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DOI: 10.1055/s-2007-966836
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Medikamentöse Therapie des hepatozellulären Karzinoms mit Sorafenib - präklinische Rationale und Ergebnisse einer Phase-II-Studie
Publication History
Publication Date:
23 August 2007 (online)
Kommentar zu:
1. Sorafenib blockiert den RAF/MEK/ERK-Signaltransduktionsweg, hemmt die Tumorangiogenese und induziert die Tumorzellapoptose in der HCC-Zelllinie PLC/PRF/5
Sorafenib blocks the RAF/MEK/ERK pathway, inhibits tumor angiogenesis, and induces tumor cell apoptosis in hepatocellular carcinoma model PLC/PRF/5
Liu L, Cao Y, Chen C, Zhang X, McNabola A, Wilkie D, Wilhelm S, Lynch M, Carter C. Cancer Res 2006; 66: 11 851 - 11 858
Zusammenfassung: Die Gruppe um Liu et al. untersuchte bei den zwei HCC-Zelllinien PLC/PRF/5 und HepG2 die In-vitro-Effekte sowie im SCID-Maus-Modell die In-vivo-Effekte auf HCC-Xenografts unter Sorafenib. Die Behandlung mit Sorafenib resultierte in vivo in einer dosisabhängigen Hemmung der Phosphorylierung von MEK und ERK und einer verminderten Expression von Cyclin D1. Weiterhin zeigte die Gruppe, dass Sorafenib die Phosphorylierung des eukaryotischen Translationsinitiierungsfaktors eIF4E und die Expression des zur Bcl-2-Familie gehörigen antiapoptotischen Proteins Mcl-1 MEK/ERK-unabhängig hemmt. Als zellphysiologisches Korrelat konnte in beiden Zelllinien eine Verminderung der Proliferation und eine gesteigerte Apoptose nachgewiesen werden. In vivo zeigten sich im Xenograft-Modell eine dosisabhängige Tumorwachstumshemmung sowie eine 50 %ige Tumorregression bei einer Wirkstoffkonzentration von 100 mg/kg Körpergewicht. Die In-vivo-Wirkung von Sorafenib auf Angiogenese und Signaltransduktion wurde im gleichen Xenograft-Modell weiter untersucht. Unter Behandlung mit Sorafenib kam es in den Tumoren zu einer verminderten Expression des auf Kapillarendothelien exprimierten CD34-Antigens als Surrogatmarker einer Hemmung der Mikrovaskularisierung. Ebenso zeigten sich eine verminderte Phosphorylierung von ERK und eIF4E sowie eine Steigerung der Apoptose.
2. Phase-II-Studie mit Sorafenib bei Patienten mit fortgeschrittenem hepatozellulärem Karzinom
Phase II study of sorafenib in patients with advanced hepatocellular carcinoma
Abou-Alfa GK, Schwartz L, Ricci S, Amadori D, Santoro A, Figer A, De Greve J, Douillard JY, Lathia C, Schwartz B, Taylor I, Moscovici M, Saltz LB. J Clin Oncol 2006; 24: 4293 - 4300
Zusammenfassung: In einer internationalen Phase-II-Studie untersuchten Abou-Alfa et al. die Wirksamkeit und Toxizität von Sorafenib bei 137 Patienten mit fortgeschrittenem, inoperablem HCC. Begleitend wurden die Pharmakokinetik von Sorafenib sowie die prädiktive Relevanz molekularer Marker bei einem Teil der Patienten untersucht. Die Patienten verteilten sich wie folgt auf die nach TNM-System vorgenommene Tumorstadieneinteilung: Stadium II 3 %, Stadium IIIA/IIIB 31 % und Stadium IV 66 %. Ein Child-Pugh-Stadium A bestand bei 72 % der Patienten, 28 % wiesen ein Stadium B auf. Das mediane Alter der Patienten lag bei 69 Jahren. Unter Behandlung mit Sorafenib (400 mg zweimal täglich) zeigte sich bei 2 % der Patienten nach WHO-Kriterien ein partielles Tumoransprechen. Eine minor response konnte bei 6 % der Patienten und ein Wachstumsstillstand über mindestens 16 Wochen bei 34 % der Patienten dokumentiert werden. Ein Tumorprogress trat bei 35 % auf. Bei 23 % der Patienten war eine protokollgemäße Tumorgrößenevaluation nicht möglich. Die mediane Zeit bis zum Tumorprogress betrug 4,2 Monate und das mediane Gesamtüberleben lag bei 9,2 Monaten. An schwerwiegenden Nebenwirkungen traten Müdigkeit (9,5 %), Durchfall (8,0 %) und ein Hand-Fuß-Syndrom (5,1 %) auf. Die Pharmakokinetik von Sorafenib war unabhängig vom Zirrhosestadium. Die Expression von phosphoryliertem ERK im Tumor korrelierte mit der Zeit bis zum Tumorprogress. Ein Therapieansprechen konnte anhand des Expressionsprofils eines Panels von 18 Genen aus peripherem Blut mit hoher Sicherheit vorhergesagt werden.
Etablierte Therapie des HCC. Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist weltweit eine häufige Tumorerkrankung mit einer deutlich steigenden jährlichen Inzidenz von 4 Erkrankungsfällen/100 000 Einwohnern in westlichen Industrienationen und über 30 Erkrankungsfällen/100 000 Einwohnern in Südostasien. Die zunehmende Inzidenz in westlichen Ländern ist vor allem durch die steigende Prävalenz von Patienten mit Hepatitis-C-Virus-assoziierter Leberzirrhose bedingt. Aufgrund der häufig erst im fortgeschrittenen Tumorstadium gestellten Diagnose kann nur wenigen Patienten ein potenziell kuratives Therapieverfahren wie Resektion oder Transplantation angeboten werden. Die Gründe hierfür sind die Größe und/oder Anzahl der Läsionen, eine Pfortaderinfiltration oder eine extrahepatische Metastasierung. Hinzu kommt die bei bestehender Leberzirrhose eingeschränkte funktionelle Reserve, die eine Resektion oftmals nicht zulässt. Im Falle einer begrenzten Tumormanifestation kommen deshalb lokoregionäre Therapieverfahren wie Radiofrequenzthermoablation oder perkutane Alkoholinjektion bzw. transarterielle Chemoembolisation bei größeren Tumoren zur Anwendung [1]. Liegt ein disseminiertes Wachstum, eine Pfortaderinfiltration oder eine Metastasierung vor, sind derzeit die therapeutischen Möglichkeiten stark eingeschränkt.
Experimentelle Therapieansätze. Die Effektivität einer experimentellen systemischen Behandlung mit zytotoxischen, hormonellen oder immunmodulierenden Substanzen ist gering [2]. Eine zytostatische Behandlung mit Doxorubicin oder eine doxorubicinbasierte Kombinationstherapie ist toxisch und weist mit Ansprechraten von 11 bzw. 21 % bei einer Überlebenszeit von weniger als 9 Monaten eine nur mäßige Effektivität auf [3]. Die jüngst veröffentlichte HECTOR-Studie belegte erneut, dass eine Behandlung mit Octreotid unwirksam ist [4]. Somit steht derzeit für viele Patienten mit einem fortgeschrittenen HCC keine sinnvolle Therapie zur Verfügung.
Molekulargezielte Therapie. Die Regulation molekularer Mechanismen, die zur Entstehung und Progression des HCC führen, wurde in den letzten Jahren intensiv untersucht. Hierbei zeigte sich insbesondere eine Aktivierung des RAF/MEK/ERK-Signaltransduktionsweges. Aktuelle Ansätze untersuchen deshalb die Effektivität des Einsatzes molekulargezielter Therapeutika („molecular targeted therapy”) [5]. Die beiden vorgestellten Arbeiten befassen sich mit dem oralen Tyrosinkinaseinhibitor Sorafenib (BAY 43-9006, Nexavar®), der über Hemmung von RAF das Tumorwachstum und über Hemmung der VEGF-Rezeptorkinase die Tumorangiogenese negativ beeinflusst.
Sorafenib. Der Tyrosinkinaseinhibitor Sorafenib ist seit Dezember 2005 von der FDA und seit Juli 2006 von der EMEA zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom zugelassen. Sorafenib wirkt durch Inhibition verschiedener Kinasen (RAF, VEGFR-2/3, PDGFRβ, Flt3, Ret und c-Kit) wachstumshemmend und angiostatisch. Tumorbiologisch zeigt sich beim HCC häufig eine Aktivierung des MAPK/ERK-Signaltransduktionsweges [6]. Wie jüngste Arbeiten aufzeigen, resultiert die Aktivierung von Ras und des nachgeschalteten RAF/MEK/ERK-Signaltransduktionsweges aus einer verminderten Expression von physiologischen Inhibitoren (z. B. RASSF1A, NORE1A, Spred) [7] [8]. Die In-vitro- und In-vivo-Relevanz der Wirkung von Sorafenib wurde von der Arbeitsgruppe von Liu et al. im HCC-Zellkultur- und -Xenograftmodell gezeigt. Basierend auf diesen Ergebnissen sowie der häufigen Hypervaskularisierung des HCC ist der Einsatz von Sorafenib im Rahmen klinischer Studien bei Patienten mit HCC äußerst sinnvoll. Die Xenograft-Modelldaten von Liu et al. lassen jedoch vermuten, dass mit einer Sorafenibmonotherapie in realistischen Dosierungen eher eine Progressionshemmung als ein Tumorregress zu erzielen sein wird.
Im Rahmen der internationalen Phase-II-Studie zeigte sich eine Wirksamkeit von Sorafenib bei Patienten mit fortgeschrittenem HCC. Obwohl sich nur bei wenigen Patienten eine objektive Tumorregression nachweisen ließ, ist die mediane Überlebenszeit von mehr als 9 Monaten vielversprechend. Die Verträglichkeit der Behandlung war gut, die aufgetretenen schwerwiegenden Nebenwirkungen - Haut- und Nagelveränderungen, Diarrhö und Müdigkeit - sind klassische Nebenwirkungen der Behandlung mit einem Tyrosinkinaseinhibitor und in der Regel durch Dosisreduktion zu beherrschen. Von der Verschlechterung eines arteriellen Hypertonus sowie von einer erhöhten Inzidenz von Blutungsereignissen wird in der Arbeit von Abou-Alfa et al. nicht berichtet. In Analogie zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom ist dies jedoch bei wenigen Patienten zu erwarten [9].
Weitere neue Substanzen. Der Einsatz weiterer neuer Substanzen bei der Behandlung von Patienten mit HCC wurde ebenfalls vor kurzem in kleineren Phase-II-Studien berichtet. Sowohl der EGF-Rezeptor-Tyrosinkinaseinhibitor Erlotinib als auch der VEGF-bindende Antikörper Bevacizumab scheinen ebenfalls zu einer Verlängerung der Überlebenszeit bei Patienten mit HCC zu führen [10] [11]. Es handelt sich jedoch bei allen Untersuchungen um nichtplazebokontrollierte Phase-II-Studien. Eine Therapieempfehlung sollte aus diesen Daten deshalb nicht abgeleitet werden. Aufgrund des Stellenwertes lokoregionärer Therapieverfahren bei kleineren Tumoren wird im Rahmen zukünftiger Studien auch die Kombination mit einer molekulargezielten Therapie untersucht werden müssen.
Prädiktive Marker. Der Markteinführung molekulargezielter Therapien gehen jahrelange grundlagenwissenschaftliche und klinische Untersuchungen voraus, die Behandlungskosten sind deshalb entsprechend hoch. Im Zeitalter eines hohen Kostendrucks im Gesundheitswesen ist deshalb die Kenntnis von prädiktiven molekularen Markern, die es ermöglichen könnten, Patienten im Vorfeld einer Therapie zu selektionieren, von besonderer Bedeutung. Sollte sich das von Abou-Alfa et al. vorgeschlagene Marker-Panel im Rahmen einer plazebokontrollierten Phase-III-Studie bestätigen, wäre ein kosteneffizienter Einsatz von Sorafenib sicherlich möglich.
Fazit. Die Einführung molekulargezielter Therapien könnte einen Fortschritt in der Therapie von Patienten mit hepatozellulärem Karzinom bringen. In Kenntnis der zellbiologischen Grundlagen sowie der Erfahrungen aus Phase-II-Studien ist jedoch damit zu rechnen, dass die objektiven Ansprechraten gering sein werden, insgesamt aber eine Hemmung des Tumorwachstums und damit eine leichte Verbesserung der Prognose erzielt werden könnte. Die Ergebnisse aussagekräftiger Phase-III-Studien stehen noch aus, werden aber in naher Zukunft mit Spannung erwartet.
Erstpublikation: Z Gastroenterol 2007; 45 : 281-282
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
DOI 10.1055/s-2007 - 962 862
ISSN 0044-2771
Literatur
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- 10 Philip P A, Mahoney M R, Allmer C. et al . Phase II study of Erlotinib (OSI-774) in patients with advanced hepatocellular cancer. J Clin Oncol. 2005; 23 6657-6663
- 11 Zhu A X, Blaszkowsky L S, Ryan D P. et al . Phase II study of gemcitabine and oxaliplatin in combination with bevacizumab in patients with advanced hepatocellular carcinoma. J Clin Oncol. 2006; 24 1898-1903
PD Dr. med. Jörg Trojan
Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Medizinische Klinik I
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt
Email: trojan@em.uni-frankfurt.de