihre Notwendigkeit auch wegen eventueller Impfrisiken hinterfragt. "Diese Befürchtungen sind aber falsch, vergleicht man die Komplikationen, die durch die Krankheit entstehen mit denen, die durch eine Impfung hervorgerufen werden könnten", gab Dr. Christian Schönfeld aus Berlin zu bedenken.

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Pflichtprogramm von Reiseimpfungen

Zum Pflichtprogramm einer jeden Reiseberatung gehört laut Prof. Dr. Christel Hülße aus Rostock die Kontrolle des Impfschutzes gegen Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis. Als Reiseimpfung Nummer 1 bezeichnet sie die Tetanusimpfung. "Zirka 75% aller Tetanuserkrankungen werden durch Bagatellverletzungen hervorgerufen, die primär keinen Arztbesuch erfordern." Tetanus ist noch immer ein häufiges Krankheitsbild in Dritte-Welt-Ländern, jeder vierte Erkrankte stirbt auch heute noch. Einen vollständigen Schutz vor Wundstarrkrampf bietet eine Grundimmunisierung mit drei Impfungen, die alle zehn Jahre aufzufrischen ist. Im Gegensatz zur Tetanusimpfung erzielt die Diphtherie-Impfung nicht nur einen Individual- sondern auch einen Kollektivschutz. Denn bei Impfraten von über 80% wird die Erregerzirkulation stark eingeschränkt. "Da heute nur zirka jeder dritte Erwachsene in Deutschland über einen sicheren Diphtherie-Schutz verfügt, besteht die Gefahr der Einschleppung und Verbreitung der Diphtherie", warnte Hülße. Diphtherie kommt häufig in den GUS-Staaten, Albanien, Afrika, Südamerika und Asien vor und ist für Prof. Hülße damit die "Reiseimpfung Nummer 2". Die vollständige Diphtherie-Impfung umfasst drei Impfungen zur Grundimmunisierung, die Auffrischimpfung muss alle zehn Jahre erfolgen. Die dritte Reiseimpfung ist die Poliomyelitis. Viele Länder sind zwar poliofrei, dennoch sollten Reisende nach Afrika und Asien dringend einen Impfschutz haben, da sich nach einem Impfboykott in diesen Regionen die Poliomyelitis wieder stark ausgebreitet hat. Die STIKO empfiehlt einen vollständigen Impfschutz von mindestens vier Impfungen im Kindes- und Jugendalter und Risikogruppen eine Auffrischung alle zehn Jahre. "In allen Ländern, in denen Muscheln und Schalentiere gegessen werden, spielt Hepatitis A eine Rolle", betonte Hülße. Sie empfiehlt die Impfung bei Reisen "südlich der Alpen und östlich der Oder". Bereits mit einer zweimaligen Impfung im Abstand von sechs Monaten erzielt man einen mindestens zehnjährigen Schutz gegen Hepatitis A.

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Weitere impfpräventable Infektionskrankheiten

Gelbfieber wird durch die Aedesmücke übertragen und tritt im tropischen Afrika und Amerika auf. Die Letalität liegt bei 50-60%. Die Gelbfieberimpfung ist die einzige Impfung, die internationalen Bestimmungen unterliegt und für die der Arzt eine Ermächtigung benötigt. Im Rahmen der International Health Regulations stellt Cholera zwar keine Pflichtimpfung dar, dennoch verlangen einige Länder den Impfschutz bei der Einreise. Als spezifische Prävention steht nur ein einziger in Deutschland zugelassener Impfstoff zur Verfügung. Dieser rekombinante Impfstoff ist gut verträglich und bietet hochgradigen Choleraschutz nach der zweiten Dosis. Betroffen von Meningitis sind zu zirka 40% Kinder unter fünf Jahren und zirka 20% Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren. "Wenn man bedenkt, dass trotz guter Intensivmedizin in Deutschland jeder Zehnte an Meningitis stirbt, ist eine Impfung auf jeden Fall empfehlenswert", hob Schönfeld hervor. Die Impfungen gegen Meningokokken schützen ab dem zweiten Lebensjahr. Tollwut-Fälle sind in Deutschland inzwischen sehr selten. "Aber bereits in Ost- und Südeuropa sieht das ganz anders aus und in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika ist die Tollwut sogar unter den sechs ersten Infektionserkrankungen", berichtete Schönfeld. Ein Problem in der Dritten Welt ist, dass Impfstoffe eingesetzt werden, die in Deutschland seit über 30 Jahren nicht mehr angewandt werden. Daher rät Schönfeld Reisenden, die ungeimpft gebissen werden, die Impfung in solchen Ländern abzulehnen. Sehr empfehlenswert und nebenwirkungsarm bezeichnete er dagegen die neuen präexpositionellen Impfstoffe. Angesichts des Krankheitsverlaufes sollte die Tollwut-Impfindikation großzügig gestellt werden, forderte Schönfeld.

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Veränderte Lebensbedingungen von Viren und Bakterien

Dass künftig mit mehr Infektionserkrankungen zu rechnen ist, zeigte Prof. Dr. Dr. Peter Höppe von der Münchener Rückversicherung. "Klimaveränderungen beeinflussen die Lebensbedingungen von Viren und Bakterien sowie deren Überträger." Betrachtet man das letzte Jahrhundert, haben wir zirka 0,8°C höhere globale Mitteltemperaturen, so Höppe. Besonders Malaria und Dengue-Fieber hängen von Temperaturen ab. "Auch bei uns kann es also einmal möglich sein, sich mit Malaria zu infizieren und nicht nur aus dem Urlaub mitzubringen", prognostizierte Höppe. Auch Dengue hat sich durch hohe Lufttemperaturen und hohe Luftfeuchte ausgebreitet. Im Sommer 1999 wurden in Baden-Württemberg, dem wärmsten Bundesland, Sandmücken gefangen, die Leishmaniose übertragen können. Auch Fälle von durch Zecken übertragener Borreliose und FSME sind in den letzten zwei Jahrzehnten stark angestiegen. Die Aktivität der Zecke beginnt bei Lufttemperaturen von 8-10°C. "Bei steigenden Temperaturen steigt also die Zeckensaison und damit das Infektionsrisiko."

ts

Quelle: Pressegespräch "Macht Reisen krank?", März 2006 in Berlin. Veranstalter: Chiron Behring GmbH & Co KG, Marburg.