Pneumologie 2007; 61(4): 224-225
DOI: 10.1055/s-2007-959171
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diagnostik der nosokomialen Pneumonie: es geht nichtinvasiv, aber nicht ohne Konzept

Diagnosis of Nosocomial Pneumonia: Noninvasive but not UndirectedS.  Ewig1
  • 1Thoraxzentrum Ruhrgebiet, Kliniken für Pneumologie und Infektiologie, Ev. Krankenhaus Herne und Augusta-Kranken-Anstalt, Bochum
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Publication Date:
24 April 2007 (online)

Die Kontroverse um die Diagnostik der nosokomialen Beatmungstherapie dauert seit nunmehr zwei Jahrzehnten an. Trotz der Erarbeitung einer Fülle von Einsichten konnte bis zuletzt keine Einigkeit erzielt werden, ob ein invasiver diagnostischer Zugang mit Bronchoskopie und geschützter Bürste (PSB) bzw. bronchoalveolärer Lavage (BALF) einer nichtinvasiven Diagnostik durch Tracheobronchialsekret überlegen ist [1]. Zuletzt stellte sich als Konsens heraus, dass Sekrete aus den tiefen Atemwegen in jedem Fall mikrobiologisch quantitativ aufgearbeitet werden sollen. Ansonsten wurden in der letzten Aktualisierung der ATS Guidelines eine klinische Strategie unter Einschluss des Tracheobronchialsekretes sowie eine invasiv-bronchoskopische Strategie als gleichwertige Alternativen mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen bewertet [2].

Die Kontroverse um die diagnostische Wertigkeit der verschiedenen diagnostischen Verfahren hatte sich in den letzten Jahren auf die Frage verlagert, ob eine invasive Strategie Vorteile hinsichtlich wichtiger Endpunkte des klinischen Verlaufes eines intensivtherapiepflichtigen Patienten bietet. Auch hier war die Datenlage kontrovers. Drei von vier spanischen Studien (davon zwei aus demselben Studienzentrum) konnten keine Vorteile einer invasiven Strategie beobachten [3] [4] [5]. Eine vierte multizentrische französische Studie kam zu dem Ergebnis, dass die invasiv-bronchoskopische Strategie sowohl mit einer verringerten Letalität als auch mit einer deutlich geringeren Exposition gegenüber Antibiotika einhergeht [6]. Letztere Arbeit wies jedoch deutliche Limitationen auf [7]. Dazu gehörte der Vergleich einer Strategie unter Einschluss eines qualitativen Tracheobronchialsekretes mit einer invasiv bronchoskopischen Strategie unter Einschluss eines quantitativ aufgearbeiteten Sekrets. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass in der nichtinvasiv diagnostizierten Gruppe signifikant mehr Patienten eine initial inadäquate antimikrobielle Therapie erhalten hatten, ein Unterschied, der den beobachteten Unterschied in der Letaliät vollständig erklären konnte.

Diese Studien, so konflektiv ihre Ergebnisse auch waren, haben ein überdurchschnittlich hohes kritisches Methodenbewusstsein eröffnet. So wurde deutlich, dass eine Verbesserung des Erkenntnisstands durch zukünftige Studien nur durch die Beachtung folgender Voraussetzungen ermöglicht wird [1]:

die Studien sollten multizentrisch sein, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse auch allgemeine Geltung beanspruchen können; die initiale antimikrobielle Therapie sollte standardisiert sein, um systematische Fehler durch Unterschiede in der initial inadäquaten Therapie zu vermeiden; es sollten Kriterien festgelegt sein, wann eine antimikrobielle Therapie beendet wird. Nur so kann das Ausmaß einer Verringerung der Exposition auf antimikrobielle Substanzen abgeschätzt werden.

Eine kanadische Arbeitsgruppe hat nun eine randomisierte Studie zu dieser Thematik neu aufgelegt [8]. In dieser Studie wurden 740 Patienten von 28 Intensivstationen aus Kanada und den Vereinigten Staaten eingeschlossen. Patienten mit Verdacht auf eine Beatmungspneumonie wurden in zwei Gruppen randomisiert. Eine Gruppe wurde einer bronchoskopischen Diagnostik mit quantitativ aufgearbeiteter bronchoalveolärer Lavage zugeführt, in der anderen wurde lediglich ein Tracheobronchialaspirat gewonnen und qualitativ aufgearbeitet. Die initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie wurde für beide Gruppen standardisiert. Zur Anwendung kamen zwei Breitspektrumsubstanzen, die aktiv gegen Pseudomonas aeruginosa waren (randomisiert entweder Meropenem plus Ciprofloxacin Kombinationstherapie oder Meropenem Monotherapie). Die Kliniker wurden aufgefordert, die Wahrscheinlichkeit einer Pneumonie vor Einleitung der Diagnostik in vier Kategorien einzuteilen. Dabei wurden keine Kriterien für dieses Urteil vorgegeben. Das Studienprotokoll sah vor, dass die antimikrobielle Therapie abgesetzt wurde, sofern die Kulturen kein Wachstum zeigten und sofern die Vortestwahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Pneumonie nach klinischem Urteil nicht als hoch eingeschätzt worden war. Die Therapie von Kulturen mit einem Keimwachstum unterhalb des Trennwerts von 105 Kolonie-bildenden Einheiten/ml wurde den Klinikern anheim gestellt. Die Hypothese der Studie bestand in der Verwerfung der Nullhypothese. Es wurde demnach angenommen, dass die invasiv-bronchoskopisch untersuchten Patienten eine geringere Letalität und eine geringere Exposition auf Antibiotika aufwiesen. Die Fallzahlberechnung wurde ermittelt mit dem Ziel, mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % eine absolute Risikoreduktion der 28 Tage-Letalität von 10 % zu erreichen. Bei einer geschätzten Letalität von 40 % in 28 Tagen entsprach dies 740 Patienten.

Die Studie zeigte, dass es keinen signifikanten Unterschied im primären Endpunkt der 28 Tage-Letalität gab (18,9 % versus 18,4 % Letalität in invasiver bzw. nichtinvasiver Gruppe p = 0,94). Weiterhin wiesen beide Gruppen ähnliche Raten an gezielter Therapie (74,2 % versus 74,6 %, p = 0,9), an Tagen ohne Antibiotika (10,4 ± 7,5 versus 10,6 ± 7,9, p = 0,86) sowie keinen Unterschied in der Verweildauer auf der Intensivstation oder im Krankenhaus auf.

Die Ergebnisse dieser Studie weisen darauf hin, dass eine invasiv bronchoskopische Strategie keine Vorteile hinsichtlich der wesentlichen Endpunkte in der Behandlung eines intensivtherapiepflichtigen Patienten mit V.a. Beatmungsneumonie erbringt. Auf dem Hintergrund der methodischen Vorgaben, die in der Vergangenheit erarbeitet worden sind, handelt es sich um eine hervorragend konzipierte Studie. So wurde für den Einfluss der initialen antimikrobiellen Therapie ebenso wie für die Konsequenzen aus der mikrobiologischen Diagnostik effektiv kontrolliert. Damit wurden wesentliche Schwächen der vergangenen Studien überwunden.

Kritisch anzumerken bleibt, dass Patienten mit einer vorbekannten Kolonisation oder Infektion mit MRSA oder Pseudomonas aeruginosa ausgeschlossen wurden. Dies erscheint unverständlich, da dies lediglich die Verallgemeinbarkeit der Ergebnisse schmälert, ohne dass erkennbar wäre, warum ein Einschluss dieser Patienten die Auswertbarkeit der Studie gefährdet hätte. Darüber hinaus kann man einwenden, dass Patienten mit Keimzahlen unterhalb der definierten Grenzwerte in der BALF nach klinischem Urteil weiterhin antimikrobiell behandelt werden konnten. (Leider werden sowohl in der Arbeit selbst als im Supplement Zahlen hierzu nicht aufgeführt.) Hier wäre auch vorstellbar gewesen, die Therapie bei allen Patienten einzustellen, die keine schwere Sepsis oder einen septischen Schock aufwiesen.

Am meisten ist zu bedauern, dass in der Vergleichsgruppe lediglich eine qualitative Aufarbeitung des Tracheobronchialsekretes vorgesehen war. Hierdurch setzt sich die Studie der Kritik aus, die auch im begleitenden Editorial von Marin Kollef geäußert wurde [9], dass die Ergebnisse des qualitativen Tracheobronchialsekretes nicht geeignet sind, nach erfolgter Diagnostik zur Deeskalation der antimikrobiellen Breitspektrum-Therapie beizutragen. Darüber hinaus vermindert das Vorliegen eines lediglich qualitativen Tracheobronchialsekretes die diagnostische Sicherheit des Klinikers, ob tatsächlich eine Pneumonie vorliegt oder nicht, da aufgrund der sehr niedrigen Spezifität des qualitativ untersuchten Materials keinerlei Aussage über das Vorliegen einer Pneumonie möglich ist. Schließlich schwächt eine solche Strategie das Bemühen, sich den Problemen der Diagnostik einer nosokomialen Pneumonie mit hoher Konzentration und Konsistenz zu nähern. Auf der anderen Seite muss festgehalten werden, dass in zwei großen Studien gezeigt werden konnte, dass regelmäßige Surveillance-Kulturen auf semiquantitativer Basis durchaus einen wertvollen Beitrag zur Steuerung der antimikrobiellen Therapie und Deeskalation liefern können [10] [11].

Zusammenfassend sollte mit dieser Studie die Kontroverse beendet sein, ob eine invasiv-bronchoskopische Strategie gegenüber einer nichtinvasiven Strategie Vorteile hinsichtlich der Letalität und anderer wichtiger klinischer Endpunkte bietet. Das Gegenteil ist nunmehr mit hoher Evidenz erwiesen. Dessen ungeachtet bleiben viele Fragen offen, die der weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung bedürfen. Dies betrifft insbesondere die Diagnostik im Falle eines Therapieversagens. Zum jetzigen Zeitpunkt ist in dieser Situation eine invasiv-bronchoskopische Diagnostik in jedem Falle zu empfehlen, da sie neben der visuellen Information die einzige Möglichkeit darstellt, die komplexe Differenzialdiagnose dieser Kondition gründlich abzuklären.

Literatur

  • 1 Ewig S, Torres A. Flexible bronchoscopy for nosocomial pneumonia.  Clin Chest Med. 2000;  22 263-279
  • 2 American Thoracic Society . Guidelines for the Management of Adults with Hospital-acquired, Ventilator-associated, and Healthcare-associated Pneumonia.  Am J Respir Crit Care Med. 2005;  171 388-416
  • 3 Sanchez-Nieto J M, Torres A, Garca-Cordoba F. et al . Impact of invasive and non-invasive quantitative culture sampling on outcome of ventilator-associated pneumonia: a pilot study.  Am J Respir Crit Care Med. 1998;  157 371-376
  • 4 Ruiz M, Torres A, Ewig S. et al . Non-invasive versus invasive microbiological investigation in ventilator associated pneumonia: evaluation of outcome.  Am J Respir Crit Care Med. 2000;  162 119-125
  • 5 Sole Violan J, Fernandez J A, Benitez A B. et al . Impact of quantitative invasive diagnostic techniques in the management and outcome of mechanicelly ventilated patient with suspected pneumonia.  Crit Care Med. 2000;  28 2737-2741
  • 6 Fagon Y J, Chastre J, Wolff M. et al . Invasive and noninvasive strategies for management of suspected ventilator-associated pneumonia: a randomized trial.  Ann Intern Med. 2000;  132 621-630
  • 7 Ewig S, Niederman M, Torres A. Management of suspected ventilator-associated pneumonia.  Ann Intern Med. 2000;  133 1008-1009
  • 8 The Canadian Critical Care Triales Group . A randomized trial of diagnostic techniques for ventilator-associated pneumonia.  New Engl J Med. 2006;  355 2619-2629
  • 9 Kollef M. Diagnosis of ventilator-associated pneumonia.  New Engl J Med. 2006;  355 2691-2693
  • 10 Hayon J, Figliolini C, Combes A. et al . Role of serial routine microbiologic culture results in the initial management of ventilator-associated pneumonia.  Am J Respir Crit Care Med. 2002;  165 41-46
  • 11 Michel F, Franceschini B, Berger P. et al . Early antibiotic treatment for BAL-confirmed ventilator-associated pneumonia: a role for routine endotracheal aspirate cultures.  Chest. 2005;  127 589-597

The Canadian Critical Trails Group: Randomiced trial of diagnostic clinic of ventilator associated pneumoniae
New England Journal of Medicine 2006; 355 : 216 - 230

Prof. Dr. med. Santiago Ewig

Thoraxzentrum Ruhrgebiet Kliniken für Pneumologie und Infektiologie, Ev. Krankenhaus Herne und Augusta-Kranken-Anstalt Bochum

Bergstraße 26

44791 Bochum

Email: ewig@augusta-bochum.de