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DOI: 10.1055/s-2006-954448
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Fremdländische Patienten - Schmerzbewältigung in verschiedenen Kulturen
Publication History
Publication Date:
27 November 2006 (online)
Wenn der türkische Patient auf die Frage, wo es weh tut, klagt, ihm tue alles weh, er sei schließlich krank, kann das den deutschen Arzt leicht überfordern. Verschiedene Kulturen gehen mit Schmerz ganz unterschiedlich um. Wie sie das tun, hat PD Dr. Norbert Kohnen, Universität Düsseldorf, untersucht. "Der Umgang mit Schmerz ist abhängig von der Kontrollüberzeugung", so sein Fazit beim Deutschen Schmerzkongress.
Deutsche Ärzte haben aus ihrer soziokulturellen Sicht eine Vorstellung, welche Schmerzäußerungen und welche Schmerzbewältigungen angebracht sind. Diese einseitige Sicht kann zu Verständigungsschwierigkeit und Fehlurteilen bei der Behandlung ausländischer Patienten führen: Iren ziehen sich zurück, weil es unfein ist, Schmerz zu äußern; Nordamerikaner suchen so früh wie möglich den Arzt auf, schildern ihm die Beschwerden ohne emotionale Regung, damit er sofort eine rationale Behandlung einleiten kann; Juden erdulden den Schmerz, weil Gott ihnen so ein Zeichen geben will; Italiener äußern Schmerzen laut und deutlich, damit ihnen die familiäre Anteilnahme zukommt, Philippinos fügen sich fatalistisch in ihr Schicksal.
#Ärzte müssen sich eindenken
"Man kann unterscheiden zwischen individualorientierten (Deutsche, Briten, Iren, Nordeuropäer und Nordamerikaner) und familienorientierten Gesellschaften (Italiener, Türken, Mittelmeervölker, Asiaten)", erläutert der Forscher. Familienorientierte Gesellschaften sind überzeugt, Krankheit und Schmerz nur mit Hilfe der Familie bewältigen zu können. Patienten werden notwendigerweise von vielen Angehörigen begleitet. Dagegen sind Patienten aus individualorientierten Gesellschaften überzeugt, sich selbst helfen zu können, indem sie der Vernunft folgend fachärztlichen Rat einholen.
Diese Bedingungen muss ein Arzt bedenken, denn das Verweigern der erlernten kulturellen Bewältigungsstrategien führt zu Hilflosigkeit, Verzweiflung, zu erhöhtem Stress und damit zu größerer Schmerzempfindlichkeit. Dr. Kohnen fordert daher Ärzte auf, sich in die Erlebniswelten ihrer fremdländischen Patienten einzudenken.
Quelle: Presseinformation der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS)