Z Geburtshilfe Neonatol 2007; 211(3): 106-107
DOI: 10.1055/s-2007-960748
Kommentar zum Heft

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zum Zusammenhang zwischen Klinikgröße und Behandlungsergebnis

The Relationship Between Patient Volume and Neonatal OutcomeC. F. Poets1 , D. B. Bartels2
  • 1Universitätsklinikum Tübingen
  • 2Medizinische Hochschule Hannover
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Publication Date:
01 June 2007 (online)

Nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) bei der Einführung seines Stufensystems zur Kategorisierung von Geburts- und Kinderkliniken entgegen dem Rat aller beteiligten Fachgesellschaften bewusst keine Mindestmengen vorsah, wird die Diskussion durch gleich drei Beiträge zum Zusammenhang zwischen Klinikgröße und Behandlungsergebnis in diesem Heft und einen weiteren Beitrag aus Deutschland im letzten Jahr neu belebt [1] [2] [3] [4].

So stellte Obladen nationale und internationale Literatur zur Beziehung zwischen Kliniklevel bzw. Fallzahl und Mortalität bzw. Prävalenz schwerer Hirnblutungen bei sehr kleinen Frühgeborenen (Very Low Birth Weight, VLBW, < 1 500 g) zusammen. Neben der Schlussfolgerung, dass es zahlreiche Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden gibt, zeigt er auch die Gefahren auf, die sich in den USA aus dem Fehlen einer Mindestmengenregelung ergaben. Besonders wichtig scheint hier, dass auch Daten zur Morbidität ausgewertet wurden. Nur durch die gemeinsame Berücksichtigung von Mortalität und Morbidität kann beurteilt werden, ob evtl. eine geringere Mortalität auf Kosten einer erhöhten Morbidität erreicht wird. Als Fazit seiner Übersicht bleibt festzuhalten, dass es deutliche Qualitätsunterschiede in der Behandlung von Frühgeborenen gibt, und dass die Spezialisierung, die u. a. mit einer entsprechenden Fallzahl einhergeht, die Ergebnisqualität entscheidend beeinflusst.

Teig et al. präsentieren aktuelle Ergebnisse aggregierter populationsbasierter Daten aus den Neonatalerhebungen von Nordrhein-Westfalen und Westfalen-Lippe. Zwar konnten nur nach Gestationsalter stratifizierte, d. h. keine multivariablen Analysen berechnet werden, doch zeigen die Ergebnisse deutlich, dass die 2004 regional gültigen Definitionen von Klinikleveln einen geringeren Einfluss auf die Krankenhaussterblichkeit der Kinder hatten als die jährliche Anzahl von Behandlungsfällen mit < 1 500 g Geburtsgewicht in den jeweiligen Abteilungen.

Diese Daten werden gestützt durch ähnliche Ergebnisse aus den USA, nach denen Frühgeborenenabteilungen gleichen Levels, aber mit unterschiedlichen Fallzahlen deutliche Unterschiede in ihrer Ergebnisqualität aufweisen [5] [6].

Hervorzuheben ist, dass Teig u. Mitarb. u. a. die von den Fachgesellschaften empfohlene Mindestmenge von 50 VLBW-FG / Jahr ansetzten und einen Effekt über alle Reifealtergruppen hinweg beobachteten (wenn auch am stärksten bei Kindern mit 23-27 Wochen Reifealter). Ab einer Fallzahl von 40-50 VLBW-Aufnahmen / Jahr scheint sich in ihren Daten allerdings ein Plateau herauszubilden, was die Aussage von Obladen stützen würde, dass dieser Schwellenwert zwar immer wieder in der internationalen Literatur referenziert wird, unter besonderen regionalen Bedingungen aber auch ggf. etwas unterschritten werden kann.

Heller et al. analysierten Routinedaten einer großen Krankenkasse und damit keine populationsbasierten, dafür aber überregionale Daten aus den Jahren 2002-2005 von Frühgeborenen, die ein Aufnahmegewicht von 300-1 499 g hatten und maximal 28 Tage alt waren. Auch wenn hier ein Selektions-Bias nicht ausgeschlossen, eine adäquate Risikoadjustierung nicht durchgeführt [7] [8], das Gestationsalter nicht bestimmt und die primär aufnehmende Klinik nicht berücksichtigt werden konnte, zeigen die Ergebnisse ebenfalls eine deutliche Assoziation zwischen Fallzahl und Mortalität.

Zusammen genommen widerlegen die in dieser Ausgabe publizierten Beiträge die Kritik, dass die bislang vorliegenden deutschen Daten aus nur zwei Bundesländern und z. T. bereits aus den 90er-Jahren stammend keine valide Basis für eine Mindestmengenregelung seien. Trotz unterschiedlicher Datenquellen (populationsbasierte Qualitätssicherungsdaten, selektierte überregionale Krankenkassendaten), Einschlusskriterien (Reifealter 23-32 Wochen, Aufnahmealter 2-28 Tage bzw. Aufnahmegewicht 300-1 499 g), Analysemethoden (deskriptive Literaturübersicht, Stratifizierung, multivariable Verfahren mit eingeschränkter Risikoadjustierung) und den o. g. jeweiligen Schwächen und Stärken sind die Ergebnisse aller Studien aus Deutschland kohärent und konsistent. So sind die Effektgrößen zwar unterschiedlich, die Effektrichtungen (protektiver Effekt mit steigender Fallzahl) jedoch homogen, und es zeichnet sich eine Art Dosis-Wirkungs-Effekt ab (je größer der Fallzahl-Unterschied, desto deutlicher der Effekt), wenn auch - wie von Obladen ebenfalls betont - nicht pauschal ein „je größer desto besser” gelten kann. Darüber hinaus ist die beobachtete Assoziation logisch und plausibel („Übung macht den Meister”), und analoge Ergebnisse liegen aus internationalen Beobachtungen und anderen Fachdisziplinen vor.

Im Interesse der uns anvertrauten Kinder und ihrer Familien bleibt jetzt zu hoffen, dass die in diesem Heft zusammengestellte Ansammlung von zusätzlicher Evidenz auch die Entscheidungsträger in den politischen Gremien endlich bewegen möge, Mindestmengen in ihren Beschluss zur Strukturierung der Perinatalversorgung in Deutschland aufzunehmen.

Dies erscheint umso dringlicher, als sich im Moment die von den Fachgesellschaften befürchtete Entwicklung einer Dezentralisierung anstelle der eigentlich gewollten besseren Regionalisierung in der Perinatalversorgung zu bewahrheiten scheint.

Literatur

  • 1 Obladen M. Mindestmengen in der Versorgung sehr untergewichtiger Frühgeborener: Eine Literaturübersicht.  Z Geburtshilfe Neonatol. 2007;  211 110-117
  • 2 Teig N, Wolf H -G, Bücker-Nott H-J. Mortalität bei Frühgeborenen < 32 Schwangerschaftswochen in Abhängigkeit von Versorgungsstufe und Patientenvolumen in Nordrhein-Westfalen.  Z Geburtshilfe Neonatol. 2007;  211 118-122
  • 3 Heller G, Günster C, Misselwitz B, Feller A, Schmidt S. Jährliche Fallzahl pro Klinik und Überlebensrate sehr untergewichtiger Frühgeborener (VLBW) in Deutschland - Eine bundesweite Analyse mit Routinedaten.  Z Geburtshilfe Neonatol. 2007;  211 123-131
  • 4 Hummler H D, Poets C, Vochem M, Hentschel R, Linderkamp O. Mortalität und Morbidität sehr unreifer Frühgeborener in Baden-Württemberg in Abhängigkeit von der Klinikgröße. Ist der derzeitige Grad der Regionalisierung ausreichend?.  Z Geburtshilfe Neonatol. 2006;  210 6-11
  • 5 Cifuentes J, Bronstein J, Phibbs C S, Phibbs R H, Schmitt S K, Carlo W A. Mortality in low birth weight infants according to level of neonatal care at hospital of birth.  Pediatrics. 2002;  109 745-751
  • 6 Phibbs C S, Bronstein J M, Buxton E, Phibbs R H. The effects of patient volume and level of care at the hospital of birth on neonatal mortality.  Jama. 1996;  276 1054-1059
  • 7 Bartels D B, Wenzlaff P, Poets C F. Können Daten aus Qualitätssicherungsprogrammen wie der Peri- / Neonatalerhebung für sekundärepidemiologische Untersuchungen genutzt werden?.  Z Geburtshilfe Neonatol. 2005;  209 8-13
  • 8 Halm E A, Lee C, Chassin M R. Is volume related to outcome in health care? A systematic review and methodologic critique of the literature.  Ann Intern Med. 2002;  137 511-520

Prof. C. F. Poets

Neonatologie · Universitätsklinikum Tübingen

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