ergoscience 2007; 2(4): 169-170
DOI: 10.1055/s-2007-963619
Veranstaltungsberichte

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Reaching for New Heights - Occupational Therapy Congress AOTA 2007

Bericht über den 87. Ergotherapiekongress in St. Louis/Missouri, 20.-23. April 2007M. le Granse1
  • 1Hogeschool Zuyd, NL-Heerlen
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Publication Date:
04 October 2007 (online)

Der 87. Amerikanische Ergotherapiekongress in St. Louis fand mit mehr als 6 000 Teilnehmern, 500 Sessions, Workshops und Short courses sowie 300 Plakaten statt.

Im Mittelpunkt des Kongresses stand die Centennial Vision 2017 (Jahrhundertvision) aus Anlass des 100-jährigen Bestehens der Ergotherapie im Jahr 2017. Dementsprechend lautete auch das Motto des Kongresses We envision that OT is a powerful, widely recognized, science-driven and evidence-based profession with a globally connected and diverse workforce, meeting society occupational needs.

Caroline Baum wurde als Vorsitzende der American Occupational Therapy Association (AOTA) verabschiedet und Penny Moyers, die Direktorin der University of Indianapolis als neue Vorsitzende willkommen geheißen. Auffallend war, dass sie sich (und dies kommt auch in der Centennial vision zum Ausdruck) in ihrer Einführungsrede für eine Globalisierung aussprach. Die amerikanische Ergotherapie war bisher vor allem auf nationale Belange fokussiert, öffnet sich nun aber auch zunehmend dem Rest der Welt (Politik des Coming-in-and-coming-out).

Die AOTA spielt innerhalb der Ergotherapie aus folgenden Gründen eine wichtige Rolle:

Sie kümmert sich sehr aktiv um ihre Mitglieder (35 000). Sie misst der Rolle der Studentenvereinigungen (ein in Europa relativ unbekanntes Phänomen) große Bedeutung zu, indem sie z. B. Awards an die Universitäten mit den meisten AOTA-Mitgliedern vergibt. Sie „hegt und pflegt” ihre Senioren, indem sie sie auf freiwilliger Basis als Berater in neue Projekte und Entwicklungen einbindet, um auf diese Weise auch zukünftig von ihrem Wissen und Können zu profitieren. Sie stimuliert „lebenslanges Lernen” durch eine Kombination aus Praxis, Forschung und Unterricht - Stichwort Ergotherapeuten als Innovatoren in einer Zeit des Hyperwandels (Jim Hinojosa: Eleanor Clark Slagle Lecture). Sie betrachtet die Öffentlichkeitsarbeit als wichtigsten Schwerpunkt, um die Ergotherapie in der Gesellschaft „populär” zu machen und dafür zu sorgen, dass die Berufsgruppe und ihre Vorgehensweise ein (wieder) erkennbares Profil erhält.

Insbesondere der letztgenannte Aspekt wurde durch die Entwicklung der Occupational Therapy Practice Framework (OTPF; Rahmenwerk für die Praxis der Ergotherapie) verwirklicht. Das Rahmenwerk (die bestehende Version wird zurzeit überarbeitet) spielt innerhalb der amerikanischen Ergotherapie eine äußerst wichtige Rolle. Diese kam während des Kongresses in allen Vorträgen, Workshops und Plakaten zum Ausdruck die sich in ihrer Struktur an der OTPF orientieren. Auch die neuere amerikanische ergotherapeutische Fachliteratur und die Lehrpläne der Universitäten basieren auf der OTFP-Struktur. Auf diese Weise erhält man ein wirkungsvolles Instrument zur nachdrücklichen Etablierung der Ergotherapie an allen „Fronten” und in allen Segmenten der Gesundheitsfürsorge und der Gesellschaft.

Auf dem Kongress wurde eine Reihe von Themen behandelt:

Kultur; insbesondere die Integration der Kombination Kultur - Handeln - Partizipation. EBP (Evidenz-basierte Praxis) und Forschung. Sensorische Integration (SI): Das Thema war Gegenstand intensiver Diskussionen, in denen für mehr Evidenz plädiert wurde und dafür, den Schwerpunkt nicht auf die reine SI zu legen, sondern vielmehr Partizipation und SI immer in Zusammenhang mit kognitiven und motorischen Aspekten zu betrachten (der Mensch als biopsychosoziale Einheit). Neuro-occupation in Kombination mit der ergotherapeutischen Wissenschaft (wobei das Biofeedback breiten Raum einnimmt). Autismus: Dem Thema wurde große Aufmerksamkeit gewidmet, da die Pädiatrie das größte Arbeitsfeld der amerikanischen Ergotherapie darstellt. Ältere Menschen: Die Thematik gewinnt an allen Fronten immer mehr an Bedeutung. Gesellschaft (Community): Auffallend war hier die Betonung der Bedeutung der Freiwilligenarbeit von Ergotherapeuten, die sich in Projekten z. B. mit Obdachlosen, Drogenabhängigen, ehemaligen Psychiatriepatienten und vereinsamten älteren Menschen engagieren. Krieg und Naturkatastrophen: Kriegsopfer, Disaster management (z. B. Umgang mit Naturkatastrophen, wie dem Hurrikan Kathrina in New Orleans). Außerdem viel Beschäftigung mit der Rolle der Umgebung sowie Partizipation, Wohlbefinden, Lebensqualität und Prävention.

Ein weiteres wichtiges Thema des Kongresses war die Forschung. Verschiedene Aspekte und Formen der Forschung wurden diskutiert, darunter auch (neben Betätigung, Evidenz, Interdisziplinarität, wissenschaftlich fundierte Forschung und Therapeutic use of self, d. h. die eigene Person in der Therapie gezielt einsetzen) die neueste Entwicklung auf diesem Gebiet, die Population-based-Forschung (Forschung mit großen Teilnehmerpopulationen).

Im Rahmen dieses Arbeitsbesuchs in Amerika fand auch die Besichtigung einiger Universitäten und Praxisorte statt. Einige Eindrücke beim Besuch verschiedener Universitäten (Southern Maine University in Lewiston, Tufts University in Boston, Washington University in St. Louis und St. Louis University in St. Louis):

Occupational science spielt eine besonders wichtige Rolle. Die verschiedenen Lehrpläne legen großen Wert auf praxisorientierte Forschung. Dies wird dadurch verwirklicht, dass Ergotherapeuten mit einem PhD, die sowohl Dozent als auch Forscher sind, ihre Studenten in die Forschung mit einbeziehen. Journal clubs: Kritisches Lesen, Anaylsieren und Bewerten besonders von Forschungsartikeln.

Während der Praxisbesuche fiel mir auf, dass dort sehr klientenzentriert gearbeitet wird und ein gutes Auge für die Rolle der Gesellschaft (Community) ebenso wie für die Autonomie und Partizipation der Klienten existiert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Europa viel von Amerika lernen kann, insbesondere im Hinblick auf die Rolle der Forschung in Ausbildung und Praxis. Dabei erhöht sich der Wissenstand vor allem in Bezug auf die ergotherapeutischen Wissenschaften, und es wird „normaler”, im Fach Ergotherapie zu promovieren.

Was die Profilierung des Berufs betrifft, spricht vieles dafür, nach dem Vorbild der Amerikaner, die das OTPF als Struktur benutzen, auch in Europa zu einer größeren Einheitlichkeit im Umgang mit einem ergotherapeutischen Modell zu finden, auf dessen Grundlage sich die Ergotherapie profilieren und positionieren kann (z. B. COPM/CMOP/OPPM).

Mieke le Granse

Email: a.le.granse@hszuyd.nl

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