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DOI: 10.1055/s-2006-958819
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Interview mit Prof. Georg Juckel, Bochum - EPMS - unvermeidbare Nebenwirkung von Antipsychotika?
Publication History
Publication Date:
22 January 2007 (online)
Extrapyramidal-motorische Störungen (EPMS) und daraus eventuell resultierende tardive Dyskinesien sind gefürchtete Nebenwirkungen von Antipsychotika, die vor allem bei der Anwendung von Typika auftreten können. Können diese mit neuen Antipsychotika vermieden werden? Dr. Katrin Wolf sprach mit Prof. Georg Juckel über diese Problematik.

Georg Juckel
Inwiefern spielen EPMS seit der Verfügbarkeit von atypischen Arzneistoffen überhaupt noch eine Rolle?
Juckel: EPMS spielen auch bei atypischen Neuroleptika noch eine Rolle: Frühe Störungen im Sinne der Akathisie oder eines Parkinsonoids sind nicht gänzlich durch die atypischen Neuroleptika verschwunden. Aber hinsichtlich der Spätdyskinesien kann man eindeutig sagen, dass diese deutlich seltener geworden sind als unter typischen Neuroleptika. Nach der Metaanalyse von Correll et al. (Am J Psychiatry 2004) treten Spätdyskinesien unter atypischen Neuroleptika etwa bei einem Prozent der Patienten pro Jahr auf, unter typischen dagegen bei fünf Prozent. Das kann man auch von den klinischen Erfahrungen her gut nachvollziehen. Ich würde sogar sagen, dass das Risiko unter Atypika unter einem Prozent liegt.
Besteht daher aus Ihrer Sicht noch Bedarf für ein neues Antipsychotikum?
Juckel: Grundsätzlich ja, wobei wir uns natürlich sehr über ein neues Antipsychotikum freuen würden, das nicht nur an den dopaminergen oder serotonergen Rezeptoren ansetzt, sondern möglicherweise stärker glutamaterg wirkt oder sogar ein völlig neues Wirkprinzip aufweist - ein Antipsychotikum, das in allen Phasen der Erkrankung wirkt und nicht nur die Kernsymptomatik der Schizophrenie, sondern auch die kognitiven Dysfunktionen, Depressivität, Antrieb, Motivation, Negativsymptomatik, Lebensqualität und die psychosozialen Fähigkeiten verbessert. Damit die Patienten trotz ihrer schweren Erkrankung ein normales Leben führen können. Aber auch hinsichtlich der Darreichungsformen, der Handhabbarkeit, der Kombinierbarkeit und der Nebenwirkungen wäre es wichtig, eine Substanz zu haben, die ein günstiges Profil aufweist.
Mit Paliperidon ER befindet sich ein neues orales atypisches Antipsychotikum im europäischen Zulassungsverfahren, das die OROS®-Technologie (Osmotic-controlled Release Delivery System) für eine osmotisch kontrollierte Freisetzung nutzt und Plasmaspiegelschwankungen reduziert. Ergebnisse der Zulassungsstudien zeigen, dass die Häufigkeit von EPMS vergleichsweise gering ist. Würde dies für Sie - neben der Wirksamkeit - ein entscheidendes Argument für die Verordnung darstellen?
Juckel: Der entscheidende Punkt ist ja der gleichmäßigere Plasmaspiegel. Zumindest aus theoretischer Sicht, aber auch auf der klinisch-intuitiven Ebene ist es gut nachvollziehbar, dass die Vermeidung von Wirkstoffspiegelspitzen und damit starke Schwankungen der Rezeptorbesetzung, insbesondere der D2-Rezeptoren, mit weniger Nebenwirkungen verbunden sein kann, insbesondere mit weniger EPMS. Das deckt sich mit unseren Erfahrungen bei M. Parkinson, bei dem wir ON/OFF-Phasen durch gleichmäßigere Plasmaspiegel vermutlich vermeiden können. Wir können davon ausgehen, dass eine Retardformulierung bzw. die OROS®-Technologie aufgrund der konstanteren Wirkstoffspiegel sicherlich günstig sein dürfte. Die ersten Studiendaten sehen sehr positiv aus, was die Symptomatik und auch das psychosoziale Funktionsniveau betrifft. Und auch hinsichtlich des Auftretens von EPMS scheint sich dies in der praktischen Wirklichkeit zu bestätigen.
Bei schizophrener Störung ist ja ein ganz entscheidender Aspekt die Langzeittherapie. Unsere Patienten sollen möglichst lange rezidivfrei zu Hause ein möglichst normales Leben führen können und dabei psychosozial in ihrer Umgebung, in ihrem Beruf, in ihrem Freundeskreis integriert sein. Und deshalb setzen wir natürlich auf Präparate, die, durch einen gleichmäßigen Plasmaspiegel bedingt, eine ausreichend lange Wirkung erzielen können und vermutlich dadurch die Compliance unser Patienten verbessern helfen können.
Könnte Ihrer Ansicht nach Paliperidon ER - auf Grundlage der bereits auf Kongressen veröffentlichen klinischen Daten - eine Therapieoption darstellen, die diese Anforderungen erfüllt?
Juckel: Theoretisch ja, die Aussicht ist da und deswegen sind wir auch sehr gespannt auf die Markteinführung. Wir gehen davon aus, dass unser Urteil über dieses Medikament wegen seines günstigen Nebenwirkungsprofils, seiner guten Handhabbarkeit auch wegen seines geringen Interaktionspotenzials mit anderen Psychopharmaka günstig ausfallen wird.
Sehr geehrter Herr Prof. Juckel, vielen Dank für das Gespräch.
Mit freundlicher Unterstützung der Janssen-Cilag GmbH.

Georg Juckel