Klin Padiatr 2006; 218(6): 293-295
DOI: 10.1055/s-2006-942258
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Maßnahmen zur Qualitätssicherung für die stationäre kinderonkologische Versorgung

Measures of Quality Assurance for In-Patient Pediatric Oncology UnitsF. Berthold1 , G. Bode2 , A. Böcker3 , A. Christaras1 , U. Creutzig1 , G. Henze1 , R. Herold1 , A. Heyll4 , J. Malzahn3 , T. Rath5 , H. Jürgens1
  • 1Arbeitsgruppe der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH)
  • 2Arbeitsgruppe der Deutschen Leukämie-Forschungshilfe (Dachverband der Elterngruppen) (DLFH)
  • 3Arbeitsgruppe des AOK-Bundesverbandes
  • 4Arbeitsgruppe des Kompetenz-Centrums Onkologie der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK)
  • 5Arbeitsgruppe des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen e. V./Arbeiter-Ersatzkassen-Verbandes e. V. (VdAK) Siegburg
Weitere Informationen

Prof. Dr. F. Berthold

Klinikum der Universität zu Köln · Zentrum für Kinderheilkunde · Kinderonkologie und -hämatologie

Kerpener Str. 62

50924 Köln

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. November 2006 (online)

Inhaltsübersicht

Die Fortschritte in der pädiatrischen Onkologie gelten neben Impfprogrammen für Infektionskrankheiten als die wichtigsten Gründe für den erheblichen Rückgang von Todesfällen im Kindes- und Jugendalter. In Deutschland starben in den 50er- und 60er-Jahren noch 80-90 % aller Kinder mit einer malignen Erkrankung [2]. Die deutschen pädiatrischen Hämatologen und Onkologen haben sich in der Fachgesellschaft GPOH zusammengeschlossen und arbeiten kooperativ in diagnosebezogenen Studiengruppen zusammen. Für die allermeisten Diagnosen gibt es Therapieoptimierungsstudien, nach deren Richtlinien flächendeckend über 90 % aller in Deutschland diagnostizierten Patienten behandelt werden. Dies waren nach den Daten des Kinderkrebsregisters von 1980-2003 35 367 Kinder [7]. Die Therapieoptimierungsstudien sind das Schlüsselinstrument für die bisher erzielten Erfolge [6]. Die Organisationsstrukturen [5] für die Vernetzung gelten als vorbildlich sowohl im nationalen Vergleich zu nicht-onkologischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen, zu onkologischen Krankheiten im Erwachsenenalter und im internationalen Rahmen im Vergleich zu der Kinderonkologie in anderen Ländern. Die 15-Jahres-Überlebensraten von allen Patienten mit allen erfassten malignen Erkrankungen liegen derzeit bei 70 % [7]. Diese Überlebensraten gehören international zu den besten publizierten Ergebnissen [2]. Spätfolgen durch die Erkrankung und Langzeitnebenwirkungen von der Therapie sind als langfristiger Preis für das Überleben ebenfalls Studiengegenstand und werden in allen Studien prospektiv erfasst [3].

Die Einführung des DRG-Abrechnungssystems hat zu einer Vergütung medizinischer Leistungen nach Diagnose geführt [1]. Auch wenn einige medizinische Interventionen („Prozeduren”) und das Auftreten von Komplikationen den Schweregrad der Diagnose modifizieren und damit den Erlös für das behandelnde Krankenhaus anheben können, werden eine Reihe medizinisch unverzichtbarer Vorhaltungen und Leistungen nicht ausreichend berücksichtigt. Dazu gehören in der Kinderonkologie beispielsweise die Präsenz eines pädiatrisch-onkologischen Psychosozialdienstes, die unmittelbare Verfügbarkeit einer Kinderintensivstation und die Möglichkeit sofortiger Transfusionen mit bestrahlten Blutprodukten. Einrichtungen ohne derartige Voraussetzungen könnten Ausgaben für solche Vorhaltungen und Leistungen sparen und auf Kosten von Qualität und Sicherheit kinderonkologische Behandlungen anbieten. Durch die Teilnahme von Krankenhäusern, die die erforderlichen Voraussetzungen nicht oder nur in Teilen erfüllen, entsteht tendenziell eine zu niedrige Bewertung der entsprechenden Relativgewichte.

Um eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung für kinderonkologische Erkrankungen flächendeckend in Deutschland sicherzustellen und damit perspektivisch auch eine kostenhomogenere Kalkulationsgrundlage zu erreichen, wurden unverzichtbare Standards durch eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der GPOH, des Dachverbandes der Elternvertretung DLFH und der Spitzenverbände der Krankenkassen vorbereitet und in intensiven Diskussionen in den Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses beraten und durch diesen am 16.5.2006 offiziell verabschiedet [4].

„Die Vereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Maßnahmen zur Qualitätssicherung für die stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit hämatologisch-onkologischen Krankheiten” [4] definiert die Anforderungen an Zentren, die erfüllt werden müssen, um Kinder und Jugendliche mit hämatologisch-onkologischen Krankheiten stationär behandeln zu dürfen. Weiterhin wird festgelegt, für welche Diagnosen die Vereinbarung gilt. Sie regelt außerdem Umfang, Verfahren und Prüfkriterien für Stichprobenprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen.

Die Ziele der Vereinbarung sind:

  • Die Sicherung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Versorgung von Patienten mit pädiatrisch-hämatologisch-onkologischen Krankheiten,

  • die Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Versorgung für alle Kinder mit hämatologisch-onkologischen Krankheiten unabhängig von Wohnort oder sozioökonomischer Situation,

  • die Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit und der Lebensqualität von Kindern mit hämatologisch-onkologischen Krankheiten.

Wichtige Inhalte der Vereinbarung umfassen:

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Altersspanne und Diagnose

Kinder und Jugendliche von 0 bis unter 18 Jahren müssen künftig in einem pädiatrisch-hämatologisch-onkologischen Zentrum behandelt werden, wenn eine der gelisteten Diagnosen vorliegt oder zu vermuten ist. Die Altersbegrenzung bis zu einschließlich 17 Jahren für Diagnosen mit Überlappungen in den internistischen Onkologiebereich wie z. B. akute Leukämien, Hodgkin-Lymphome und Knochentumoren wurde mit den Vertreten der internistischen Onkologie einvernehmlich abgesprochen. Die Alters-Einschlusskriterien für die Therapieempfehlungen werden in künftigen Therapieoptimierungsstudien entsprechend angepasst. Nach dem 18. Geburtstag ist die Weiterversorgung nicht geregelt. Die Patienten können, müssen aber nicht, weiter in einem pädiatrischen Zentrum betreut werden. Wird bei einem pädiatrischen Patienten eine hämatologisch-onkologische Erkrankung neu in einer anderen Einrichtung diagnostiziert, soll mit Rücksicht auf die Transportfähigkeit und erforderlichen Sofortmaßnahmen eine zügige Verlegung in ein Zentrum erfolgen. Gleiches gilt für definierte „Komplikationen” (Diagnoseliste 2), die im Rahmen der Therapie für hämatologisch-onkologische Krankheiten auftreten, wie z. B. septisches Fieber in neutropenischen Phasen.

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Behandlung nach anerkannten Therapieoptimierungsstudien

Wenn immer möglich, ist dem Patienten bzw. seinen Erziehungsberechtigten die Behandlung im Rahmen einer anerkannten Therapieoptimierungsstudie zu empfehlen. Damit ist erstmalig die Therapieoptimierungsstudie als Grundlage einer kinderhämatologischen-onkologischen Behandlung offiziell festgeschrieben, ohne dass die Freiheit der Therapiewahl des Patienten beschränkt ist. Zur Einbindung in die Therapieoptimierungsstudie gehören die regelmäßige Dokumentation und Berichterstattung von Diagnostik- und Therapiemaßnahmen an die Studienleitung im Sinne einer Qualitätssicherung, der protokollgerechte Versand von Bilddaten und Biomaterialen an Referenzeinrichtungen, die sachgerechte Kodierung amtlicher Diagnosen und Prozeduren und die Verpflichtung der Zentren zur regelmäßigen Meldung neu erkrankter Patienten an das zentrale Kindertumorregister. Ungeklärt ist noch, wie die Finanzierung der qualitätssichernden Aspekte der Therapieoptimierungsstudien realisiert werden wird.

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Personelle und fachliche Anforderungen an Zentren

Eckpunkte dieser Festlegungen sind das Vorhandensein

  • von mindestens zwei (ab 2009 drei) vollzeitig tätigen Kinderfachärzten mit der Schwerpunktanerkennung „Kinderhämatologie und -onkologie”

  • eines täglichen Visitendienstes und eines eigenständigen kinderonkologischen Rufdienstes mit Vororttätigwerden innerhalb von einer Stunde

  • von mindestens zwei kinderonkologisch erfahrenen Kinderkrankenpflegenden pro Schicht (bis 2008 nur eine pro Nachtschicht erlaubt),

  • eines multiprofessionellen Teams bestehend aus ärztlichem Dienst, Pflegedienst, Psychosozialdienst und, soweit erforderlich, Ernährungsberatern und Physiotherapeuten,

  • eines Psychosozialdienstes für eine spezifisch pädiatrisch-hämatologisch-onkologische und quantitativ angemessene Versorgung der Patienten und ihrer Familien

  • qualifizierten Personals für die Dokumentation von Diagnostikergebnissen und Therapieverlauf, das protokollgerechte Management der Biomaterial- und Bilddatenlogistik und die Kodierung von Diagnosen und Prozeduren.

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Infrastrukturen

Therapie- und Nachsorgeplan sind abteilungsintern bzw. interdisziplinär zu diskutieren und schriftlich für jeden Patienten bei Diagnosevorstellung und bei wichtigen Behandlungsabschnitten festzulegen. Weitere Abschnitte der Vereinbarung listen Einrichtungen auf, die zu jeder Zeit (z. B. bildgebende Diagnostik), die täglich (z. B. Dialyse) oder nur werktäglich (z . B. hämatologisch-onkologisches Speziallabor) dienstbereit und verfügbar sein müssen. Weiterhin sind Notfallversorgung, die Teilnahme an der Referenzdiagnostik und der Versand von Untersuchungsmaterial verpflichtend geregelt.

Die Vereinbarung wird am 1.1.2007 in Kraft treten und weist eine zweijährige Übergangsperiode auf.

Die Zentren sind bis spätestens zum 30.9. eines jeden Jahres, erstmalig 2007 verpflichtet, die Einhaltung der geforderten Qualitätskriterien anhand der vereinbarten Checkliste nachzuweisen. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen (MDK) ist berechtigt, die Angaben stichprobenartig vor Ort zu überprüfen. Bei Nichterfüllung der Anforderungen besteht eine nachzuweisende Nachbesserungsmöglichkeit bis zum 31.12.2007, in besonders erwähnten Ausnahmefällen bis zum 31.12.2008. Wenn bis zu diesen Fristen kein Nachweis erfolgt, können die erbrachten kinderonkologischen Leistungen - außer bei Transportunfähigkeit des Patienten - nicht mehr abgerechnet werden.

Nach Untersuchungen der Fachgesellschaft GPOH aus dem bisherigen Patientenaufkommen pro Zentrum und Selbstauskünften der Zentren zu ihrer Personalstruktur wird erwartet, dass die Anzahl der Behandlungszentren von derzeit ca. 100 im Bundesgebiet auf ca. 50 zurückgehen wird. Allerdings werden nur ca. 15 % der Patienten in Krankenhäusern betreut, die die Anforderungskriterien nicht erfüllen. Da der Rückgang überwiegend in großen Städten und Ballungsgebieten mit mehreren Kliniken erfolgt, wird es nicht zu erheblich weiteren Wegstrecken im Vergleich zur bisherigen Versorgung kommen. Durch die Konzentration wird aber die Versorgungsqualität in den verbleibenden und auszubauenden Zentren steigen. Diese Entwicklung wird von den Elternverbänden, die diese Vereinbarung ausdrücklich mittragen, begrüßt, weil nur so für alle Patienten mit kinder-hämatologisch-onkologischen Krankheiten ein gesichert hoher Versorgungsstandard gewährleistet werden kann. Patienten, Eltern und die kinderonkologischen Zentren erwarten, dass durch die Zentralisierung eingesparte Mittel für eine strukturelle Förderung der Therapieoptimierungsstudien eingesetzt werden. Mit einer Begleitforschung zur Versorgungsqualität soll die Sinnhaftigkeit dieser Strukturmaßnahmen einer strengen Evaluation unterzogen werden. Eine erste Analyse ist zwei Jahre nach In-Kraft-Treten der Vereinbarung geplant.

Die Autoren erklären hiermit, dass kein Interessenskonflikt besteht.

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Literatur

  • 1 Berthold F, Herold R. Die Pädiatrische Onkologie und Hämatologie auf dem Weg in die neue Krankenhausfinanzierung.  Klin Padiatr. 2002;  214 145-148
  • 2 Creutzig U HG, Bielack S, Herold R, Kaatsch P, Klussmann J H, Graf N, Reinhardt D, Schrappe M, Zimmermann M, Jürgens H. Krebserkrankung bei Kindern.  Dt Ärztebl. 2003;  100 A842-A852
  • 3 Creutzig U, Juergens H, Herold R, Goebel U, Henze G. Konzepte der GPOH und des Kompetenznetzes zur Weiterentwicklung und Qualitätssicherung in der Pädiatrischen Onkologie.  Klin Padiatr. 2004;  216 379-383
  • 4 Gemeinsamer Bundesausschuss.  http://www.g-ba.de/cms/front_content.php
  • 5 Goebel U, Kornhuber B, Schellong G, Winkler K. Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung Pädiatrisch-onkologischer Zentren.  Klin Padiatr. 1991;  203 195-205
  • 6 Graf N, Goebel U. Therapieoptimierungsstudien der Gesellschaft Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) und 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes zur Umsetzung der EU-Richtlinie.  Klin Padiatr. 2004;  216 129-131
  • 7 Kaatsch P SC. Jahresbericht 2004, Deutsches Kinderkrebsregister. 2004; 40

Prof. Dr. F. Berthold

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Literatur

  • 1 Berthold F, Herold R. Die Pädiatrische Onkologie und Hämatologie auf dem Weg in die neue Krankenhausfinanzierung.  Klin Padiatr. 2002;  214 145-148
  • 2 Creutzig U HG, Bielack S, Herold R, Kaatsch P, Klussmann J H, Graf N, Reinhardt D, Schrappe M, Zimmermann M, Jürgens H. Krebserkrankung bei Kindern.  Dt Ärztebl. 2003;  100 A842-A852
  • 3 Creutzig U, Juergens H, Herold R, Goebel U, Henze G. Konzepte der GPOH und des Kompetenznetzes zur Weiterentwicklung und Qualitätssicherung in der Pädiatrischen Onkologie.  Klin Padiatr. 2004;  216 379-383
  • 4 Gemeinsamer Bundesausschuss.  http://www.g-ba.de/cms/front_content.php
  • 5 Goebel U, Kornhuber B, Schellong G, Winkler K. Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung Pädiatrisch-onkologischer Zentren.  Klin Padiatr. 1991;  203 195-205
  • 6 Graf N, Goebel U. Therapieoptimierungsstudien der Gesellschaft Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) und 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes zur Umsetzung der EU-Richtlinie.  Klin Padiatr. 2004;  216 129-131
  • 7 Kaatsch P SC. Jahresbericht 2004, Deutsches Kinderkrebsregister. 2004; 40

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