Der Klinikarzt 2006; 35(12): XVI-XVII
DOI: 10.1055/s-2006-958518
Medizin & Management

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Chancen durch Vernetzung - Sektorale Grenzen lassen sich überwinden

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Publikationsdatum:
23. Januar 2007 (online)

 
Inhaltsübersicht

Das deutsche Gesundheitssystem ist zwar eines der besten der Welt, gleichzeitig ist es aber auch eines der teuersten und - leider - in manchen Bereichen nicht besonders effektiv. Hierfür mag es viele Gründe geben, die wichtigsten sind die immer noch vorhandenen Barrieren zwischen den unterschiedlichen Versorgungsbereichen. Denn die in dem jeweiligen Sektor gültigen komplexen Regelungen zu Leistungsplanung und Vergütung verleiten die Anbieter in den verschiedenen Sektoren (ambulant, stationär und rehabilitativ) dazu, nur ihren eigenen Nutzen zu optimieren. Dies schwächt jedoch gleichzeitig das Bewusstsein für die medizinische und ökonomische Gesamtverantwortung für die Versorgung der Patienten.

Eigentlich wissen wir schon seit Längerem, dass sich das deutsche Gesundheitssystem vor allem die Trennung zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor nicht mehr leisten kann. Die Zukunft gehört daher den integrierten Versorgungsformen. Eine verbesserte Verzahnung der im deutschen Gesundheitswesen noch bestehenden Sektoren würde es erlauben, Schnittstellen und Übergänge optimal zu gestalten und über die Realisierung von Synergien eine erhöhte Wirtschaftlichkeit bei der Behandlung des Patienten in einer Gesamtsicht zu erreichen.

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Der Anfang ist gemacht, Krankenhäuser sind im Wandel

Was jahrzehntelang niemand für möglich gehalten hätte, ist in den letzten Jahren tatsächlich auf den Weg gebracht worden: Die sektoralen Grenzen werden nach und nach überwunden. Wesentlich dazu beigetragen haben die Änderungen des Gesetzgebers im Rahmen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes im Jahre 2004, mit dem die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Abschluss von Verträgen der Integrierten Versorgung (IV), der Bildung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und der Vereinbarung von strukturierten Behandlungsprogrammen (Disease-Management-Programme, DMP) geschaffen wurden.

Das Krankenhaus, so wie wir es aus den vergangenen Jahrzehnten kennen, wird es in dieser Form in naher Zukunft nur noch selten geben. Künftig ist es das Glied einer Kette von vernetzten Strukturen im Gesundheitswesen, ohne dabei seine wesentliche Position im System zu verlieren. Es wird bei der notwendigen Koordination der Prozesse zwischen den verschiedenen Kooperationspartnern in der Leistungserstellung eine entscheidende Rolle spielen ("Schnittstellenmanagement").

Ein wichtiger Punkt dabei wird die Bereitstellung der Infrastruktur sein, womit nicht nur die räumliche, personelle und technische Ausstattung, sondern auch die Informationstechnologie und das Management-Know-how gemeint sind. Einzubeziehen sind auch die Logistik und die Entwicklung von Innovationen im Gesundheitsbereich.

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"Integrierte Versorgung" als Musterbeispiel

Ein Beispiel für die derzeitigen organisatorischen Änderungen im Gesundheitswesen sind die Verträge zur Integrierten Versorgung. Krankenkassen haben in den letzten Jahren häufig die Möglichkeit genutzt, Einzelverträge mit niedergelassenen Medizinern, Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen abzuschließen, auch wenn die Umsätze und Fallzahlen je Einzelvertrag noch nicht die erhofften Größenordnungen erreichen.

Die Budgetkürzung für die Anschubfinanzierung und die gedeckelten Budgets sind zusätzliche Anreize zum Abschluss von Verträgen für die Kliniken. In der aktuellen Fassung der Gesundheitsreform ist eine Weiterentwicklung zu einer populationsbezogenen, pauschalen Vergütung (d.h. umfassende Versorgung von Volkskrankheiten in größeren Regionen oder Rundum-Versorgung der Versicherten einer Krankenkasse) vorgesehen. Rehabilitationsleistungen sollen hierbei nicht mehr integriert sein, dafür wird der Kreis der möglichen Vertragspartner um die Pflegeversicherung und nichtärztliche Heilberufe erweitert.

Die Vorteile solcher Verträge zur Integrierten Versorgung liegen auf der Hand: Die Behandlung erfolgt nach definierten Behandlungspfaden gemäß den aktuellen Leitlinien der Fachgesellschaften und ist auf dem neuesten Stand des medizinischen Wissens. Standardisierte Nachuntersuchungen nach Abschluss der stationären und rehabilitativen Behandlung tragen dazu bei, Folgeerkrankungen zu vermeiden, die Liegezeiten in den Krankenhäusern zu verkürzen und die Übergänge zwischen ambulanter, stationärer und rehabilitativer Versorgung besser zu koordinieren, wodurch lange Wartezeiten entfallen.

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Interdisziplinäre Versorgung der Patienten unter einem Dach

Nehmen wir als ein weiteres Beispiel für die beginnenden Veränderungen den Betrieb von Medizinischen Versorgungszentren. Innerhalb von knapp drei Jahren haben sich etwa 2000 Ärzte dafür entschieden, in rund 500 Medizinischen Versorgungszentren Patienten "unter einem Dach" zu versorgen.

Charakteristisch für diese Einrichtungen ist eine ambulante und fachübergreifende Zusammenarbeit von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen, wobei die ärztliche Versorgung durch mindestens zwei Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen oder Berufsgruppen gewährleistet sein muss. Neben der Mitarbeit von angestellten oder Vertragsärzten ist auch eine Kooperation von Physiotherapeuten und anderen nichtärztlichen Heilberufen wie Mitarbeiter eines Sanitätshauses, eines Orthopädiefachgeschäftes sowie Apotheker und Pflegedienstmitarbeiter vorgesehen.

Dies bedeutet eine enge Zusammenarbeit aller an der Behandlung Beteiligten und eine gemeinsame Verständigung über Krankheitsverlauf, Behandlungsziel und Therapie. Es schließt die reibungslose Koordination mit einem Krankenhaus ein, wenn eine stationäre Versorgung notwendig ist.

Dieses "Erfolgsmodell" hat für alle Seiten Vorteile: Der niedergelassene Arzt kann zum Beispiel ohne das ökonomische Risiko einer Praxisgründung und mit einem festen Grundgehalt arbeiten. Die Chancen für ein Krankenhaus liegen in der verstärkten Verzahnung von stationärem und ambulantem Bereich: Damit können die Wettbewerbssituation gestärkt und eine Erlössteigerung durch eine Leistungsausweitung und Nutzung von Synergieeffekten - zum Beispiel durch die gemeinsame Nutzung der Medizintechnik - realisiert werden.

Im Vordergrund steht jedoch die Optimierung des Behandlungsprozesses für den Patienten durch die Bündelung der medizinischen Kompetenz und die Zeitersparnis durch kurze Wege zwischen den einzelnen (Fach-)Ärzten und weiteren Leistungserbringern, eine strukturierte Behandlung durch engere Zusammenarbeit der Ärzte sowie die Vermeidung von oft belastenden Doppeluntersuchungen.

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Verzahnung von Ambulanz und Station geht weiter

Auch das in 2007 in Kraft tretende Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) treibt die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung weiter voran und verspricht eine deutliche Liberalisierung: Alle zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer können so genannte "Berufsausübungsgemeinschaften" bilden, auch über die Grenzen der Kassenärztlichen Vereinigungen hinweg. Die Tätigkeit von Vertragsärzten an mehreren Orten parallel ist gestattet.

Eine Anstellung von Ärzten ohne zahlenmäßige Begrenzung, auch fachgebietsübergreifend, eröffnet neue Perspektiven. Ebenso ist eine Teilzulassung von Ärzten möglich, um die Arbeit sowohl im Krankenhaus als auch in der Praxis zu erleichtern. Krankenhäuser werden damit in die Lage versetzt, ihre Aktivitäten im ambulanten Bereich weiter auszudehnen, insbesondere in das Gebiet der hoch spezialisierten ambulanten Leistungen.

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Chancen und Herausforderungen für das Krankenhaus

Für das Krankenhaus bringen diese Regelungen neben den vielen Chancen aber auch Herausforderungen mit sich. So könnten zusammengeschlossene Hausarzt- und Facharztpraxen durch Kooperationen mit Krankenhäusern in der Region, in denen sie durch eigene Zulassungen deren Infrastruktur nutzen, eine Schlüsselfunktion bei der Patientensteuerung erlangen.

Ein Krankenhaus, das nicht frühzeitig auf die niedergelassenen Meinungsführer zugeht, kann sehr schnell seine Patienten an ein anderes Haus verlieren. Ein gezieltes Einweisermanagement wird damit umso wichtiger werden. Die Kooperationsabsprachen zwischen Haus- und Fachärzten sowie den Krankenhäusern und seinen Ärzten werden die regionalen Versorgungslandschaften in den nächsten Jahren nachhaltig prägen und verändern.

Es ist zu erwarten, dass Fach- und Hausärzte nach geeigneten, kompetenten Klinikärzten suchen werden, die im Einvernehmen mit dem Management des Krankenhauses die ambulante Kompetenz im Wettbewerb verstärken wollen. Denn in der zukünftigen Konkurrenzsituation wird es für ursprünglich rein stationäre Kompetenzträger wichtig sein, die Versorgungsfunktion in einer Hand mit dem niedergelassenen Anbieter wahrzunehmen.

Ein weiterer Vorteil ist, dass das Krankenhaus nicht in ein Medizinisches Versorgungszentrum investieren muss und dennoch die Zuweisungsbindung optimal absichern kann. Leistungsträgern im Krankenhaus wird ein Zweiteinkommen geboten und eine dauerhafte persönliche Zukunftsperspektive mit zwei sich ergänzenden Einnahmesäulen.

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Schon jetzt passende Strukturen schaffen!

Die Krankenhausstrukturen müssen auf diese Entwicklungen ausgerichtet werden. So werden zukünftig Kompetenzzentren den reinen Fachabteilungen "den Rang ablaufen" und sich die zentrale Aufnahme zum Koordinierungszentrum mit funktionaler Verbindung zu anderen Leistungsbereichen und Facharztstandard entwickeln. Die Entlassstation koordiniert die Entlassung und die Überleitung in externe Versorgungsbereiche; eine strukturelle Integration des Case-Managements wird ebenfalls erbracht werden müssen.

Aufgrund der immensen aufgeführten Veränderungen kommen große Chancen auch auf jeden einzelnen Mitarbeiter in den Krankenhäusern zu, vor allem jedoch auf den ärztlichen Dienst. Zukünftig wird es nicht mehr "den" Klinikarzt und "den" Niedergelassenen geben, sondern eine Verzahnung und sinnvolle Kooperation der Bereiche, was allen Beteiligten zugute kommt. Freuen wir uns also auf den fortschreitenden Abbau der Barrieren zwischen ambulant und stationär!

Dr. R. Schwarz, Geschäftsführung, Sana Kliniken, München