PPH 2007; 13(2): 55
DOI: 10.1055/s-2007-963089
Editorial

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P. Seidenstricker
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Publication Date:
13 April 2007 (online)

„Die Hoffnung hilft uns leben”

schreibt J. W. von Goethe an Charlotte von Stein - und sie (die Hoffnung) hilft, gesund zu werden, könnte man hinzufügen, wenn man sich mit den sogenannten „Recovery”-Konzepten in der Psychiatrie beschäftigt.

Der Begriff „Recovery” kann dabei mit Genesung, Erholung, Wiedergewinnung, Rettung übersetzt werden. Eine wirklich passende deutsche Übersetzung ist wohl noch nicht gefunden für dieses Konzept, das sich bisher überwiegend in Neuseeland und den USA durchgesetzt hat.

Eine Kernaussage von Veröffentlichungen und Forschungen dazu lautet, dass es für Menschen mit psychischen Erkrankungen wichtig ist, die Hoffnung nicht zu verlieren und dass auf der anderen Seite professionelle Helfer und Menschen im Umfeld aufgerufen sind, Hoffnung zu vermitteln. Nicht wenige Psychiatrieerfahrene berichten aber von Äußerungen gerade in psychiatrischen Institutionen, die eher Hoffnungen zunichte machen, z. B. „Sie müssen Medikamente über lange Jahre, vielleicht sogar lebenslang nehmen” oder „Sie können keinesfalls mehr in einer eigenen Wohnung leben”. Stimmt es wirklich, wenn Andreas Knuf schreibt, dass das Thema Gesundung in der Psychiatrie fast schon ein Tabu zu sein scheint, weil man auf keinen Fall unberechtigte Hoffnungen wecken möchte, die vielleicht ja auch wiederum bewirken, dass jemand seine Medikamente ablehnt?

Die österreichische Psychiaterin Prof. Dr. Michaela Amering sprach in einem Vortrag am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf davon, wie schädlich die Behauptung ist, psychische Erkrankungen seien unheilbar. Sowohl aus epidemiologischen Daten als auch aus zunehmenden Veröffentlichungen von Autobiografien gehe klar hervor, dass z. B. viele Patienten/Patientinnen mit der Diagnose Schizophrenie wieder gesund werden.

„Gesundheit ist ansteckend” lautet in diesem Zusammenhang ein neues Angebot von pro mente sana in der Schweiz, in dem gesundete Betroffene Kurse für andere Betroffene anbieten. Ziel ist es, Hoffnung und Mut zu machen, Anregungen für die persönliche Selbsthilfe und den eigenen Gesundungsweg zu geben. Es geht also nicht darum, absolut symptomfrei zu leben, sondern „Heilung” wird so definiert, dass es möglich sein soll, wieder ein selbstständiges und möglichst erfülltes Leben zu leben, es als sinn- und wertvoll zu erleben.

Wie verhält sich das bei den Pflegenden in der Psychiatrie? Wissen wir noch um unsere wichtige Aufgabe, den Patienten Hoffnung zu vermitteln, diese manchmal „stellvertretend” für die Betroffenen zu übernehmen? Lassen wir neben Professionalisierung, evidenzbasierter Pflege, theoriegeleiteter Praxis, Pflegewissenschaft noch genügend Raum für das Expertentum unserer Patienten?

Ob es gut ist, wenn die „Recovery-Bewegung” jetzt vom „Ende der Unheilbarkeit” spricht, darf man bezweifeln. Gut ist aber sicher, wenn durch sie bewirkt wird, dass wir in der pflegerischen Beziehung unseren Blick wieder mehr weg von defizitorientierten hin zu positiven, hoffnungsvollen Zielen lenken und jedem Einzelnen dabei helfen, seinen ganz persönlichen „Gesundungsweg” zu finden.

Literatur

  • 1 Amering M. Hoffnung - Macht - Sinn.  Eppendorfer. 4/2006;  , in www.psychiatrie.de
  • 2 Knuf A. Vom demoralisierenden Pessimismus zum vernünftigen Optimismus. Eine Annäherung an das Recovery-Konzept. www.psychiatriefortbildung.de
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