Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(5): 227
DOI: 10.1055/s-2006-947265
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ähnliche Probleme, ähnliche Lösungen

Peter Knuth
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 May 2006 (online)

Seit Jahrzehnten wird quer über den Atlantik trefflich diskutiert, welches Rettungsdienstsystem das Bessere sei, das deutsche Notarztbasierte oder das angelsächsische Paramedicsystem. Eindeutige Antworten auf diese Diskussionslage sind bislang nicht erfolgt und auch nicht zu erwarten. Die Rahmenbedingungen für den rettungsdienstlichen Einsatz sind einfach zu unterschiedlich, als dass es klare Antworten geben könnte. In Deutschland haben wir eine ständig abnehmende Krankenhausdichte mit der Konsequenz längerer Transportwege, eine Rettungswachendichte die sich an Hilfsfristen von etwa 15 Minuten orientiert, keine systematische Einbindung der Feuerwehren als First Responder und die einsatztaktische Abstützung des Rettungsdienstes auf den Notarzt - meist im Rendezvoussystem - der in großer individualistischer Therapiefreiheit handelt. Das Outcome der Patienten in unserem System ist sicherlich über die gesamte Breite der Notfälle nicht schlecht. Andererseits stagnieren bei Reanimationen nach kardialen Ereignissen die Ergebnisse seit Jahrzehnten auf einem im angelsächsischen Vergleich teilweise relativ niedrigen Niveau.

Besucht man den Rettungsdienst in einer amerikanischen Metropole, wie Los Angeles, wird sehr schnell deutlich, wo die Unterschiede liegen und dass die Ausgangsbedingungen dort sicherlich nicht einfacher sind als in Deutschland. Los Angeles besteht aus 88 autonomen Gemeinden, die Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst autark regeln können. Wie dies geschieht, ist in erster Linie von der Finanzkraft der Gemeinde abhängig. So finden wir sehr gut ausgerüstete und ausgebildete Feuerwehren und Rettungsdienste und auf der anderen Seite Gemeinden, die Feuerschutz und Rettungsdienst bei Nachbargemeinden einkaufen müssen. Die rettungsdienstliche Taktik ist im Großraum Los Angeles sehr stark standardisiert. Es hat sich ein Rendezvoussystem unter Einbezug der Feuerwehr etabliert. Bei einem Rettungsdiensteinsatz rückt ein Löschfahrzeug als First Responder aus, ein Paramedic fährt im Sinne unseres Notarztes zum Einsatzort und die dritte taktische Einheit ist eine Ambulanz eines privaten Krankentransportunternehmers. Wegen der immens hohen Stützpunktdichte von Feuerwehr, Rettungsdienst und Ambulanzen gibt es extrem niedrige Anfahrzeiten. Da auch die Versorgungszeiten am Notfallort durch Beschränkung auf das absolut Notwendige kurz sind und die hohe Krankenhausdichte der Metropolen kurze Transportzeiten vom Notfallort in die Klinik ermöglicht, ist der Emergency Room der eigentliche Versorgungsort.

Medizinisch-fachlich ist der Handlungsspielraum des Rettungsdienstpersonals durch penible algorithmenartige Anweisungen - in zwei dicken Wälzern festgehalten - genauestens geregelt. Dieser Handlungsbereich wird im Einsatz durch ständigen Funkkontakt und Anweisungen durch das Fachpersonal eines Emergency Rooms ergänzt und auf den Einzelfall zugeschnitten. Sind diese Rahmenbedingungen - beispielsweise außerhalb der amerikanischen Metropolen - nicht mehr gegeben, verschlechtern sich die Ergebnisse, wie die Rettungsdienstverantwortlichen für Los Angeles einräumen.

Ein großes Problem stellt die schwierige soziale Lage von offiziell 80000 Obdachlosen in Los Angeles dar. Diese haben, da der Krankenversicherungsschutz in der Regel fehlt, oft nur über den Rettungsdienst und einen Emergency Room Zugang zur gesundheitlichen Versorgung. Da Transport- und Behandlungspflicht besteht, bleiben die Rettungsdienste und die Krankenhäuser auf ihren Kosten sitzen, was bereits zum Konkurs einiger Krankenhäuser geführt hat.

Je nach wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung in Deutschland wären diese Szenarien allerdings auch für uns durchaus denkbar.

Prof. Dr. med. Peter Knuth

Wiesbaden