Z Sex Forsch 2007; 20(1): 42-51
DOI: 10.1055/s-2007-960554
Kommentar

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Folgerungen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Reform des Transsexuellengesetzes

M. Bruns1
  • 1Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof a. D., Stuttgart
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Publication Date:
20 March 2007 (online)

1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Transsexuellengesetz

Das Transsexuellengesetz (TSG) ist seit seinem In-Kraft-Treten am 1. Januar 1981 nicht mehr reformiert worden. Das Bundesverfassungsgericht hat sich seitdem in fünf Entscheidungen mit dem TSG befasst und folgende Vorschriften für verfassungswidrig erklärt:

§ 8 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 3: Altersgrenze von 25 Jahren für die Personenstandsänderung (große Lösung)1 § 1 Abs. 1 Nr. 3: Altersgrenze von 25 Jahren für die Vornamensänderung (kleine Lösung)2 § 7 Abs. 1 Nr. 3: Nach dieser Vorschrift verlieren auch gleichgeschlechtlich orientierte Transsexuelle den geänderten Vornamen, wenn sie eine Ehe eingehen, obwohl sie keine Lebenspartnerschaft eingehen können. Die Norm ist deshalb bis zu einer gesetzlichen Neuregelung nicht anwendbar3. § 1 Abs. 1 Nr. 1: Verbot der Vornamensänderung sowie § 8 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1: Verbot der Personenstandsänderung für ausländische Transsexuelle, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, sofern deren Heimatrecht vergleichbare Regelungen nicht kennt. Die Vorschrift ist weiter anwendbar, der Gesetzgeber muss aber bis zum 30. Juni 2007 eine verfassungsgemäße Neuregelung schaffen4. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine Person bereits nach Änderung ihres Namens entsprechend ihrem neuen Rollenverständnis anzusprechen und anzuschreiben ist5.

In diesen fünf Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht Feststellungen getroffen und Grundsätze formuliert, die eine Überarbeitung des Transsexuellengesetzes notwendig machen, und dafür Maßstäbe vorgegeben. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts haben sich die dem Transsexuellengesetz zugrunde liegenden Annahmen über die Transsexualität inzwischen in wesentlichen Punkten als wissenschaftlich nicht mehr haltbar erwiesen[6]. Dabei geht es um zwei Problembereiche:

Zum einen habe der Umstand, dass es gerade unter den Mann-zu-Frau-Transsexuellen einen signifikanten Anteil von homosexuell Veranlagten gibt, bei der Konzeption des Transsexuellengesetzes noch keine Rolle gespielt. Da einschlägige sexualwissenschaftliche Erkenntnisse noch nicht vorlagen, sei das Bundesverfassungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung vom 11. Oktober 1978[7] unter Bezugnahme auf den damaligen Stand der Wissenschaft noch davon ausgegangen, der männliche Transsexuelle wünsche keine homosexuellen Beziehungen, sondern suche einen heterosexuellen Partner. Inzwischen sei nicht nur bekannt, dass es Homosexualität auch bei Transsexuellen gibt, sondern es sei inzwischen erwiesen, dass es gerade bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen einen hohen Anteil von Personen mit homosexueller Orientierung gibt, und zwar unabhängig davon, ob sie sich geschlechtsverändernden Operationen unterzogen haben. Mithin könne man nicht mehr davon ausgehen, dass die Hinwendung eines Transsexuellen zum gleichen Geschlecht seine Transsexualität infrage stellt[8].

Zum anderen erachte es die Fachwelt auch bei einer weitgehend sicheren Diagnose „Transsexualität” nicht mehr als richtig, daraus stets die Indikation für geschlechtsumwandelnde Maßnahmen abzuleiten. Vielmehr müsse individuell im Rahmen einer Verlaufsdiagnostik bei jedem einzelnen Betroffenen festgestellt werden, ob eine Geschlechtsumwandlung indiziert ist. Auch zeige der Anteil von 20 bis 30 % der dauerhaft Transsexuellen ohne Geschlechtsumwandlung an der Gesamtzahl der anerkannten Transsexuellen, dass die Annahme, ein Transsexueller strebe danach, mit allen Mitteln seine Geschlechtsmerkmale zu verändern, nicht der Wirklichkeit entspreche. Die These vom Durchgangsstadium, in dem sich der Transsexuelle mit „kleiner Lösung” hin zur „großen Lösung” befinde, sei damit nicht mehr tragfähig. Für eine unterschiedliche personenstandsrechtliche Behandlung von Transsexuellen mit und ohne Geschlechtsumwandlung sehe die Fachliteratur deshalb keine haltbaren Gründe mehr[9].

Für die Reform des Transsexuellengesetzes hat das Bundesverfassungsgericht folgende Maßstäbe vorgegeben:

Art. 1 Abs. 1 GG schütze die Würde des Menschen in der Individualität, in der er sich selbst begreift. Dieser Verfassungsgrundwert gewährleiste zugleich in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG die Freiheit des Individuums, sich seinen Fähigkeiten und Kräften entsprechend zu entfalten. Die Frage, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig empfindet, betreffe dabei seinen Sexualbereich, den das Grundgesetz als Teil der Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz der Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gestellt habe. Jedermann könne daher von den staatlichen Organen die Achtung dieses Bereichs verlangen. Das schließe die Pflicht ein, die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren[10].

Die Entscheidung, die kleine Lösung neben der großen Lösung vorzusehen, sei 1980 nach eingehender Diskussion getroffen worden. Anhaltspunkte dafür, dass diese Regelung sich nicht bewährt oder zu Missbräuchen geführt habe, seien nicht erkennbar[11].

Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG schütze den Vornamen eines Menschen zum einen als Mittel zu seiner Identitätsfindung und zur Entwicklung der eigenen Identität, zum anderen als Ausdruck seiner erfahrenen oder gewonnenen geschlechtlichen Identität[12].

Die Regelung über die Vornamensänderung solle die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Transsexuelle den Rollenwechsel frühzeitig vornehmen können, damit ihnen schon vor operativen Eingriffen geholfen und ihr Leidensdruck erheblich gemindert wird. Darüber hinaus solle die rechtliche Absicherung des Rollenwechsels ihnen ermöglichen, das Leben in der anderen Geschlechtsrolle vor der Entscheidung über weitgehend irreversible medizinische Maßnahmen über längere Zeit zu erfahren und sich so zu vergewissern, ob dieses Leben wirklich ihrem Empfinden entspricht und sie nicht überfordert. Auf diese Weise solle sowohl eine zusätzliche Absicherung der Diagnose erreicht als auch das Einleben in die neue Rolle schon vor erheblichen operativen Eingriffen erleichtert werden[13].

Die sich im so gewählten und geführten Vornamen widerspiegelnde eigene Geschlechtszuordnung gehöre zum intimsten Bereich der Persönlichkeit eines Menschen, der prinzipiell staatlichem Zugriff entzogen ist. Deshalb dürfe in das Recht an dem Vornamen, der das Ergebnis der eigenen geschlechtlichen Identitätsfindung des Namensträgers ist und diese widerspiegelt, nur bei Vorliegen besonders gewichtiger öffentlicher Belange eingegriffen werden. Der vom Persönlichkeitsrecht geschützte Wunsch nach Ausdruck der eigenen Geschlechtlichkeit im Vornamen umfasse damit auch das Recht, mit einem Namen, der dem Geschlechtsgefühl entspricht, angesprochen und anerkannt zu werden und sich nicht im Alltag Dritten oder Behörden gegenüber hinsichtlich der eigenen Sexualität gesondert offenbaren zu müssen[14].

Aus der Achtung der Menschenwürde und dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit folge das Gebot, den Personenstand des Menschen dem Geschlecht zuzuordnen, dem er nach seiner psychischen und physischen Konstitution zugehört[15].

Mit der Verhinderung des falschen Anscheins, die Ehe könne auch von gleichgeschlechtlichen Partnern geschlossen werden, habe der Gesetzgeber ein legitimes Anliegen verfolgt[16]. Das von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Rechtsinstitut der Ehe ebenso wie das vom Gesetzgeber geschaffene Institut der Lebenspartnerschaft nehme für die Begrenzung derjenigen, die sich rechtlich miteinander verbinden wollen, Bezug auf das Geschlecht der Partner, nicht auf deren sexuelle Orientierung. So sei die Ehe eine Verbindung von Mann und Frau, während nach § 1 Abs. 1 LPartG eine Lebenspartnerschaft durch Vertragsschluss zweier gleichgeschlechtlicher Personen begründet werde. Eine solche ausschließlich am Geschlecht ausgerichtete Unterscheidung der beiden vom Gesetzgeber eröffneten Möglichkeiten für Paare, sich rechtlich zu binden, sei grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie führe aber dann zu verfassungswidrigen Ergebnissen, wenn bei der rechtlichen Bestimmung der Geschlechtszugehörigkeit einer Person allein auf das nach ihren Geschlechtsmerkmalen bestimmte und nicht auf das von ihr empfundene, durch Gutachten bestätigte Geschlecht abgestellt werde mit der Folge, dass der Betroffene eine rechtsverbindliche Partnerschaft nur bei Verlust seiner Identität im Vornamen eingehen kann[17].

Noch nicht geäußert hat sich das Bundesverfassungsgericht zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG. Danach ist eine Personenstandsänderung nur möglich, wenn der Antragsteller nicht (mehr) verheiratet ist. Das Amtsgericht Schöneberg hält die Vorschrift im Fall einer 1929 geborenen lesbischen Mann-zu-Frau-Transsexuellen, die seit 1952 verheiratet ist, sich nicht scheiden lassen möchte, aber sonst alle Voraussetzungen für eine Personenstandsänderung erfüllt, für verfassungswidrig. Das Amtsgericht hat deshalb die Sache durch Beschluss vom 8. August 2005[18] dem Bundesverfassungsgericht[19] vorgelegt. Es ist unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache von seinen bisherigen Rechtsprechungsgrundsätzen abweichen wird. Man kann deshalb davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsgericht § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG ebenfalls für verfassungswidrig erklären wird, soweit danach von homosexuell orientierten Transsexuellen für eine Personenstandsänderung verlangt wird, sich scheiden zu lassen, auch wenn sie an der Ehe festhalten wollen.

Die Ausführungen und Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Für die rechtliche Bestimmung des Geschlechts der Menschen sind nicht ihre äußeren Geschlechtsmerkmale ausschlaggebend, sondern ihr subjektives Empfinden. Bei Menschen, bei denen das subjektive Geschlechtsempfinden nicht mit ihren äußeren Geschlechtsmerkmalen übereinstimmt (Transsexuelle), kommen dieselben unterschiedlichen sexuellen Orientierungen vor wie bei den Menschen, bei denen beides übereinstimmt. Jeder hat das Recht auf eine rechtlich gesicherte Partnerschaft (Ehe oder Lebenspartnerschaft) entsprechend seinem subjektiven Geschlechtsempfinden und seiner sexuellen Ausrichtung. Der Staat muss aufgrund von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG das subjektive Geschlechtsempfinden und die sexuelle Ausrichtung der Menschen achten und respektieren und es ihnen ermöglichen, entweder eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft einzugehen.

1 Beschl. v. 16.3.1982 - 1 BvR 938 / 81, BVerfGE 60, 123

2 Beschl. v. 26.1.1993 - 1 BvL 38,40,43 / 92, BVerfGE 88, 87

3 Beschl. v. 6.12.2005 - 1 BvL 3 / 03, BVerfGE 115,1. Vgl. dazu auch Becker S. Abschied vom „echten” Transsexuellen. Zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005. Z Sexualforsch 2006; 19: 154-158

4 BVerfG, Beschl. v. 18.7.2006 - 1 BvL 1,12 / 04, FamRZ 2006, 1818

5 BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 15.8.1996 - 2 BvR 1833 / 95; NJW 1997, 1632

6 Fn. 3, 186

7 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1978 - 1 BvR 16 / 72; BVerfGE 49, 286, 287, 300

8 Fn. 3, 183, 185 f

9 Fn. 3, 185 f

10 BVerfG, Beschl. v. 21.12.1977 - 1 BvL 1 / 75, 1 BvR 147 / 75, BVerfGE 47, 46, 73; Fn. 1, 134; Fn. 2, 97; Fn. 5, 1633; Fn. 3, 184; Fn. 4, 1820

11 Fn. 2, 102

12 Fn. 4, 1820

13 Fn. 2, 98 f

14 Fn. 2, 97 f; Fn. 3, 184; Fn. 4, 1820

15 Fn. 7, 298; Fn. 5, 1633; Fn. 4, 1820

16 Fn. 3, 185

17 Fn. 3, 186

18 Az. 70 III 271 / 03

19 Az. 1 BvL 10 / 05

20 Bundestags-Drucksache 16 / 306, S. 3

21 Bundestags-Drucksache 16 / 2016

22 Art. 4 § 3 der Verordnung zur Reform pass- und personalausweisrechtlicher Vorschriften vom 3.12.2001 (BGBl. I S. 3274)

23 Bundestags-Drucksache 16/07 v. 5.1.2007

24 Siehe Fn. 4

25 Bundestags-Drucksache 16 / 947

26 Siehe Fn. 3

27 BGBl. I S. 3396

28 Bundestags-Drucksache 16/4148 v. 30.1.2007

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