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DOI: 10.1055/s-2007-965141
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Kommentar zur Arbeit von A. Pruß und R. von Versen: Einfluss europäischer Regulativa auf Qualität, Sicherheit und Verfügbarkeit allogener Zell- und Gewebetransplantate in Deutschland
Handchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39: 81 - 87Commentary on the Article of A. Pruß and R. von Versen: Influence of European Regulations on Quality, Safety and Availibility of Cell and Tissue Allografts in GermanyHandchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39: 81 - 87Publication History
eingereicht 14.2.2007
akzeptiert 19.2.2007
Publication Date:
14 May 2007 (online)
Die Diskussion um das neue Gewebegesetz ist an der Plastischen Chirurgie bisher im Wesentlichen vorbeigegangen. Dies wird auch aus dem vorliegenden Artikel deutlich, der die marktspezifisch interessanteren allogenen Zell-Gewebeprodukte genauer ins Auge fasst, als es unser Fach eigentlich interessiert (speziell die allogene Knochentransplantation). Dennoch ist hier ein wichtiger Artikel publiziert worden, den jeder lesen sollte, der im Bereich der autologen und allogenen Gewebetransplantation tätig ist.
Formell betrachtet ist das Gewebegesetz ein Artikelgesetz zur Anpassung und Ergänzung der von der Richtlinie 2004/23/EG betroffenen Regelwerke, insbesondere des Transplantations- (TPG), Arzneimittel- (AMG) und Transfusionsgesetzes (TFG). Hier setzt dann auch die zentrale Kritik der Bundesärztekammer [[1]], der deutschen Krankenhausgesellschaft sowie der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen an, nach deren Auffassung Gewebeeinrichtungen in ihrer Existenz gefährdet seien: aufgrund zu erwartender Überregulierung durch die Einstufung nahezu aller menschlicher Zellen und Gewebe als Arzneimittel gemäß der geplanten Anpassung von § 4 a AMG, sowie die damit verbundenen Mehrkosten sei eine Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben. Auch in der Stellungnahme des Bundesrats wurde darauf hingewiesen, dass der zuletzt am 16. 10. 2006 im Bundestag verabschiedete und bereits im Vorfeld auf massive Kritik gestoßene Gesetzesentwurf „über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben“ weit über das geforderte Maß hinausgehe. Eine Revision des bestehenden Transplantations- und Arzneimittelgesetzes war allerdings längst überfällig, zumal im Zeitalter der regenerativen Medizin neue zell- und gewebespezifische Behandlungsmethoden entwickelt wurden, an die vor ca. 10 Jahren nur die Wenigsten gedacht haben (Beispiel: zellbasierter Gentransfer). Hinzu kommen die im Zeitalter der Globalvernetzung immer leichter werdenden Möglichkeiten des illegalen Zell-, Gewebe- und Organtransfers.
Die Bundesärztekammer (BÄK) hat einen alternativen Ansatz zur Umsetzung der Geweberichtlinie skizziert, der u. E. sowohl richtlinien- als auch praxiskonform ist und sich auch im vorherigen Artikel unter der Strukturskizze für eine „Regionale Knochenbank“ wiederfindet [[1]]. Dabei sollte die Geweberichtlinie im Wesentlichen über das Transplantationsgesetz umgesetzt werden, und zwar soweit Gewebe ohne eine weitere Be- oder Verarbeitung zu Transplantationszwecken verwendet werden. Unterscheiden muss man auch hier zwischen „allogenen Gewebetransplantaten“ wie Haut und Knochen, die im Rahmen etablierter medizinischer Behandlungsverfahren entnommen, gelagert und in der Regel ohne wesentliche Bearbeitungsschritte von einem Spender auf einen Patienten übertragen werden können. Solche Gewebe sollten demnach grundsätzlich wie gespendete Organe und damit durch das Transplantationsgesetz behandelt werden. Dies im Unterschied zu den so genannten „advanced therapies“, bei denen entnommene Zellen oder Gewebe einem manipulierenden (zum Beispiel Implementierung von Genen oder Proteinen) Prozess unterzogen werden mit dem Ziel, ein neues Endprodukt zu erhalten, welches sowohl autolog wie allogen eingesetzt werden kann. Solche Therapieprozesse sollten in Anlehnung an das europäische Arzneimittelrecht (2001/83/EG) im Arzneimittelgesetz umgesetzt werden. Bei diesem Ansatz würde die Entnahme von nicht weiter be- oder verarbeiteten Geweben, also von Gewebetransplantaten, nicht mehr der Herstellungserlaubnis und in der Folge auch die Gewebeübertragung nicht der arzneimittelrechtlichen Zulassungspflicht unterliegen.
Das eigentliche Problem insbesondere für lokale Gewebeeinrichtungen, die ausschließlich Gewebe für den Eigenbedarf herstellen und bereithalten, liegt darin, dass im Rahmen des Gewebegesetzes geplant ist, die Ausnahme vom Anwendungsbereich des AMG gemäß § 4a, Satz 1, Nr. 4 ersatzlos zu streichen. Hiermit wird eine Vorgabe der Richtlinie 2004/23/EG umgesetzt, welche eine solche Ausnahme von ihrem Anwendungsbereich bewusst nicht vorsieht. Gemäß der überwiegenden Meinung der Experten der EU-Mitgliedstaaten besteht keine Rechtfertigung, eine so weitgehende Ausnahme zuzulassen und die Bildung von Grauzonen zu fördern, in denen der Umgang mit Geweben und Zellen nicht überwacht wird. Die Grauzone ergibt sich dabei aus der durchaus weit zu fassenden Interpretation hinsichtlich der Personalunion des fachlich verantwortlichen Arztes bei Entnahme, Verarbeitung und Behandlung von Zellen und Geweben. Die Therapiefreiheit des Arztes gemäß § 4a Satz 1, Nr. 3 bleibt von dem Gewebegesetz unberührt. Wie eng dabei die Grenze zwischen Zutreffen und Nicht-Zutreffen solcher Ausnahmeregelungen ist, wird bereits in den Richtlinien zum Führen einer Knochenbank der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2001 beschrieben.
Literatur
- 1 Erweiterte und aktualisierte Stellungnahme der BÄK zum Regierungsentwurf für ein Gewebegesetz vom 24. 1. 2007. 2007
Dr. Guido Middeler
Dr. Middeler et al. GmbH - DiapharmGruppe
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Email: guido.middeler@diapharmgruppe.de