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DOI: 10.1055/s-2007-968075
Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG
Beta-Carotin und Bronchialkarzinom - wie gefährlich sind Vitaminsupplemente?
Publication History
Publication Date:
22 March 2007 (online)

Über den Nutzen einer Einnahme von Vitamin- und Mineralstoffsupplementen zur Prävention von Tumorerkrankungen wird seit Jahren sehr kontrovers diskutiert. Auslöser waren zwei große Studien, in denen Beta-Carotin zur Verringerung der Inzidenz eines Bronchialkarzinoms verabreicht wurde. In der 4-armigen randomisierten ATBC-Study erhielten 29 133 männliche starke Raucher zwischen 50 und 69 Jahren täglich entweder 50 mg Alpha-Tocopherol, 20 mg Beta-Carotin, beide Substanzen oder Placebo. Nach 5-8 Jahren Follow-up war in der Beta-Carotin-Gruppe die Inzidenz eines Bronchialkarzinoms signifikant um 18 % höher als in der Placebogruppe [1]. Zu einem ähnlichen Resultat kam die CARET-Study, die mit 30 mg Beta-Carotin plus 25 000 I.E. Vitamin A als Retinylpalmitat täglich vs. Placebo mit 18 314 Rauchern, Ex-Rauchern und Asbestarbeitern durchgeführt wurde. Nach durchschnittlich 4 Jahren Follow-up waren in der Verumgruppe 28 % mehr Lungenkrebsfälle als in der Placebogruppe aufgetreten [8].
Diese Studienergebnisse führten folgerichtig zur Empfehlung, dass Raucher kein Beta-Carotin als Nährstoffsupplement einnehmen sollten. Bedauerlicherweise wird seitdem von vielen Ärzten, insbesondere Onkologen, der Nutzen von Vitamin- und Mineralstoffsupplementen in der Krebsprävention und als Supportivtherapie generell in Frage gestellt.
Was sind die Fakten?
Beide Studien wurden mit starken Rauchern bzw. Asbestarbeitern durchgeführt. Die Autoren gehen davon aus, dass bei dieser Population durch die jahrzehntelange Toxinexposition bereits Präkanzerosen vorhanden waren und die Ausbildung eines manifesten Tumors nicht mehr durch Supplemente zu beeinflussen war. Beta-Carotin ist zwar ein hochpotentes Antioxidanz. In hohen Dosen, so die Autoren, kann es offensichtlich prooxidativ wirken und die Tumorpromotion bei bereits geschädigten Zellen fördern.
In einer dritten Supplementierungsstudie mit 22 071 Ärzten, die 50 mg Beta-Carotin jeden zweiten Tag über 12 Jahre bekamen, konnte dagegen kein erhöhtes Lungenkrebsrisiko gefunden werden, obwohl 11 % der Probanden Raucher und 39 % Ex-Raucher waren [2].
In der Diskussion um das Für und Wider einer Supplementierung bleibt meist die Beobachtung der ATBC-Study unberücksichtigt, dass die Bronchialkarzinom-Inzidenz durch die gleichzeitige Gabe von Beta-Carotin plus Vitamin E nicht erhöht war. Vitamin E kann offensichtlich die prooxidative Wirkung des Beta-Carotin verhindern.
Häufig wird in der Praxis aus den Ergebnissen der beiden erstgenannten Studien abgeleitet, dass die Beta-Carotin-Supplementierung grundsätzlich das Lungenkrebsrisiko erhöhte. Dabei ist dies nur für starke Raucher erwiesen. Und auch für diese Subpopulation sind Zweifel berechtigt. Nach Ablauf der 6jährigen Nachbeobachtungszeit war der Risiko erhöhende Effekt einer isolierten Beta-Carotin-Einnahme in der ATBC Study verschwunden [9].
Ein „positiver” Effekt der Beta-Carotin-Studien war, dass intensiver die Wechselwirkungen von Vitaminen und Mineralstoffen im Organismus erforscht wurden. Vitamin C als wasserlösliches Vitamin kann z.B. in lipophilen Kompartimenten keine antioxidative Wirkung entfalten. Umgekehrtes gilt für das Vitamin E. Verschiedene Spurenelemente wie Selen, Zink, Mangan und Kupfer sind Bestandteil von Entgiftungsenzymen, ohne die die zelluläre Abwehr gegen freie Radikale nicht funktioniert. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen antioxidativen Vitaminen, Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen (v.a. Carotinoiden und Flavonoiden) erklären letztlich, warum eine Obst und Gemüse reiche Ernährung in vielen epidemiologischen Studien das Risiko für Bronchialkarzinome und andere Tumorentitäten signifikant senken konnte [10].
Allen Bemühungen zum Trotz von Gesundheitspolitikern, Ernährungswissenschaftlern und Ärzten, die Bevölkerung zu einer präventiven Ernährungsweise zu bewegen, hat sich an deren Ernährungsverhalten nicht viel zum Positiven verändert. Leider sind die Verzehrsgewohnheiten der Deutschen weit entfernt vom Ideal von mindestens 5 Portionen Obst und Gemüse pro Tag. Nach den derzeit aktuellsten repräsentativen Daten, dem Ernährungssurvey 1998, verzehren, je nach Altersgruppe, 38 bis 62 % der Frauen und 48 bis 67 % der Männer statt 5 weniger als 3 Portionen Obst und Gemüse [5]. Dies resultiert unter anderem darin, dass die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für die Vitaminzufuhr bezüglich Vitamin E von 65 % (68 %) der Frauen (Männer), für Vitamin C von 29 % (33 %) und Folsäure von 90 % (96 %) nicht erreicht werden [5], [6]. Von einer vereinzelt auftretenden Vitaminunterversorgung kann angesichts dieser Zahlen nicht mehr die Rede sein. Eine Supplementierung mit einem Multivitamin-/Multimineralstoffpräparat zum Schließen dieser Lücke wäre also bei einem Großteil der Bevölkerung indiziert.
Dass dies auch einen primärpräventiven Effekt haben kann, zeigte die 2004 publizierte französische SU.VI.MAX-Studie. In dieser Untersuchung konnte durch die Gabe von täglich 120 mg Vitamin C, 30 mg Vitamin E, 6 mg Beta-Carotin, 100 μg Selen und 20 mg Zink bei Männern nach durchschnittlich 7,5 Jahren gegenüber Placebo eine um 31 % niedrigere Tumorinzidenz und eine um 37 % geringere Gesamtmortalität beobachtet werden. Frauen hatten aufgrund ihrer besseren Antioxidanzienversorgung durch die Nahrung keinen zusätzlichen Benefit durch die Supplementierung [3]. Weiterhin konnte diese Studie zeigen, dass bei Männern mit einem normalen PSA-Wert bei Studienbeginn (< 3 μg/l) das Risiko für ein Prostatakarzinom um 48 % gegenüber Placebo erniedrigt war [7].
Die SU.VI.MAX-Studie ist bis heute die einzige große randomisierte Studie, die den Effekt einer multiplen kombinierten Antioxidanziengabe untersuchte. Es wäre wünschenswert, wenn weitere folgen würden und sie einen Beitrag zum Umdenken unter Onkologen und Präventivmedizinern bezüglich eines potenziellen Nutzens einer Supplementierung zur Primärprävention von Tumorerkrankungen leisten könnten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass besonders diejenigen Personen für eine Unterversorgung an zellschützenden Antioxidanzien gefährdet sind, die ohnehin einen geringen Obst- und Gemüsekonsum haben [4].
Literatur
- 01 ATBC Study Group . The effect of vitamin E and beta carotene on the incidence of lung cancer and other cancers in male smokers. The Alpha-Tocopherol, Beta Carotene Cancer Prevention Study Group. N Engl J Med. 1994; 330 1029-35
- 02 Hennekens C H, Buring J E, Manson J E. et al . Lack of effect of long-term supplementation with beta carotene on the incidence of malignant neoplasms and cardiovascular disease. N Engl J Med. 1996; 334 1145-9
- 03 Hercberg S, Galan P, Preziosi P. et al . The SU.VI.MAX Study: a randomized, placebo-controlled trial of the health effects of antioxidant vitamins and minerals. Arch Intern Med. 2004; 164 2335-42
- 04 Klipstein-Grobusch K, Kroke A, Voss S, Boeing H. Einfluss von Lebensstilfaktoren auf die Verwendung von Supplementen in der Brandenburger Ernährungs- und Krebsstudie. Z Ernährungswiss. 1998; 37 38-46
- 05 Mensink G. Was essen wir heute? Ernährungsverhalten in Deutschland. Berlin; Mercedes-Druck 2002
- 06 Mensink G B M, Stroebel A. Einnahme von Nahrungsergänzungspräparaten und Ernährungsverhalten. Gesundheitswesen. 1999; 61 (S 2) 132-137
- 07 Meyer F, Galan P, Douville P. et al . Antioxidant vitamin and mineral supplementation and prostate cancer prevention in the SU.VI.MAX trial. Int J Cancer; 2005; 116 182-6
- 08 Omenn G S, Goodman G E, Thornquist M D. et al . Effects of a combination of beta carotene and vitamin A on lung cancer and cardiovascular disease. N Engl J Med. 1996; 334 1150-5
- 09 Virtamo J, Pietinen P, Huttunen J K. et al . Incidence of cancer and mortality following alpha-tocopherol and beta-carotene supplementation: a postintervention follow-up. JAMA. 2003; 290 476-85
- 10 World Cancer Research Fund, American Institute for Cancer Research .Food, nutrition and the prevention of cancer: a global perspective. Washington D.C.; American Institute for Cancer Research 1997
Korrespondenzadresse
Steffen TheobaldDipl. Oecotrophologe
Wissenschaftliche Gesellschaft zur
Förderung der Patientenkompetenz e.V.
Talstr. 1
79102 Freiburg
Email: s.theobald@patientenkompetenz.org