Der Klinikarzt 2006; 35(10): 405
DOI: 10.1055/s-2006-956245
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diarrhö-Krankheiten interdisziplinär

Eduard F. Stange
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. November 2006 (online)

Wer kennt sie nicht, die akute Diarrhö, die uns in Urlaubstagen oder auch zwischendurch „auf dem falschen Fuß erwischt” und die Kanalisation in Mexiko oder anderswo auf die Probe stellt? Meistens selbstlimitiert und in der Regel ebenso störend wie harmlos, führt sie ihr medizinisches Schattendasein am stillen Ort. In diesem Heft soll es daher um die gastroenterologische Problemzone der chronischen Diarrhö gehen. Wir haben hier vier Krankheitsbilder bzw. Komplikationen herausgegriffen, in denen es entweder neue Entwicklungen gibt oder deren relative Seltenheit meistens mit dem Attribut „Kolibri” verbunden wird.

Ein Paradigmenwechsel findet derzeit beim Verständnis des Morbus Crohn statt. Die alte Auffassung - natürlich weiterhin perpetuiert durch die eingefahrene Lehrmeinung - vermutet als Ursache dieser chronischen Erkrankung eine so genannte „Dysregulation des mukosalen Immunsystems”. Auch Immunologen haben jedoch zwischenzeitlich akzeptiert, dass die Immunreaktion nicht gegen körpereigenes Gewebe, sondern gegen die normale luminale Flora gerichtet ist. Die eigentlich nahe liegende Vermutung, dass dahinter ein Barrieredefekt bei der bakteriellen Abwehr stehen könnte, steht inzwischen auf einer gesicherten molekularen und genetischen Basis.

Die Sprue wiederum hat, wie der Artikel in diesem Heft beispielhaft ausführt, einen Chamäleon-Charakter angenommen. Eher selten geworden ist heute die klassische Sprue mit Gewichtsverlust und chronischer Diarrhö. Viele der Patienten werden jedoch aufgrund der sehr komplexen Symptomatik zu spät diagnostiziert. Die letzte Diagnose bei einem meiner Spruepatienten hat beispielsweise ein Hautarzt gestellt: Bei einer Dermatitis herpetiformis dachte dieser bei einem seit 15 Jahren symptomatischen Patienten an die Sprue.

Weniger mit einem Chamäleon, sondern eher mit einem Kolibri sind die vielfältigen Ursachen der endokrinen Diarrhö zu vergleichen. In der Regel durchlaufen diese Patienten die komplette mikrobiologische und endoskopische Diagnostik, Letztere vermutlich mehrfach. Wie so oft in der Medizin, liegt dann das Problem darin, an die Differenzialdiagnose zu denken.

Der letzte Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einer iatrogenen Form der Erkrankung, nämlich der postoperativen Diarrhö. Diese ist keineswegs auf Kurzdarmsyndrome beschränkt, sondern besteht auch nach Vagotomie oder chologen. Diese Variante der Diarrhö ist, ebenso natürlich wie die Diarrhö bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder die endokrine Diarrhö, ein interdisziplinäres Problem.

Das vorliegende Schwerpunktheft soll keinen Überblick mit Anspruch auf Vollständigkeit bieten, sondern setzt bewusst Akzente. Ich danke den Autoren der Beiträge und würde mich über kritisch-konstruktive Kommentare der Leserschaft freuen.

Prof. Dr. Eduard F. Stange

Stuttgart (Gasteditor)

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