ergoscience 2007; 2(3): 89
DOI: 10.1055/s-2007-963304
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

M. Feiler1
  • 1Praxis für Ergotherapie, A-Wien
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Publication Date:
04 July 2007 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

Think global, act local ist vielleicht die zurzeit in der Ergotherapie aktuellste Grundstimmung. Ich wage zu behaupten, dass sie durch die vom WFOT wirklich revolutionär veränderte Fassung der Richtlinien für die Minimum Standards of Education ausgelöst wurde [1].

Gefordert wird darin als Basiswissen für unseren Beruf „ein Informiertsein über den internationalen Wissenstand und die Erwartungen und Standards auf internationaler Ebene, zudem vor allem aber auch die Orientierung an den lokalen Gesundheitssystemen und die effektive Reaktion auf die Gesundheitsbedürfnisse der Bevölkerung” [1].

Die internationale Sichtweise (Think global) bezieht auch Richtlinien und Perspektiven der UNO, WHO und UNESCO mit ein [2]. Grundsatzpapiere wie die Conventions on the Rights of the Child [4] und die Definitionen über CBR-Strategien [2] fordern ebenso eine ethische Positionierung wie die Anerkennung eines Handlungsbedarf und die Entwicklung von Strategien zur lokalen Umsetzung.

Als eine der einflussreichsten Veröffentlichungen der WHO sei auch noch die ICF [6] erwähnt, die bereits von den nationalen Gesundheitssysteme übernommen wurde. Durch die ICF werden Sichtweisen von Gesundheit und Wohlergehen als Standard vorgegeben und wir Ergotherapeuten sind aufgefordert, diese „lokal”, also bei unseren täglichen ergotherapeutischen Interventionen zu berücksichtigen. „Lokal” zu handeln, bedeutet vor allem auch, internationales Wissen in Bezug auf die Stimmigkeit zu unserem lokalen, sozialen und kulturellen Bezugsrahmen zu hinterfragen.

In dieser Ausgabe der ergoscience stellt Ihnen der Artikel von Michael K. Iwama das Kawa-Modell vor. Dieses Modell wurde von japanischen Kollegen aus der Praxis für die Praxis entwickelt. Diese waren mit den westlichen Modellen unzufrieden, weil sie nicht zu den kulturellen Werten und Überzeugungen ihres Landes passten.

Das Modell fordert besonders dazu heraus, über den Einfluss kultureller Hintergründe in Bezug auf das Verständnis und die Relevanz von Therapieinhalten zu überdenken. Es kann uns anregen, über spezifisch europäische Sichtweisen nachzudenken, anstatt Modelle aus anderen Ländern unreflektiert zu übernehmen.

Auch die Sprache ist ein wesentliches Merkmal innerhalb eines Kulturkreises. Johanna Stadler-Grillmaiers Bericht über das ENOTHE-Projekt weist uns auf die Macht der Sprache und darauf hin, wie wichtig es ist, dass wir uns davon überzeugen, über die gleichen Begriffe und Inhalte zu sprechen. Dies gilt nicht nur für die klare sprachliche Definition in Europa innerhalb von ENOTHE, sondern auch innerhalb einzelner Sprachräume, wie z. B. der deutschsprachigen Länder.

Oft ist es hilfreich, Wissen und Erfahrung anderer Länder zu nutzen, wenn es darum geht, lokal in neue ergotherapeutische Arbeitsfelder vorzudringen. Cornelia Zillhardt und Lorena Honold beschreiben sehr informativ, „wie schwer aller Anfang ist”. Das kann im doppelten Sinne verstanden werden: für die zu früh geborenen Kinder, aber auch für Ergotherapeuten, die sich in diesem Behandlungsgebiet neu etablieren wollen.

Für die Qualität der Therapie ist Verständnis und Einsicht in die Erfahrung, Erlebnisse, Meinungen, Veränderungen und Perspektiven der Untersuchungsteilnehmer wichtig. Das Wissenwollen, wie die Menschen selbst ihre Situation interpretieren, führt sicherlich zu dem großen Interesse, das wir Ergotherapeuten an qualitativen Forschungsergebnissen haben. Astrid Kinébanian und ihre Mitautoren geben einen Überblick über die Inhalte und den methodologischen Aufbau qualitativer Forschungsstudien und argumentieren, warum sie sich besonders in paramedizinischen Berufen gut einsetzen lassen.

Ich wünsche Ihnen, dass diese Artikel Sie zu einer weiteren Auseinandersetzung mit den kulturellen Eigenheiten unseres inzwischen vielfach auch multikulturellen Lebensraumes und deren Einfluss auf unsere eigene berufliche Tätigkeit anregen.

Für das Herausgeberteam

Maria Feiler

Wien

Literatur

  • 1 Hocking C, Ness N E. Revidierte Mindeststandards für die Ausbildung von Ergotherapeuten 2002 (WFOT Revised Minimum Standards for the Education of Occupational Therapists 2002). Dt. Ausgabe erhältlich beim Deutschen Verband der Ergotherapeuten. 
  • 2 ILO, UNESCO, UNICEF, WHO . CBR with and for people with disabilities: joint position paper.  2002;  , www.aifo.it/oldsito/cbr/reviewwofcbr.htm
  • 3 United Nations Social Development Division . Understanding community-based rehabilitation.  ESCAP. 1997;  , www.unescap.org/decade/cbr.htm
  • 4 United Nations . Convention on the Rights of the child.  Office of the High Commissioner for Human Rights. 2002;  , www.un.org/Depts/dhl/pathfind/frame/start.htm
  • 5 World Health Organisation (WHO) .Health and Welfare Canada, Canadian Public Health Association, Ottawa Charter for Health Promotion. Ottawa; WHO 1986
  • 6 World Health Organisation (WHO) .International classification of functioning, disability and health (ICF). Geneva; WHO 2001

Maria Feiler

Praxis für Ergotherapie

Laborweg 6

A-1160 Wien

Email: maria.feiler@aon.at