ergoscience 2007; 2(2): 83-85
DOI: 10.1055/s-2007-963053
Veranstaltungsbericht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bericht über das 6. Symposium der Schweizerischen Vereinigung für Pädiatrische Rehabilitation (SVPR/ASRP) in Aarau am 22. November 2006

E. Höfler-Weber1
  • 1Vorstand SVPR/ASRP, Kinderklinik KSA AG, Neuropsychologie
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Publication Date:
12 April 2007 (online)

Zur Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit veranstaltet die SVPR/ASRP eintägige Symposien, die alle Bereiche der pädiatrischen Rehabilitation ansprechen. Das Thema des letztjährigen Symposiums New Evidence in der pädiatrischen Rehabilitation wollte dazu anregen, therapeutisches Handeln zu evaluieren und so dazu beitragen, dass nachweislich effiziente Therapieverfahren in der Rehabilitation von Kindern eingesetzt bzw. weiterentwickelt werden.

Anke Meester-Delver vom Department of Rehabilitation in Amsterdam (NL) berichtete über das Capacity Profile (CAP), eine Methode zur Klassifizierung der Abhängigkeit von Kindern mit neurologischen Erkrankungen und Entwicklungsstörungen von zusätzlicher Pflege [6]. Im Rahmen der Erfassung von Aktivität und Partizipation nach der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF; [12]) ist es wichtig, die Konsequenzen zu kennen, die aus den Funktionsstörungen eines betroffenen Kindes für dessen Entwicklung resultieren, damit Notwendigkeit, Art und Umfang von zusätzlicher Pflege festgestellt und in die Planung von medizinischen, therapeutischen, pädagogischen und gesellschaftlichen Erfordernissen einbezogen werden können.

Bei CAP handelt es sich um eine standardisierte Methode, das Angewiesensein auf zusätzliche Pflege über die verschiedenen Behinderungen von Kindern zu klassifizieren. Es erfasst die Domänen physische, motorische, sensorische, mentale und Sprachfunktionen. Eine Studie an 67 Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 22 Jahren wies das CAP als reliables Instrument für die Klassifikation zusätzlicher Pflege eines Kindes mit einer nicht progressiven neurologisch bedingten Entwicklungsstörung aus. Aussagen zur Stabilität des Verfahrens über eine größere Altersspanne hinweg müssen in zukünftigen Studien noch erarbeitet werden [6].

Sigrid Østensjø vom Oslo University College, Faculty of Health Sciences (N) untersuchte in ihrer Studie, ob sich der Pediatric Evaluation of Disability Inventory (PEDI) dazu eignet, Bedürfnisse und Entwicklung von Kindern mit Zerebralparese im Rahmen des ICF-Konzepts für die Bereiche Aktivität, Partizipation und Umweltfaktoren abzubilden [7]. Der standardisierte Fragebogen wurde von Haley et al. [2] als evaluatives Messinstrument der kindlichen Entwicklung oder des Therapieerfolgs bei chronisch kranken oder behinderten Kindern für die Bereiche motorische Fähigkeiten, Hilfestellung der Betreuungsperson und Modifikationen (z. B. angepasster Teller) entwickelt und insbesondere an Kindern mit Zerebralparese validiert. Die Bereiche sind weiter in die 3 Domänen Motorik, Selbstständigkeit und soziale Fähigkeiten unterteilt [7].

Østensjøs Studie an 95 Kindern mit CP zeigt, dass die konzeptuelle Basis der PEDI-Skalen mit einem weiten Bereich der Konzepte und Konstrukte des ICF übereinstimmt. Es lassen sich Fähigkeiten und Beeinträchtigungen in vielen Fertigkeitsbereichen identifizieren, ein Überblick über Art und Anzahl notwendiger Anpassungen gewinnen, Fähigkeiten und Unterstützungsbedarf mit Altersnormen vergleichen, Veränderungen und Entwicklungen überwachen sowie Interventionseffekte messen. Über kulturelle Einflüsse und den Einfluss der Modifikationen auf die Entwicklung der kindlichen Fähigkeiten finden sich keine Aussagen [7].

Terry Pountney von den Chailey Heritage Clinical Services in East Sussex (GB) stellte eine prospektive Langzeitstudie zur Frage vor, ob sich frühe Hüftprobleme bei Kindern mit Zerebralparese im Alter von 5 Jahren reduzieren lassen [8]. Dabei geht es um die wichtige Verbesserung der Lebensqualität. Postural Management-Programme geben durch optimale biomechanische Einstellungen in verschiedenen Ausgangspositionen im Liegen, Sitzen, Stehen und Fortbewegen, Anregungen zu aktiver Bewegung und tragen so zur Optimierung der Hüftgelenkentwicklung mit Verbesserung der Funktionsfähigkeit und im weiteren Sinne besseren Partizipationsmöglichkeiten des Kindes bei. In die Studie waren 51 Kinder mit bilateraler CP einbezogen, die zum 1. Mal vor dem 18. Lebensmonat untersucht und bis zum Alter von 5 Jahren in kurzen Intervallen beurteilt wurden. In der Endauswertung war bei 39 Kindern im Alter von 5 Jahren eine Reduktion von Hüftproblemen um 25,8 % gegenüber einer historischen Kontrollgruppe festzustellen [8].

Heather Williams von der Valence School in Kent (GB) entwickelte und evaluierte ein Kräftigungstraining bei nicht gehfähigen Kindern mit Zerebralparese zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit [11]. Muskelschwäche ist ein häufiges Problem bei CP. Schon bei kleinen Kindern mit leichteren Behinderungen zeigte sich, dass ein Training die Muskelkraft erhöhen kann, ohne die Spastizität zu verstärken. Die Autorin der Studie wollte herausfinden, ob Kinder mit deutlicheren Behinderungen ihre Stehfähigkeit beim Aufstehen vom Stuhl und ihre Gehfähigkeit bei Positionswechseln verbessern können; beides Fähigkeiten, die in der Schule häufig verlangt werden und entsprechend viel Unterstützung durch Pflegepersonen erfordern [11].

An der Studie nahmen 10 Probanden zwischen 11 und 15 Jahren mit CP Grad IV und V (GMF-Classification) teil, die im Abstand von jeweils 6 Wochen vor dem Training (Baseline) und danach (Follow-up) getestet wurden. Neben der üblichen Physiotherapie übten sie auf dem Trainingsrad 3-mal wöchentlich gegen Widerstand mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad. Während der Trainingsperiode erreichten die Probanden signifikante Verbesserungen und im Anschluss an das Training bedeutende Verbesserungen beim Stehen und Gehen (GMFM 66, GMFM 88). Damit zeigte die Studie, dass ein Training der Muskelkraft bei Menschen mit sehr begrenzten Möglichkeiten zu eigenständiger Aktivität im täglichen Leben spürbare Verbesserungen erzielen kann. Ob ein längerfristiges Training anhaltende Effekte bewirkt, bleibt noch zu prüfen [11].

Jon Caflisch von der Abteilung Entwicklungspädiatrie der Universitäts-Kinderklinik Zürich (CH) stellte mit der Zürcher Neuromotorik ein standardisiertes Testverfahren zur Erfassung der motorischen Entwicklungsstörung F82 nach ICD-10 vor [1]. Hauptmerkmal der Störung ist eine schwer wiegende Beeinträchtigung der Entwicklung der motorischen Koordination, die sich nicht allein durch eine Intelligenzminderung oder neurologische Störung erklären lässt. Üblicherweise bewirkt die motorische Ungeschicklichkeit einen gewissen Grad an Leistungsbeeinträchtigung bei visuell-räumlichen Aufgaben und hat damit auch schulrelevante Folgen. Eine standardisierte Untersuchung muss in erster Linie die Kriterien der klinischen Brauchbarkeit sowie der Reproduzierbarkeit ihrer Ergebnisse erfüllen. Die Zürcher Neuromotorik wurde auf der Basis der normalen motorischen Entwicklung des Kindes von 5 bis 18 Jahren entwickelt und standardisiert. Sie eignet sich dazu, motorische Leistungsfähigkeit und Bewegungsqualität im grob- und feinmotorischen Bereich, Gleichgewicht und Haltung mittels Aufgaben unterschiedlicher Komplexität zu erfassen und mit einer altersäquivalenten Normgruppe zu vergleichen. Damit lassen sich auffällige motorische Entwicklungen abbilden und gezielte Therapiemaßnahmen begründen [1].

Hiltrud Lugt von der Universität Fribourg (CH) befasste sich mit der deutschen Bearbeitung und Normierung des motorischen Testverfahrens Movement Assessment Battery for Children (M-ABC; [3] [5]. Dabei handelt es sich dabei um einen Individualtest zur Erfassung der motorischen Entwicklung und Kompetenzen im Alter von 4 - 12 Jahren, der die Bereiche Handgeschicklichkeit, Ballfertigkeiten und Gleichgewicht prüft. Nach den Ergebnissen ihrer Normierungsuntersuchungen (Normstichprobe: 1.000 Kinder aus Deutschland und der Schweiz) beurteilt die Referentin das Verfahren als ökonomisch, sehr kindgerecht, motivierend und aussagekräftig zur Differenzierung motorischer Ungeschicklichkeit nach ICD-10 F82 und schreibt ihm großen praktischen Nutzen bei der Individualdiagnostik durch seine Möglichkeit der qualitativen Bewegungsbeobachtung zu. Neben der Diagnostik eignet sich das Testverfahren demnach auch zur differenzierten Förder- und Therapieplanung sowie -evaluation. Zusätzliche Hinweise für Förderung und Unterstützung eines motorisch auffälligen Kindes bietet ein Beobachtungsfragebogen für Eltern und Lehrer, der emotionale, soziale und Lernstörungen im Sinne von Komorbiditäten erfasst. Die Veröffentlichung der deutschen Fassung lässt noch auf sich warten [3] [5].

Jacqueline Romkes vom Universitäts-Kinderspital Basel (CH) stellte in einem anschaulichen Vortrag die instrumentelle klinische Ganganalyse im Basler Ganglabor vor [9]. Das technische Verfahren mit 3-D-Analyseinstrumenten erlaubt die Bestimmung dreidimensionaler Gelenkbewegungen (Kinematik), Gelenkkräfte und Gelenkmomente (Kinetik) sowie dynamische Muskelaktivitäten und kann so pathologische Bewegungen sowie kompensatorische Bewegungen und Haltungen analysieren. Bei Patienten mit Zerebralparese (70 % des Basler Patientenkollektivs) werden die Analysen zur Planung und Verlaufsbeurteilung (konservativ, operativ) sowie Beurteilung therapeutischer Maßnahmen (Physiotherapie, Botulinumtoxin, Orthesen, operative Eingriffe) vorgenommen. Die Ganganalyse ist somit einerseits für klinische Fragestellungen interessant, aber auch als objektives Verfahren bei Forschungsfragen [9].

Reto Schaffer von der Stiftung Kind und Autismus in Zürich (CH) demonstrierte Picture Exchange Communication (PECS), ein systemisch begründetes Kommunikationsprogramm für Menschen mit Kommunikationsbeeinträchtigungen, wie sie beim frühkindlichen Autismus, dem Asperger-Syndrom, einer schweren Wahrnehmungsbeeinträchtigung und einer Sprach- oder Körperbehinderung vorkommen [10]. PECS will die Kinder in die Lage versetzen, selbst spontan zu kommunizieren, zu entscheiden und zu wählen. Mithilfe eines Ordners und vereinfachten Bildern können sie in ganzen Sätzen sprechen und sich so ihrer Umgebung mitteilen. Wichtige Elemente dieser Förderung sind der Einstieg über eine soziale Begegnung, einen individuellen Zugang zum Kind und dessen Möglichkeiten zu finden und die Berücksichtigung der frühen bzw. typischen Kommunikationsentwicklung des Kindes [10].

Hennric Jokeit vom Schweizerischen Epilepsie-Zentrum in Zürich (CH) sprach aus neuropsychologischer Sicht über die kognitiven Beeinträchtigungen bei Epilepsie und ihre therapeutische Konsequenzen [4]. Mit einer Prävalenz von 0,8 % ist Epilepsie eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Ein beachtlicher Anteil der Beschwerden beginnt in der Kindheit. Kognitive Funktionen der Patienten mit Epilepsie können generell durch die der Epilepsie zugrunde liegende Hirnschädigung, die interiktale elektrische Aktivität des Gehirns, die epileptischen Anfälle selbst, Effekte der antiepileptischen Medikation und psychosoziale Konsequenzen der Epilepsie beeinträchtigt sein. In der Kindheit beeinträchtigt die epileptische Aktivität direkt die Reifung und Entwicklung der Gehirnfunktionen. Häufig treten Schulleistungsprobleme, Bedarf an zusätzlichen Fördermaßnahmen und lebenslange Auswirkungen wie vermehrte Arbeitslosigkeit auf. Daher müssen therapeutische Interventionen bei Kindern umfassend sein und einerseits die schädigenden Effekte der Anfälle behandeln, andererseits aber auch die funktionellen Reserven verbessern, um so die kognitiven Folgen der Epilepsie zu verringern. Daneben sind verstärkt soziale Zusammenhänge zu beachten und in die therapeutischen Bemühungen mit einzubeziehen [4].

Literatur

  • 1 Caflisch J, Fischer J E, Largo R H. Zürcher Neuromotorik. Zürich; AWE-Verlag 2002
  • 2 Haley S M, Coster W J, Ludlow L H. et al .Pediatric Evaluation of Disability Inventory (PEDI). Boston; New England Medical Centre 1992
  • 3 Henderson S E, Sugden D A. Movement Assessment Battery for Children. London; The Psychological Corporation 1992
  • 4 Jokeit H. Schweizerisches Epilepsiezentrum, CH-Zürich. (j.jokeit@swissepi.ch). 
  • 5 Lugt H. Universität Fribourg, Dept. Sozialarbeit und Sozialpolitik, CH-Fribourg. (hiltrud.lugt@unifr.ch). 
  • 6 Meester-Delver A, Beelen A, Hennekam R. et al . The Capacity Profile: A classification of additional care in young children with developmental disabilities.  Dev Med Child Neurol. [accepted for publication] 2006; 
  • 7 Østensjø S, Bjorbaekmo W, berg E B. et al . Assessment of everyday functioning in young children with diasabilities: An ICF-based analysis of concepts and content of the Pediatric Evaluation of Disability Inventory (PEDI).  Disability and Rehabilitation. 2006;  28 489-504
  • 8 Pountney T, Green E M. Hip dislocation in cerebral palsy.  BMJ. 2006;  332 772-775
  • 9 Romkes J, Meichtry A, Gobelet C. et al . Criterion validity of 3D trunk accelerations to assess external work and power in able-bodied gait.  Gait Posture. 2007;  25 25-32
  • 10 Schaffer R. Stiftung Kind & Autismus. CH-Urdorf. (schaffer@kind-autismus.ch). 
  • 11 Williams H. Valence School, GB-Westerham/Kent. (hwilliams@valence.kent.sch.uk). 
  • 12 World Health Organization .ICF - International Classification of Functioning, Disability and Health. Geneva; WHO 2001

Dr. rer. nat. DP Esther Höfler-Weber, Psychologin FSP

Vorstand SVPR/ASRP, Kinderklinik KSA AG, Neuropsychologie

CH-5001 Aarau

Email: esther.hoefler@ksa.ch

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