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DOI: 10.1055/s-2006-955873
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Politik und Wissenschaft: Ein Blick in die Geschichte der Organtransplantation in Russland
Publication History
eingereicht 11. August 2006
Publication Date:
04 June 2007 (online)


Das politische Regime in der ehemaligen UdSSR hat besonders während der Diktatur Stalins nicht nur die Weiterentwicklung in Politik, Wirtschaft und Kultur maßgeblich bestimmt, sondern auch grundlegende theoretische Vorstellungen und Kenntnisse in der Biologie und vor allem der Medizin beeinflusst. Um die politische Atmosphäre, in der der Artikel des russischen Biologen W. P. Demichow zu Problemen der Organtransplantation veröffentlicht wurde zu verstehen, ist es notwendig, die damalige Forschungssituation in Biologie und Medizin zu beleuchten.
In den 30 - 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde in der sowjetischen Wissenschaft die Mitschurinsche Vererbungslehre als die einzig richtige Theorie vom Staat propagiert. I. W. Mitschurin (1855 - 1935) war ein begabter Biologe und Züchter, der hunderte von neuen Pflanzensorten durch „vegetative Hybridisation“ („vegetativ“ - zur Vegetation gehörend, pflanzlich) gezüchtet hatte. Er glaubte, dass der Mensch in der Lage sei, einen Prozess der tief gehenden Veränderungen in der Erbanlage der Pflanzen hervorzurufen und durch Kontrolle ihrer Lebensbedingungen ein neues Erbgut zu schaffen [[3]]. Seine Theorie wurde von der kommunistischen Parteiführung als eine progressive materialistische Lehre gefeiert. Die Gegner dieser Vererbungslehre, die überzeugt waren, dass Umweltbedingungen ausschließlich Veränderungen im Individuum selbst und nicht in seiner Erbanlage hervorrufen könnten, wurden politisch verfolgt. Eine Hauptrolle bei der Verfolgung von Anhängern der Chromosomentheorie spielte T. D. Lysenko (1898 - 1976), der seit 1940 das Institut für Genetik der Akademie der Wissenschaften der UdSSR leitete und ein heftiger Verfechter der Theorie der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften war [[2]]. Lysenko behauptete sogar, dass die Mitschurinsche Vererbungslehre auch auf die Tierwelt übertragbar sei und die bestehenden biologischen Gattungen in der Lage wären, unter der Einwirkung von Umweltbedingungen neue Gattungen zu erzeugen [[4]]. Diese Situation in der biologischen Wissenschaft hatte einen ungünstigen Einfluss auf die Weiterentwicklung in der Medizin und besonders der Organtransplantation in der ehemaligen UdSSR.
Mit der vorliegenden Publikation aus dem Jahr 1953 wird eine Serie von sprachgetreuen Übersetzungen aus dem wissenschaftlichen Nachlass des bekannten russischen Biologen und Experimentators W. P. Demichow in der Hoffnung fortgesetzt, Interesse an seiner Persönlichkeit und wissenschaftlichen Tätigkeit vor dem Hintergrund parteipolitischer Einflussnahme auf die Forschung zu wecken [[6], [7]].