Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(11): 571
DOI: 10.1055/s-2006-959109
psychoneuro für die Hausarztpraxis

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Demente Patienten in der Hausarztpraxis

Georg Adler
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Publication Date:
12 December 2006 (online)

Etwa 5 % der über 60 Jahre alten Allgemeinbevölkerung leiden an einem demenziellen Syndrom. Die Häufigkeit demenzieller Syndrome steigt mit dem Vorliegen körperlicher Erkrankungen und dem Lebensalter erheblich an und erreicht bei einem Alter von über 80 Jahren über 30 %. Die meisten dieser Patienten werden ausschließlich hausärztlich versorgt. Daher müssen Hausärzte über Kenntnisse aus dem gesamten Spektrum ärztlicher Leistungen für Demenzpatienten verfügen, von der Krisenintervention bei Verhaltensstörungen bis zur Organisation einer individuell angemessenen Versorgung.

Der Umgang mit Verhaltensstörungen gestaltet sich oft schwierig und problematisch, da die Behandlung nicht immer primär durch die psychische Befindlichkeit des Patienten ausgelöst wird, sondern häufig auch Folge der Erschöpfung oder Beeinträchtigung des ihn stützenden sozialen Umfelds bzw. seiner Betreuungspersonen ist. In solchen Situationen sieht sich der Hausarzt in die Pflicht genommen, Ruhe zu schaffen und medikamentös schnell, wirksam, aber auch schonend für den Patienten Verhaltensstörungen zu beheben. Diese Erwartung kann oftmals nicht erfüllt werden. Es ist auch schwierig zu beurteilen, ob das therapeutische Ziel erreicht wurde, da der Zustand des Patienten häufig instabil ist und bei gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus zwischen Erregung und Erschöpfung hin und her pendelt.

Sedierende Medikamente wie Benzodiazepine oder niederpotente Neuroleptika zeigen in diesen Situationen mitunter nur eine geringe Wirksamkeit. Die Gabe dieser Medikamente ist mit einer erhöhten Sturzgefahr für die Patienten verbunden. Es kann sogar vorkommen, dass die Sedierung zu einer Verschlechterung der Verhaltensstörung führt (paradoxe Wirkung), möglicherweise durch die Verschlechterung von situativer Orientiertheit und Steuerungsvermögen. Sofern möglich, sollten bei der medikamentösen Therapie anticholinerg wirksame Neuroleptika oder Antidepressiva sowie Benzodiazepine vermieden werden. Beide Substanzklassen können dazu führen, dass die für den Erregungszustand ursächliche Desorientiertheit und Verwirrtheit schlimmer werden und dass sich dadurch der Zustand des Patienten eher verschlechtert als verbessert.

Nicht zu unterschätzen ist die Wirksamkeit nicht-medikamentöser Interventionen, die in erster Linie die Beratung und Schulung der Angehörigen beinhalten. Die Angehörigen können aufgrund ihrer Unkenntnis über die kognitiven Defizite des Patienten aufgebracht und erbost sein, was die Situation gelegentlich eskalieren lässt. Weiterhin sind auch kleine Hilfen wie ein Nachtlicht, ein ruhiger und klarer Umgang mit dem Patienten, sowie bauliche Veränderungen nützlich. Eine stationäre Aufnahme solcher Patienten stellt wegen des damit verbundenen belastenden Wechsels des gesamten Umfelds nur die letzte Möglichkeit dar.

Für den Hausarzt sind bei der Versorgung dementer Patienten zunächst die krankheitsbedingten Beeinträchtigungen des Patienten in seinen Alltagsfertigkeiten vorrangig. Diese Beeinträchtigungen manifestieren sich in individuell sehr unterschiedlichem Ausmaß. Sie sind nicht nur abhängig vom Schweregrad der Demenz, sondern auch von den zur Verfügung stehenden sozialen Ressourcen, der Wohnsituation, dem Umfeld des Patienten, seiner Persönlichkeit und seiner körperlichen Verfassung.

Hier ist es wichtig, in enger Absprache mit dem Patienten und seinen Bezugspersonen, das richtige, individuell angepasste Maß an sozialen und pflegerischen Hilfen in Anspruch zu nehmen. Diese Hilfen reichen vom Hausnotruf, der Inanspruchnahme von sozialen Pflegediensten in variabler Intensität, von Tagespflegeeinrichtungen bis schließlich zur stationären Versorgung in einem Pflegeheim. Dabei ist es eine häufige Beobachtung, dass Angehörigen dementer Patienten dazu neigen, über ihre Kräfte zu gehen und Hilfen erst anzunehmen, wenn sie selbst erschöpft und nicht mehr in der Lage sind, die Versorgung des Patienten zu gewährleisten.

Hier ist der Hausarzt am besten in der Lage, das individuell angemessene Maß für die Inanspruchnahme von Hilfeleistungen abzuschätzen, den Patienten und sein Umfeld für die Inanspruchnahme zu gewinnen und bei der Umsetzung behilflich zu sein.

Daher kommen den Hausärzten zentrale Aufgaben bei der Diagnostik, Therapie und Organisation der Versorgung für demente Patienten zu.

Georg Adler

Mannheim

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