Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(12): 588-589
DOI: 10.1055/s-2006-958508
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Keine Chance für Influenza - Grippe ist kein Kinderspiel

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Publication Date:
03 January 2007 (online)

 
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Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) starben im Winter 2004/2005 in Deutschland zirka 20000 Menschen an Influenza. Dies übertrifft die Zahl der Verkehrstoten um das Vierfache (ca. 5000 in 2005) und die Zahl der Todesfälle aufgrund anderer Infektionskrankheiten, wie zum Beispiel AIDS (ca. 500 in 2005) um das 40-fache. Was die Influenza so gefährlich macht: die Infektion bleibt nicht auf die Atemwege beschränkt, sondern kann auf andere Organe übergreifen. Dies wird besonders bei Kindern deutlich, die einen weitaus schwereren Krankheitsverlauf haben können: die Symptomatik unterscheidet sich zum Teil so stark von der Erwachsener, dass eine sichere Diagnose erschwert wird.

Wie Prof. Dr. Heino Skopnik aus Worms bestätigt, sind Kinder von der jährlichen Influenza-Epidemie besonders betroffen. Mit einer Infektionsrate von bis zu 30% erkranken sie etwa doppelt so häufig wie Erwachsene. Insbesondere Kinder in den ersten zwei Lebensjahren sind gefährdet, da sie zuvor häufig noch nie Kontakt zu Influenza-Viren hatten und oft auch nicht gegen Influenza geimpft werden. Meist ist das infizierte Kind der erste Patient in der Familie. Es ist deshalb als ein Risikofaktor für andere Familienangehörige zu sehen, die auch zu einer Risikogruppe gehören, zum Beispiel ältere Menschen mit Grunderkrankungen und jüngere Geschwister im Säuglingsalter, so der Chefarzt der Pädiatrischen Abteilung am Stadtkrankenhaus Worms.

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Grippe bei Kindern - Symptomatik und Diagnose

Das klinische Krankheitsbild der Influenza unterscheidet sich bei Säuglingen und Kleinkindern mitunter stark von dem bei älteren Kindern und Erwachsenen. Bei Kindern beginnt die Influenza meistens ganz plötzlich und drastisch. Oft beschreiben es die Eltern so: "Das Kind wurde aus heiterem Himmel plötzlich schwer krank!" Fieber gehört fast immer dazu. Typische Symptome sind außerdem: Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Reizhusten, Müdigkeit und - im Gegensatz zu Erwachsenen - Bauchschmerzen. Weil der Krankheitsanfang so typisch ist, hat die Anamnese zu Beginn der Erkrankung einen sehr hohen Stellenwert. Bei vielen Kindern kommt es in Folge einer Grippe zu lebensbedrohenden Sekundärinfektionen wie etwa einer Lungenentzündung, der Verschlechterung von bereits bestehendem Asthma oder zu anderen Komplikationen, wie beispielsweise Fieberkrämpfen. "Eine weitere ernstzunehmende Komplikation bei Grippe ist die Otitis media. Diese tritt bei bis zu 40% der jüngeren Kinder auf, die mit dem Virus infiziert sind", erklärt PD Dr. Terho Heikkinen vom finnischen Turku Hospital. "Sie kann Hörprobleme verursachen, die zu einer verzögerten Sprachentwicklung führen - deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass bei Kindern so bald wie möglich eine Behandlung gegen Grippe vorgenommen wird." Erst beim älteren Kind verläuft die Influenza ähnlich wie beim Erwachsenen.

Die Diagnosestellung Influenza im Kindesalter wird zusätzlich erschwert durch vergleichbare Krankheitsbilder, die durch andere Viren hervorgerufen werden. Zur Unterscheidung müssen in diesen Fällen Schnelltests zum Influenza-Nachweis eingesetzt werden. Die schnelle Diagnosestellung ist wichtig, um eine spezifische Therapie einzuleiten und die Häufigkeit von Krankenhauseinweisungen und Verschreibung von Antibiotika nach Möglichkeit zu vermeiden.

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Risiken der Grippe für Kinder werden unterschätzt

Die Wahrscheinlichkeit einer Grippeinfektion ist bei Kindern dreimal höher als bei Erwachsenen. Dennoch werden die Risiken für Kinder unterschätzt. In dem 2003 veröffentlichten Bericht "Grippe: Wissen wir genug? - Eine Studie zu den Auswirkungen der Grippe auf Kinder" betonen führende Grippeexperten aus verschiedenen europäischen Ländern die Notwendigkeit eines umfassenderen Verständnisses der Grippe bei Kindern. Der Bericht zeigt eindrucksvoll die Auswirkungen einer Grippe im Kindesalter auf [1]. Außerdem stellt er die Ergebnisse einer Umfrage unter Klinikärzten vor. Danach zeigen sich deutliche Unterschiede bezüglich der Einschätzung der Kliniker in verschiedenen Ländern: Während 71% der Kinderärzte in Frankreich und Allgemeinärzte in Deutschland in der Grippe eine ernst zu nehmende Bedrohung für die Gesundheit der Kinder sahen, waren in Großbritannien 57% der Ansicht, dass sie kein ernsthaftes Problem darstelle. Für Kliniker in allen drei Ländern hat die Grippe als Kinderkrankheit eine geringere Bedeutung als Asthma, Allergien und Masern; die Befragten waren sich jedoch dahingehend einig, dass die Grippe für Kinder und Kleinkinder ein schwerwiegenderes Problem darstellt als Windpocken.

Wie die Umfrage ergab, kann sich die Diagnose einer Grippe bei Kleinkindern jedoch schwierig gestalten, da das Kind seine eigenen Symptome meist nicht richtig schildern kann. Trotz dieser erschwerten Diagnose-Bedingungen zeigte sich, dass mehr als 90% der praktischen Ärzte, die Kinder mit Grippe behandeln, keinen Abstrich zum Nachweis des Virus durchführen. "Dieser Bericht ist ein wichtiger Schritt in Richtung auf ein zunehmendes Bewusstsein bezüglich der unterschätzten Gefahr, die eine Grippe für unsere Kinder darstellt. Wir appellieren an alle Ärzte, bei Kindern verstärkt auf Symptome einer Grippe zu achten und diese umgehend zu behandeln, um ernsthaften Komplikationen vorzubeugen", so der abschließende Kommentar von Prof. Robert Booy, Royal London Hospital, London.

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Neuraminidasehemmer als Therapie der Wahl

Den besten, aber nicht hundertprozentigen Schutz vor Influenza, bietet die Impfung. Trotz verschiedener Bemühungen, die Impfraten zu steigern und eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern, bedrohen Grippe-Epidemien jedes Jahr aufs Neue die Gesundheit von Kindern. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, während der Epidemie auch bei untypischem Verlauf schnell auf Influenza zu testen, um frühestmöglich die spezifische Behandlung zu beginnen. Bei Auftreten von Influenza in der Familie muss außerdem die vorbeugende Behandlung gefährdeter Familienangehöriger erwogen werden.

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Mit Einführung der sogenannten Neuraminidasehemmer (z. B. Oseltamivir) besteht erstmals die Möglichkeit, Influenza kausal zu therapieren. Diese Medikamente verhindern, dass sich das Grippe-Virus im Körper ausbreitet und können gegen alle klinisch relevanten Stämme von Influenza-Viren eingesetzt werden.

Die Neuraminidase ist ein Virus-Protein, das es dem Virus ermöglicht weitere Wirtszellen zu infizieren. Wird diese gehemmt, kann das Virus nicht mehr aus der Wirtszelle austreten und stirbt ab. Im Gegensatz zu älteren antiviralen Arzneimitteln, den sogenannten M2-Hemmern, sind Neuraminidasehemmer sowohl gegen Influenza-Viren vom Typ A als auch vom Typ B wirksam. Oseltamivir (Tamiflu®) ist für die Behandlung von Erwachsenen und Kindern ab einem Jahr sowie zur Influenza-Prophylaxe zugelassen. Für Kinder ab einem Jahr steht es auch als Suspension zur Verfügung.

Prof. John Oxford, St. Barts and The London, Queen Mary's School of Medicine and Dentristry, London, erklärt dazu: "Da Kinder bei der Ausbreitung einer Grippe als Überträger eine zentrale Rolle spielen, indem sie andere Kinder und Familienmitglieder anstecken, ist es sehr ermutigend, dass Oseltamivir offensichtlich die Übertragung einer Grippeerkrankung von Kindern unter zwölf Jahren wirksam verhindern kann."

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Frühwarnsystem RealFluTM unterstützt Ärzte bei der Diagnose

Grundlegender Schritt, um den Ausbruch einer Influenza-Epidemie zu vermeiden, ist es die Influenza-Symptome rechtzeitig zu erkennen. Das Grippe-Frühwarnsystem RealFluTM unterstützt Ärzte bei der Diagnose. Tagesaktuell zeigt es die Häufigkeit der Influenza-Infektionen in den Bundesländern an. Ist dem Arzt bekannt, dass ein lokaler Influenza-Ausbruch vorliegt, kann er allein aufgrund der klinischen Symptomatik mit einer Wahrscheinlichkeit von 70-80% die richtige Diagnose stellen. Außerhalb einer Grippe-Welle haben die gleichen Symptome einen prädiktiven Wert von 30-40% [2].

"RealFlu ermöglicht uns eine sofortige und sichere Differenzialdiagnostik bei viralen Atemwegsinfektionen und somit einen rechtzeitigen Therapiebeginn, sodass schweren Verläufen vorgebeugt werden kann", bewertet Dr. Petra Sandow, Fachärztin für Allgemeinmedizin aus Berlin das von der Roche Pharma AG entwickelte Frühwarnsystem.

Die Grippekarte kann unter www.grippe-online.de eingesehen und kostenlos auf die eigene Website heruntergeladen werden.

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Grippekarte vom 31.01.2005: Grüne Flächen = Bundesländer mit keiner oder geringer Grippeaktivität, orange/gelbe Flächen = erhöhte Grippe-Aktivität, rote Flächen = hohe Grippe-Aktivität.

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Literatur

  • 01 Unabhängige Umfrage unter 105 Klinikern; durchgeführt in Großbritannien von Medical Marketing Research International, in Frankreich von A+A Research und in Deutschland von TNS Emnid GmbH & Co. KG (2003). 
  • 02 Lange W . Vogel G . Influenza.  Klinik, virologie, Epidemiologie, Therapie und Prophylaxe. 2004; 
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Literatur

  • 01 Unabhängige Umfrage unter 105 Klinikern; durchgeführt in Großbritannien von Medical Marketing Research International, in Frankreich von A+A Research und in Deutschland von TNS Emnid GmbH & Co. KG (2003). 
  • 02 Lange W . Vogel G . Influenza.  Klinik, virologie, Epidemiologie, Therapie und Prophylaxe. 2004; 
 
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Grippekarte vom 31.01.2005: Grüne Flächen = Bundesländer mit keiner oder geringer Grippeaktivität, orange/gelbe Flächen = erhöhte Grippe-Aktivität, rote Flächen = hohe Grippe-Aktivität.